Makeni / Würzburg, 16. Januar: Es war das Jahr 1991, als in Sierra Leone der Bürgerkrieg ausbrach. Elf Jahre lang suchte er das Land heim, gekämpft wurde um Macht und um die reichen Diamantenvorkommen. Als am 18. Januar 2002 das Kriegsende verkündet wurde, waren unzählige Todesopfer zu beklagen und das Land von den Kämpfen heftig gezeichnet – und mit ihm seine Bewohner:innen. Denn nicht nur die Kämpfenden der verschiedenen Parteien trugen, wenn sie überlebten, oft schwere Verletzungen davon. Auch Zivilist:innen wurden immer wieder in brutalen „Bestrafungsaktionen“ gezielt getötet oder verstümmelt.
16. Januar 2025
Blick ins Projekt: „Give me a hand“ – diese Aufforderung nehmen wir wörtlich!

Einer von ihnen: Santos Kallon, ein junger Mann, der im Bürgerkrieg seine rechte Hand verloren hat. Er hat Wege gefunden, mit den Herausforderungen seiner Behinderungen umzugehen und verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er geschnitzte Holzfiguren herstellt. Dafür bindet er sich ein Holzscheit an den amputierten Unterarm, um es als Hammer zu benutzen. Das zu bearbeitende Stück Holz klemmt er zwischen seine Knie, sodass er mit der unversehrten Hand das Schnitzmesser halten kann. So entstehen wunderschöne Figuren. Dennoch sieht er sich in vielen Alltagssituationen mit Barrieren konfrontiert.
In Sierra Leone sind unverhältnismäßig viele Menschen von amputierten Gliedmaßen betroffen. Lepra ist weiterhin eine Herausforderung für die Gesundheitssysteme, wenn die Krankheit diagnostiziert wird, haben die Betroffenen oft bereits leprabedingte Behinderungen. Viele Menschen wurden aber auch im Krieg verletzt, wie Santos. Allein im Distrikt Bombali leben rund 9.000 Menschen mit Behinderungen – in der Distrikthauptstadt Makeni hatte die Rebellenarmee während des Krieges ihre Hauptbasis eingerichtet. Heute befindet sich dort ein Orthopädietechnik-Zentrum (OTC), eine von nur drei solcher Einrichtungen im gesamten Land. Die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe unterstützt dieses Zentrum seit vielen Jahren dabei, Menschen mit Behinderungen vor Ort mit dringend benötigten Prothesen zu versorgen.
Allein: Das Herstellen solcher Prothesen dauert einige Zeit, das Material, aus dem sie gefertigt werden, ist schwer und schon von Weitem ist die Prothese als solche klar zu erkennen – das trägt bei zur Stigmatisierung, mit der viele Betroffene konfrontiert sind. Ein neuer Ansatz soll nun diese Herausforderungen angehen.
Die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe unterstützt daher gemeinsam mit der Beschaffungsgesellschaft BEGECA und Caritas Makeni in einem neuen Projekt eine Idee der studentischen Initiative ENEVRA aus Aachen. So wird eine ganz andere Art von Prothesen ermöglicht: leicht, erschwinglich, unauffällig – und schnell und einfach herzustellen. Der Trick: Die Prothese wird direkt vor Ort einfach ausgedruckt.
„Die Technik mit dem 3D-Drucker bietet zahlreiche Vorteile“, erklärt Constanze Vettel, Beraterin für Inklusion und Entwicklung bei der DAHW. „Die Prothesen sind leicht, sie sind farblich an die Hautfarbe anpassbar und damit unauffälliger, und sie sind rasch und unkompliziert herzustellen.“ Das ist wichtig, weil die Betroffenen oft von weit her ins OTC Makeni kommen, um eine Prothese zu erhalten. Ein längerer Aufenthalt ist für sie oft kaum machbar. Mit dem 3D-Druck können sie eine Prothese im Idealfall in 24 Stunden erhalten.
Constanze Vettel war vor Ort in Makeni und hat den Prozess begleitet, als Santos seine neue Prothese bekommen hat. „Die Abmessungen und Herstellung gingen wirklich schnell“, erzählt sie, „und die Prothese sieht, vor allem von weiter weg, täuschend echt aus.“ Santos hat damit nun deutliche Erleichterungen im Alltag, seine Behinderung ist nicht mehr auf den ersten Blick sichtbar und er kann seine Arbeit besser ausführen.
Santos und viele andere von Behinderungen betroffene Menschen bekommen Unterstützung im OTC Makeni. Aber, das macht Constanze Vettel deutlich: „Weltweit leben 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderungen – und etwa 80 Prozent davon in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Armut und Behinderung sind eng miteinander verknüpft.“ Das gilt auch für das DAHW-Kernmandat Lepra, eine Krankheit, die unbehandelt ebenfalls zu schwersten Behinderungen führen kann. Deshalb nutzt die DAHW ihre jahrzehntelange Erfahrung mit leprabedingten Behinderungen seit längerem für mandatsübergreifende Inklusionsprojekte. „Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft“, erklärt Constanze Vettel, „darum, Barrieren und Diskriminierung abzubauen, aber auch und vor allem darum, strukturelle Bedingungen zu schaffen, um eine vielfältige Gesellschaft zu fördern.“
All das setzt die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in unterschiedlichsten Projekten in Afrika und Asien um – immer mit Fokus auf die Personengruppen, denen der Zugang zu medizinischer oder sozialer Unterstützung erschwert wird. „Bei uns stehen diese Menschen im Mittelpunkt“, unterstreicht Constanze Vettel, „getreu dem Grundsatz ‚Leave no one behind‘.“