02. Juli 2015

Gleiche Chancen für alle in Bo

Menschen mit Behinderung in Sierra Leone bekommen Arbeitsplätze

Es ist laut und schmutzig. In die heiße Luft mischen sich die Gerüche von Schweiß und Rauch von hart arbeitenden Menschen und brennenden Feuern aus Holz und Kohle. Laut tönen die harten Hammerschläge und überdecken die Musik aus den kleinen Radiogeräten. Hektisch laufen Menschen hin und her, mal mit schweren Lasten, mal mit kleinen Zetteln. Scheinbar herrscht das Chaos in diesem riesigen Ausbildungszentrum in Bo. Aber eben nur scheinbar.

Finda Tommy weiß, wen und was sie wo finden kann. Zielstrebig geht die Sozialarbeiterin der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe erst zu den ruhigeren Arbeitsplätzen: Friseure und Schneider. Schließt man die Tür, kann man das Rattern der alten Nähmaschinen hören und manchmal sogar die Klingen der Scheren, die aneinander vorbei durch die Haare schneiden. Die Frauen und Männer dort begrüßen Finda Tommy herzlich wie eine alte Freundin, und genau das ist sie auch.

Finda Tommy im Gespräch mit den DRiM-Koordinatoren. Foto: Hövekenmeier / DAHW

Die 37-jährige Sozialarbeiterin arbeitet bereits seit vielen Jahren für die DAHW in ihrer Heimat Sierra Leone. Sie kümmert sich um diese Projekte wie hier in Bo. Menschen, die sonst keine Chance bekommen, lernen und arbeiten hier beim „Disabled Rights Movement“ (DRiM) in Bo – Menschen, die mit Behinderungen leben, darunter auch viele ehemalige Lepra-Patienten.

„Kaum ein Chef stellt einen Menschen mit Behinderung ein“, berichtet Finda Tommy aus jahrelanger Erfahrung: „Wir müssen also mit einer guten Ausbildung dafür sorgen, dass die Qualität der Arbeit größer ist als jedes Vorurteil.“ Die Vorurteile sind nämlich schnell aufgezählt: „Jemand mit nur einem Bein oder einem Arm kann doch nicht richtig arbeiten, ein Mensch nach einer Erkrankung an Lepra oder Tuberkulose ist nicht belastbar, oder mir laufen doch die anderen Mitarbeiter weg.“ Und das sind nur die gängigsten Antworten.

Ausbildung in der Schneiderei: Wer hier lernt, kann später von seinem Beruf leben. Foto: Hövekenmeier / DAHW

Doch wer bei DRiM in Bo seinen Beruf gelernt hat, kann durch seine Arbeit überzeugen. Schmiede, Schweißer, Schreiner, Maurer, Kfz- und Zweiradmechaniker, Köche, Wäscher, Friseure, Schneider – sie alle lernen hier ihre Berufe. „Und das so gut, dass es sich inzwischen herumgesprochen hat“, ergänzt die DAHW-Sozialarbeiterin, „Die Frage, ob ein Mensch mit Behinderung die schwere Arbeit auch schaffe, wird kaum noch gestellt, wenn der Chef weiß, dass sein Bewerber hier gelernt hat.“

Amara B. sitzt mit den anderen Frauen aus der Schneiderei und der Friseurstube zusammen und hört, was Finda Tommy sagt. Sie hatte viele Jahre als Friseurin gearbeitet, bis sie an Lepra erkrankte. Dann hat ihr Chef sie einfach rausgeschmissen – von einem auf den anderen Tag. Jetzt hofft sie, wieder eine Arbeit finden zu können: „Die Ausbildung hier ist inzwischen bekannt in Bo und Umgebung, wird überall hoch geachtet und lässt Vorurteile verstummen.“

Das erste offene Getriebe für vier angehende Zweirad-Mechaniker. Foto: Hövekenmeier / DAHW

Sozialarbeiterin Tommy hört sich noch einige Sorgen an und macht sich Notizen, was sie für ihren nächsten Besuch organisieren muss. Dann muss sie weiter, bei den Zweirad-Mechanikern ist eine ganze Gruppe Jugendlicher neu angekommen. Die kennt sie noch nicht, das soll sich ändern.

Während die jungen Leute vom Meister angelernt werden, schaut Finda Tommy ihnen über die Schultern. So erfährt sie am besten, wie die neuen Auszubildenden „ticken“, wo dem einen oder anderen von ihnen der Schuh drückt. Erst danach stellt sie sich offiziell vor. Sagt den Neuen, dass sie die Ansprechpartnerin ist für alle Probleme, die es rund um die Arbeit oder die persönlichen Lebenssituationen zu lösen gilt.

„Alle Probleme“ meint die Sozialarbeiterin durchaus wörtlich: Mal besorgt sie einem Menschen mit Behinderung einen Job, mal eine Wohnung, mal hilft sie bei Behördengängen. Oder sie vermittelt einfach einen Alphabetisierungs-Kurs, wenn es nötig ist. Nicht jedem hier war es als Kind vergönnt, eine Schule zu besuchen.

Doch lernen müssten alle 150 Teilnehmer der Kurse hier in Bo selbst, betont die DAHW-Mitarbeiterin: „Wir geben hier jedem Menschen eine Chance, die er mit seiner Behinderung oder mit seiner Lepra-Geschichte sonst nie bekommen würde. Ergreifen muss jeder Teilnehmer diese Chance aber selbst.“


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