05. August 2015

Mehr als eine Milliarde Menschen leiden

Vernachlässigte Tropenkrankheiten zerstören Existenzen, verstümmeln Menschen und machen Kinder zu Waisen

Sie haben exotische Namen wie Chagas, Leishmaniose oder Schistosomiasis. Vernachlässigte Tropenkrankenheiten töten jedes Jahr hunderttausende Frauen, Männer und Kinder. Die, die überleben, sind häufig arbeitsunfähig, blind, entstellt oder anderweitig behindert. Über eine Milliarde Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika sind betroffen. Die Hälfte davon sind Kinder.

Gemeinsam ist den meisten dieser Krankheiten, dass sie in vielen Fällen gut behandelbar wären und man sich meist relativ einfach vor der Ansteckung schützen könnte. Effektive Prävention, eine schnelle Diagnose in gut ausgestatteten Gesundheitsstationen, Medikamente und Pflege bleiben jedoch gerade in ländlichen Gegenden und den Slums der Großstätte für viele ein Wunschtraum.

In Tarapur, einem Ort nördlich der indischen Hauptstadt Mumbai, leiden viele Menschen an Filariose. Die Krankheit wird durch Moskitos übertragen. Dr. R. P. Bhagat, Mitarbeiter der DAHW Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe zückt sein Maßband und legt es um den Fuß eines Patienten. Dessen Beine sind geschwollen, wirken wie Elefantenfüße an einem ansonsten schmalen Körper. Der Mann leidet an Lymphatischer Filariose, auch Elephantiasis genannt. Kleine Würmer nisten sich im Lymphgefäßsystem ein und vermehren sich dort. Etwa 120 Millionen Menschen weltweit leiden unter der Krankheit. Grundsätzlich ist Filariose gut behandelbar, es gibt wirksame Medikamente. „Viel schwieriger ist es, sie rechtzeitig zu erkennen“, erklärt Dr. Bhagat.

In speziellen Gesundheitscamps, die alle sechs Monate in betroffenen Gemeinden im Umkreis von Tarapur stattfinden, vermessen die Gesundheitsmitarbeiter Füße, sie malen ihre Umrisse auf weißes Papier. So erkennen sie erste körperliche Anzeichen der Krankheit. Dann zeigen sie, wie geschwollene Körperteile gewaschen und gepflegt werden müssen. Jeder Dorfbewohner bekommt Tabletten gegen Würmer – drei pro Person.

Zur Behandlung von Filiariose gehört auch das regelmäßige Messen der betroffenen Gliedmaßen. Foto: Bernd Hartung / DAHW  Insgesamt 17 Krankheiten zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den Neglected Tropical Disesases (NTDs). Es sind Krankheiten der Armen. Denn gerade sie haben den Viren, Bakterien und Parasiten oft nichts entgegenzusetzen. Hunger und Mangelernährung, schlechte hygienische Bedingungen, kaum Zugang zu sauberem Wasser und zu Gesundheitsdiensten begünstigen die Verbreitung. Es ist ein Teufelskreis aus Armut und Krankheit. Und weil es Krankheiten sind, an denen vorwiegend Arme leiden, fehlen meist der finanzielle Anreiz und der politische Wille, wirksam dagegen vorzugehen.

Durch eine aktive Früherkennung gefolgt von einer konsequenten Behandlung könnten viele der vernachlässigten Tropenkrankheiten geheilt werden. Die 15-jährige Mensanh etwa erfuhr erst, dass sie an Buruli Ulcer erkrankt ist, als sie ihre Knie schon gar nicht mehr richtig bewegen konnte. Buruli Ulcer wird durch Bakterien ausgelöst. Sie gilt als „kleine Schwester“ der Lepra. Mensanh erkrankte, bevor die DAHW zusammen mit der luxemburgischen Partnerorganisation Fondation Follereau Luxembourg in Togo ihr Buruli-Programm aufbaute. Es gab nicht einmal ein Labor in Togo, das die speziellen Untersuchungen durchführen konnte, um die Krankheit eindeutig zu diagnostizieren. Die Ärzte schickten deshalb alle Gewebeproben in europäische Labors. Es dauerte Wochen, bis die Diagnosen eintrafen. Zusammen mit Partnern hat die DAHW mittlerweile ein entsprechendes Labor in Togo eingerichtet.

„Casefinding“ von Buruli Ulcer – die Untersuchungen finden auf dem Dorfplatz statt. Foto: DAHW

Mensanh hat Buruli Ulcer überwunden. Im Buruli-Kompetenzzentrum in Tsévié bekam sie Antibiotika, wurde operiert. Doch weil die Behandlung erst in einem recht späten Stadium der Krankheit begann, blieben ihre Beine verstümmelt. Sie kann sich nur mit ihrem Dreirad mit Handpedalen fortbewegen. Doch das wird sich ändern: „Bald bekomme ich einen neuen Rollstuhl und kann wieder die Schule besuchen.“ Sie verdrängt den Gedanken, dass sie heute vielleicht noch laufen könnte, wäre die Krankheit früher erkannt worden.

Schätzungen zufolge müsste die Weltgemeinschaft über einen Zeitraum von zehn Jahren zusätzlich eine Milliarde US-Dollar pro Jahr für Forschung und neue Diagnosemethoden zur Verfügung stellen, um langfristig erfolgreich gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten vorzugehen. Geld das noch fehlt. Doch die WHO hat den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten mittlerweile weit oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt. Derzeit entwickeln 74 Länder Kontroll-Programme zur Früherkennung und Behandlung. Verschiedene große Stiftungen und internationale Pharmaunternehmen engagieren sich im Kampf gegen die NTDs.

In den vergangenen Jahren hat die DAHW die Forschung vor allem zu Lepra und Buruli Ulcer weiter vorangetrieben. Nun kann Buruli Ulcer in Togo zuverlässig diagnostiziert werden. Auch die Versorgung der Patienten wurde ausgebaut. Gemeinsam mit der Ludwig-Maximilian-Universität München und weiteren Partnern arbeitet die DAHW zudem daran, endlich der Übertragung der Krankheit auf die Spur zu kommen.

Auch in der Lepraforschung ist die DAHW in Togo seit vielen Jahren aktiv. Insgesamt konnten bis heute sechs internationale wissenschaftliche Studien veröffentlicht werden. Die Menschen in Togo und in anderen Gebieten, in denen die Krankheit verbreitet ist, profitieren sehr von den Erkenntnissen der Forschung. Heute kann Lepra viel früher erkannt und effektiver behandelt werden. Weniger Menschen müssen deshalb mit Behinderungen leben.