20. Oktober 2021

ALLES BLEIBT ANDERS - Dr. Chris Schmotzer berichtet aus Pakistan

Dr Schmotzer im Garten des Rawalpindi Leprosy Hospital. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Weitreichende Auswirkungen durch COVID-19 auch in Pakistan

Liebe Freund:innen der DAHW, wahrscheinlich hat kaum jemand erwartet, dass COVID-19 fast zwei Jahre nach den ersten Meldungen noch immer in den Schlagzeilen ist und weitreichende Auswirkungen auf unsere Lebensumstände hat. Auch wenn Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Ansteckungen in Pakistan eher „locker“ umgesetzt werden, ist das Thema doch in den Medien und in der Politik ständig präsent und beeinfl usst das Leben der Menschen. Es sieht so aus, dass wir uns auf eine langfristige Koexistenz mit dem Virus einrichten müssen.

Das Rawalpindi Leprosy Hospital ist zu einem Werk mit 125 pakistanischen Beschäftigten gewachsen. Jährlich werden von uns drei Christusträger- Schwestern und unseren Mitarbeitenden über 150.000 Patienten mit Lepra, Tuberkulose, vernachlässigten tropischen Hauterkrankungen, Augenleiden und Behinderungen behandelt und versorgt.

Es scheint, dass Katastrophen mit zu unserem Leben gehören. Unser Arbeitsgebiet im Norden Pakistans war stark von dem Erdbeben 2005 betroffen, dann kam die „Jahrhundert-Flut“ im Jahr 2010. Bei beiden Ereignissen haben wir mehr als 100.000 Menschen mit Erstversorgung, Überlebenshilfe und Wiederaufbau geholfen. Und dann kam COVID-19 im Jahr 2020.

Hospital blieb geöffnet.

Eine Pandemie hatte noch niemand von uns erlebt, so mussten wir erst einmal lernen. Wichtig war uns, dass die Lepra- und Tuberkulosepatient:innen weiterhin versorgt wurden und es bei uns zu keinen Behandlungsabbrüchen kam, so wie es in staatlichen Gesundheitszentren oft passiert ist.

Wir hatten aber auch viel Grund zu Dankbarkeit. Es gab nie eine Versorgungskrise mit Medikamenten oder Nahrungsmitteln und wir mussten das Rawalpindi Leprosy Hospital keinen einzigen Tag schließen. Erfreulicherweise konnten wir in dieser spannenden Zeit die Projekte der primären Augenversorgung und der gemeindenahen Rehabilitation von Behinderten erweitern und mehr Menschen helfen.

Leider hat sich COVID-19 auf die Tuberkulosesituation im Land negativ ausgewirkt. Wir befürchten, dass die Erfolge der Tuberkulosekontrolle durch die Pandemie um Jahre zurückgeworfen wurden. Wir sehen so viel Tuberkulose wie nie zuvor und die meisten neuen Patient:innen sind deutlich schwerer krank als vor der Pandemie.

Tina wird wieder gesund.

So wurde im Juli die 12-jährige Tina von katholischen Schwestern zu uns gebracht. Sie wog nur noch 21 kg. Zusammen mit ihrem Vater war sie während des Lockdowns in Karachi „hängengeblieben“ und konnte monatelang nicht nach Rawalpindi zurückkommen. Währe nd dieser Zeit entwickelte sich ihre Tuberkulose. In den ersten Wochen hatten wir Sorge um ihr Leben. Aktuell ist sie noch stationär aufgenommen, aber sie wird die Krankheit überwinden und wieder gesund werden.

Das Bein von Usman konnten wir retten.

Usman, 14 Jahre, wurde von seinem Vater im September diesen Jahres in meine Sprechstunde im Leprakrankenhaus Balakot gebracht. Seit Ende letzten Jahres hat er eine schmerzhafte Schwellung des linken Unterschenkels mit Geschwüren und Fieber. Irgendwann wurde ein Röntgenbild gemacht, das eine schwere Entzündung des Schienbeinknochens zeigte. Die einfache Familie aus den Bergen wusste nicht, was sie tun sollte, sie traute den lokalen Ärzten nicht. Der Vater war sehr erleichtert, als ich seinen Sohn ins Rawalpindi Leprosy Hospital überwies. Hier wurde festgestellt, dass Usman eine Tuberkulose der Lunge und des Knochens hat. Er wird mehr Geduld brauchen als Tina, bis seine Krankheit geheilt ist. Auf jeden Fall können wir sein Bein retten.

Wie geht es weiter?

Wir werden lernen müssen, in der COVID-19 Realität zu leben. Wichtig ist, die Patient:innen sachlich aufzuklären, ihnen die Angst zu nehmen und gute Behandlung zu geben.

Gerade in Zeiten, in denen durch die Pandemie die Menschen mehr Lasten zu tragen haben, wie Unterbrechungen bei der Ausbildung, Einkommensverluste und Zunahme von psychischen Störungen, können wir Leiden lindern und damit ein Zeichen der Ho nung geben. Das brauchen die Menschen dringend. Wir freuen uns, wenn Sie uns dabei helfen.

Herzliche Grüße aus Rawalpindi

Schwester Dr. Chris Schmotzer

ALP ist Träger des Rawalpindi Leprosy Hospitals

Das heutige Rawalpindi Leprosy Hospital (RLH) in Rawalpindi entstand aus einem alten Lepra-Asyl der Stadt, die heute mit der Hauptstadt Islamabad fast zusammen gewachsen ist. Es wurde 1867 erstmalig urkundlich erwähnt.

Die Umwandlung vom Lepra-Asyl zum Hospital ist in den Jahren 1948- 1950 erfolgt. Der Zeitraum markiert den Beginn der medizinischen Behandlung von Lepra-Patient:innen, vorher gab es keine wirksamen Medkamente gegen die Krankheit.

1968 hat der Verein Aid to Leprosy Patients (ALP) als lokaler Träger die Leprosy Hospital übernommen. Der Verein ist eine Gründung der Christusträgerinnen, einer in Braunsbach (B-W) ansässigen protestantischen Schwesterngemeinschaft. Dr. Chris Schmotzer, Christusträger-Schwester und Ärztin, ist seit 1988 am RLH tätig.

1993 übernahm Dr. Chris Schmotzer die medizinische Leitung des Hospitals. Sie ist darüber hinaus für die medizinischen Aktivitäten des Vereins ALP in Pakistan verantwortlich. Im RLH werden unter anderem jährlich mehr als 1.000 Patient:innen mit Tuberkulose (TB) behandelt.