17. August 2005

Auf dem Weg in den neuen Sudan

17.08.2005, Tagesthemen-Moderatorin Anne Will ist unterwegs im Südsudan. Ihre Eindrücke schildert sie in einem Tagebuch.

ls Botschafterin der Aktion “Gemeinsam für Afrika” will sie Probleme und Hoffnungen der Menschen nach dem Ende des mehr als 20-jährigen Bürgerkriegs kennen lernen. Das Tagebuch ihrer Reise veröffentlicht sie exklusiv auf http://www.tagesschau.de/

12:20, Flughafen Maridi (Südsudan)
Es ruckelt ein bisschen auf der Schlammpiste, aber dann hat Stuart, unser Pilot, die Maschine sicher zum Stehen gebracht. Um uns herum meterhohes Gras. So grün habe ich mir Afrika nicht vorgestellt, trotz Regenzeit. In den letzten Stunden habe ich immer wieder aus dem Fenster unserer kleinen Propellermaschine  geguckt. Im scheinbar endlosen, menschenleeren Dschungel waren nur ganz selten Spuren von Menschen zu sehen. Es ist meine erste Reise nach Schwarzafrika, in ein Land, in dem erst seit einigen Monaten Frieden herrscht. Allerdings ein unsicherer Frieden. Ich bin gespannt.

14:30, Tawil-Volksschule
Susan sagt, was sie denkt, unverblümt. Die 17-jährige in der grünen Schuluniform ist im Bürgerkrieg mit ihren Eltern nach Uganda geflohen. Seit einigen Monaten ist sie zurück und besucht die Tawil-Volksschule in Maridi. “In Uganda war die Schule viel besser ausgestattet, wir hatten ordentliche Klassenräume mit Tischen und Bänken. Hier müssen wir die Stühle von zu Hause mitbringen, und Tische gibt es nicht.” Auch Bücher, sagt Susan, gibt es kaum.

Im Unterricht sitzen 84 Kinder in der Klasse. Der Lehrer motiviert die Schüler, sich nicht ablenken zu lassen. “Seid ihr noch dabei?”, ruft er in die Klasse. “Ja, wir sind dabei”, rufen alle zurück. Ich sitze in der letzten Reihe und bin erstaunt, wie gebannt die Mädchen und Jungen den Algebra-Unterricht verfolgen. Nur ein Viertel der Kinder besucht hier überhaupt eine Schule. Bildung ist ein heiß begehrtes Privileg.

Im “neuen Sudan”, wie der vor einem Monat ums Leben gekommene Frontmann der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), John Garang, das größte Land Afrikas nach dem Friedensschluss getauft hat, gibt es ein weiteres Problem: Sprache.

Mehr als 50 Stammessprachen gibt es im Sudan, außerdem Arabisch und Englisch, die Unterrichtssprache in Maridi. “Aber ich spreche ein besseres Englisch als mein Lehrer”, beschwert sich ein Klassenkamerad von Susan, der mit ihr aus Uganda zurück gekehrt ist. Lehrer sind verzweifelt gesucht, viele Hilfsorganisationen haben jetzt spezielle Ausbildungsstätten gegründet. Aber es wird noch dauern, bis die gut 1.000 Schüler der Tawil-Volksschule genug qualifizierte Lehrer haben. Wer es sich leisten kann, sagt Schuldirektor Michael Wani, schickt seine Kinder zur Schule ins Ausland. Aber das sind wohl die wenigsten. Viele Eltern können nicht mal das geringe Schulgeld in Maridi bezahlen und arbeiten ihre Schulden ab, indem sie bei der Renovierung der baufälligen Gebäude helfen.

Als ich mich den Schülern vorstellen soll, bin ich auf einmal unsicher. “Ich bin Fernsehmoderatorin einer Nachrichtensendung”, erkläre ich der Schar, die uns umringt. Später frage ich einige, ob sie schon einmal ferngesehen haben in ihrem Leben. Fehlanzeige. Niemand kennt irgend jemanden, der einen Fernseher besitzt. Im neuen Sudan gibt es ohnehin nur selten Strom, kaum Straßen, kein Telefon, keine Kanalisation.

Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, die ich bis jetzt getroffen haben, berichten übereinstimmend, dass sie im Südsudan praktisch bei null anfangen müssen. In keinem anderen Land scheint der Bedarf an grundlegender Hilfe so groß.

16:00, Nationales Trainingsinstitut für das Gesundheitswesen
Charles Olupot ist vor fünf Jahren nach Maridi gekommen. Seitdem bildet er junge Menschen aus dem ganzen Südsudan zu Krankenhelfern aus. Nichts braucht die Region so dringend wie Ärzte, sagt er: Für die Versorgung von sechs Millionen Südsudanesen gibt es gerade mal zehn Ärzte. Zehn! Kein Wunder, wie stolz Olupot darauf ist, dass in wenigen Jahren mehr als hundert seiner Schüler als ausgebildete Mediziner im ländlichen Sudan arbeiten sollen. Allerdings, gibt er zerknirscht zu, gibt es in den Klassen kaum Frauen. Im Bürgerkrieg haben nur die allerwenigsten von ihnen auch nur Lesen und Schreiben gelernt.


Medizinschule in Maridi: Charles Olupot zeigt Anne Will eines der Modelle, anhand derer die Krankenhelfer in Maridi ausgebildet werden

Jetzt hofft er auf Frauen wie die 17-jährige Susan, die bald an den neuen Schulen ihre Abschlüsse machen werden. Eine Vertreterin einer der Trägerorganisationen von “Gemeinsam für Afrika” schenkt mir ein T-Shirt. Anstatt des üblichen riesigen Logos steht darauf nur ein Spruch: “Mädchen und Frauen, ihr seid unsere Zukunft.” Das gefällt mir!

“Gemeinsam für Afrika” ist eine gemeinschaftliche Aktion von 33 Hilfsorganisationen. Anne Will ist Botschafterin der Aktion, Schirmherr ist Bundespräsident Horst Köhler.
Mehr Informationen unter www.gemeinsam-fuer-afrika.de

DAHW-Spendenkonto 9696
Sparkasse Mainfranken, Würzburg
BLZ 790 500 00

Text: Marc Engelhardt
Fotos: Thomas Einberger