24. April 2012

Gemeinsam werden sie stark

Tansania: DAHW fördert Frauen mit Behinderung in Selbsthilfegruppen

Ihr Lächeln fällt zuerst auf. Gut ein Dutzend Menschen sind auf dem Dorfplatz, aber diese junge Frau sticht heraus. Das hübsche Gesicht. Diese Augen. Das Lächeln. Das Kleid, in dem sie so elegant aussieht und das genauso elegant verdeckt, was zunächst niemand vermuten würde, solange sie dort sitzt.

Verleugnet und verlassen

Mary M. leidet an Polio, Kinderlähmung. In reichen Ländern ist dies durch die Schluckimpfung schon lange kein Problem mehr. Aber hier in Hombolo mitten in Tansania gibt es die Krankheit noch. Das Virus hat Marys Rückenmark zerstört, ihre Beine unförmig und bewegungsunfähig gemacht.

Es gibt gute Gründe, eine Behinderung vor den Blicken anderer zu verstecken: Das Stigma, nicht als „vollwertiger Mensch“ zu gelten, ist weit verbreitet. Mary hat es am eigenen Leib erlebt. Knapp sechs Jahre ist es her, dass ihr Freund, der immer behauptet hatte, sie zu lieben und heiraten zu wollen, sie plötzlich verleugnete.

„Als ich ihm sagte, dass ich schwanger bin, wollte er von mir nichts mehr wissen. Heute bestreitet er sogar, jemals mit mir zusammen gewesen oder der Vater unseres Sohnes zu sein. Obwohl jeder im Dorf weiß, dass es so ist, glauben sie ihm eher als mir, einer behinderten Frau.“

Mary sagt dies ganz ohne Verbitterung, ihr Lächeln verliert in keinem Augenblick seinen Ausdruck. Sie weiß, dass Vorurteile nur langsam und sehr mühsam überwunden werden können. Doch auch deshalb trifft sie sich regelmäßig mit ihrer Selbsthilfegruppe auf dem Dorfplatz.

Behinderung stigmatisiert

Heute ist auch Burchard Rwamtoga dabei. Der Sozialarbeiter der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe unterstützt viele solcher Gruppen im ganzen Land. Dort treffen sich Menschen mit Behinderungen wie Mary oder Johanna, deren Füße durch Lepra verstümmelt sind und die immer geschlossene Schuhe trägt, damit niemand das sieht.

Burchards Rat ist immer willkommen / Foto: DAHW.

„Sie alle eint das Stigma, die Diskriminierung“, sagt Burchard, „weil sie nicht in das übliche Schema passen.“ „Üblich“ ist nach den Erfahrungen des Sozialarbeiters, dass ein Mann mehr zählt als eine Frau und ein arbeitsfähiger Mensch mehr als einer mit Behinderung. Krankheiten wie Lepra oder andere Behinderungen werden auch als „göttliche Strafen“ wahrgenommen, die betroffenen Menschen gemieden oder gar ausgestoßen.

„Nur gemeinsam sind wir stark genug, um ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen zu können“, bekräftigt Mary ihr Engagement. Die Gruppe bietet ihr Schutz vor Anfeindungen und hilft bei der Organisation des Alltags. Vieles, was ansonsten völlig selbstverständlich ist, bleibt Menschen wie Mary verwehrt.

Selbständig durch Mikrokredit

Zum Beispiel eine Arbeit, mit der sie den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn bestreiten kann. Mary ist eine sehr gute Schneiderin, doch sie hatte keine Chance, dies unter Beweis zu stellen. Immer wieder fuhr sie mit ihrem Dreirad, einem dreirädrigen Rollstuhl, den sie mit den Händen vorwärts bewegt, zu einem Schneider. Aber der gab ihr keine Arbeit, die sie hätte übernehmen können. Mit dem Sozialarbeiter Burchard entstand so die Idee, doch ein eigenes Schneidergeschäft zu eröffnen. Geschäft ist vielleicht zuviel gesagt, aber immerhin arbeitet sie Zuhause an den Kleidern ihrer Kunden und kann so von ihrer Arbeit leben. Für die Nähmaschine, den Stoff und die Zeit, bis Mary genügend Kunden hatte, half ein Mikrokredit der DAHW, den Burchard genehmigt hatte.

So ähnlich erging es allen anderen Mitgliedern der Selbsthilfegruppe aus Hombolo. Mit Hilfe der DAHW haben sie alle Arbeit und ihr Auskommen, Verkauf am Kiosk, Kleintierhaltung, Herstellung von Tonwaren oder Ackerbau. Also fast alle Tätigkeiten, die auch ihre nicht behinderten Nachbarn machen. Und nicht besser oder schlechter als diese.

Johanna versteckt ihre Behinderung / Foto: DAHW.

Der Unterschied liegt in den Gruppen: Dort gehen sie nicht nur gemeinsam gegen Diskriminierung vor, sondern fordern auch Unterstützung durch Behörden. Und sie helfen sich gegenseitig. Wenn einer aus der Gruppe eine Schneiderin braucht, kommt er halt zu Mary. Getreide, Gemüse, eine Ziege, ein Huhn oder Tonschalen werden bei anderen Mitgliedern gekauft. „Gemeinsam werden wir stark“, lautet das Motto, das sie von Burchard übernommen haben.

Gemeinsam werden sie stark

Heute hört sich der DAHW-Sozialarbeiter die Sorgen der Menschen an. Immer wieder gibt es Probleme, die sie nicht ohne Unterstützung lösen können. Dabei geht es nicht nur um Geld für Reparaturen oder kleine Investitionen. Oft sind es auch einfache Anträge bei Behörden, weil kaum jemand aus der Gruppe eine Schule besuchen konnte. Oder es fehlt das Geld für die vorgeschriebenen Schuluniformen der Kinder, dafür benötigen sie Unterstützung durch die DAHW.

Später ist alles geklärt, langsam leert sich der Dorfplatz. Alle gehen nach Hause und an ihre Arbeit. Auch Mary geht, wie sie immer geht. Auf ihren Händen, die Beine kann sie nicht bewegen. So elegant, wie der erste Eindruck von ihr war, klettert sie auf ihr Dreirad und nimmt die Pedale in die Hand.

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Beim Abschied fällt Burchard auf, dass die Reifen abgefahren sind, Mary kann kaum noch mit dem Dreirad fahren. Auch in dieser Situation helfen die Spenden aus Deutschland.


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