Heiß ist es in Liwale. Und staubig, besonders jetzt, kurz vor der Regenzeit. Hier, im Süden Tansanias, im Armenhaus eines ohnehin nicht reichen Landes, gibt es nur wenige asphaltierte Straßen. Mindestens fünf Stunden benötigt Dr. Abdallah Abasi, Koordinator des nationalen Lepraprogramms für die Region Lindi, von seinem Büro in der Stadt Lindi bis nach Liwale. Entfernungen werden hier nach Zeit gemessen, nicht nach Kilometern.
Nach einer kurzen Erfrischung geht es gleich weiter, zwar nur 30 Kilometer, dafür aber nochmals mehr als zwei Stunden bis nach Nambunju. Rund 200 Menschen leben hier, die Hütten stehen weit verstreut neben einem größeren Trampelpfad, dazwischen immer wieder die kleinen Gärten zur eigenen Versorgung. Die Böden sind fruchtbar, Hunger ist hier kein Problem. Eher sind es Krankheiten, denn der Weg zu einer medizinischen Versorgung ist weit.
Lepra ist allgegenwärtig, die Region ist hoch endemisch. In jedem Dorf gibt es mehrere Menschen, die an Lepra erkrankt waren oder aktuell noch in Behandlung sind. Und bei fast jedem Besuch der Gesundheitshelfer kommen neue hinzu. „Es ist ein Teufelskreis“, sagt Dr. Abasi, „wer arm ist, erkrankt schneller an Lepra, verliert seine Arbeit oder kann sich selbst nicht mehr versorgen, und steckt dann auch noch seine Familie oder seine Nachbarn an.“
Lepra wird überwiegend im direkten sozialen Umfeld übertragen: Familienmitglieder von Erkrankten haben eine achtfach erhöhte Wahrscheinlichkeit, selbst Lepra zu bekommen. Bei Freunden, Verwandten oder Kollegen, die man häufig trifft, ist diese Gefahr immerhin noch vier Mal so hoch.
„Das ist schon lange bekannt, daher versuchen wir immer, nach einiger Zeit auch die sozialen Kontakte unserer ehemaligen Patienten zu untersuchen“, sagt Dr. Abasi und sieht darin in seinem unerschütterlichen Optimismus sogar eine Chance: „Wenn wir die Kontaktpersonen untersuchen, haben wir mehr Erfolg als bei allen anderen Untersuchungen. Wir retten also mehr Menschen davor, selbst zu erkranken oder andere anzustecken.“
Beim letzten Satz blickt er sich um, als präsentiere er sein Team, das heute größer ist als sonst: nicht nur die beiden Gesundheitshelferinnen, die sich auch sonst um die kleinen Dörfer nördlich von Liwale kümmern, sondern zusätzlich zwei Mitarbeiter aus der Distrikt-Hauptstadt. Heute wird sie noch mehr Arbeit erwarten als bei den üblichen Kontaktuntersuchungen, denn heute werden viele Menschen an der Studie teilnehmen, mit der endlich eine alte Theorie erforscht wird.
Unterdessen sitzt Isa M. ruhig vor seinem Haus und versucht, neben Dr. Abasi und seinem Team auch alle anderen Besucher persönlich zu begrüßen. Vor anderthalb Jahren hatte der 62-Jährige die Diagnose Lepra bekommen – zum Glück rechtzeitig, so dass er keine körperlichen Schäden hat und weiterhin arbeiten kann.
Zu verdanken hatte er dieses Glück einer Gesundheitshelferin, die kurz zuvor bei einer Lepra-Weiterbildung bei Dr. Abasi war und seine Hautflecken richtig einordnen konnte. Als „Dankeschön“ hat er heute groß eingeladen: alle Nachbarn und die Kollegen von den Feldern, auf denen Isa M. gemeinsam mit ihnen arbeitet. Sogar seine Brüder aus den umliegenden Dörfern haben heute den langen und beschwerlichen Weg nach Nambunju auf sich genommen.
Jetzt klärt der Doktor selbst die Menschen auf, denen Isa M. nur gesagt hatte, es gehe darum dass sie selbst nicht erkranken und dazu beitragen können, die Krankheit ganz zu verbannen. Abasi gibt ihnen das Beispiel, dass sich keiner von ihnen bei Isa M. anstecken konnte, nachdem die Krankheit entdeckt wurde und er seine Therapie bekam. „Und daran liegt das“, ruft der Doktor, während er den Menschen die Tabletten zeigt.
Ruhig und sachlich erklärt er, was er selbst vor vielen Jahren bereits gehört hat: Dass nämlich ein Medikament der Kombinationstherapie, nämlich Rifampizin, dafür sorgen kann, dass man sich nicht ansteckt oder dass eine bereits erfolgte Ansteckung nicht zur Krankheit führen wird. Ein Schutz, zwar keine Impfung, aber immerhin ein Schutz. Eine Prophylaxe.
Von den langjährigen Problemen, die Erforschung dieser Theorie auch finanzieren zu können, erzählt Abasi heute nicht. Eher darüber, dass alle, die an der Studie teilnehmen, genau untersucht werden müssen. Und dass sie auch später regelmäßig untersucht werden.
Die Menschen stehen Schlange für die Untersuchungen, die Gesundheitsmitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. Wenn Sie nicht ganz sicher sind, wird der Doktor gerufen, auf Kisuaheli schlicht und einfach „Daktari“. Schwangere dürfen wegen der Nebenwirkungen des Medikaments nicht teilnehmen, ebenso Menschen, die selbst bereits an Lepra erkrankt sind. Mehr als 1.000 Menschen haben die Teams im Distrikt Liwale bereits untersucht, fast 100 haben dabei die Diagnose Lepra bekommen.
Für Dr. Abasi sind Untersuchungen und die Informationen darüber selbstverständlich: „Wichtig ist, dass wir verlässliche Daten haben und alle Betroffenen sowie die an der Studie teilnehmenden Kontaktpersonen wissen, was wir machen und dass wir ihnen keinen Schaden zufügen werden.“ Der 52-jährige Lepra-Arzt weiß, dass Rifampizin auch Schaden anrichten kann, wenn es bei bestimmten anderen Krankheiten eingenommen oder falsch dosiert wird.
Alle Teilnehmer werden bei der Registrierung vermessen und gewogen, erst dann bekommt jeder die auf ihn zugeschnittene Dosis. „Wenn das eintrifft, was wir uns vorstellen, dann wird dies ein großer Durchbruch sein“, schwärmt Abasi von dieser Arbeit: „Damit könnten wir die Zahl der Patienten deutlich senken, besonders in endemischen Gebieten wie hier. Das wird für die Ewigkeit sein, dafür werde ich gerne drei Jahre lang untersuchen, Daten sammeln und auswerten.“
Nicht nur deswegen sehnt er das Ende der Studie herbei: die vielen Fahrten in unwegsame Gebiete, Hitze und Staub, die große Verantwortung für die vielen Mitarbeiter vor Ort und für die teilnehmenden Menschen. Nur auf eines freut sich Dr. Abasi mehr als auf das Ende der Studie in zwei Jahren: auf ein positives Ergebnis dieser Arbeit.