09. März 2004

Brasilien: Gerade Indianer-Kinder werden Opfer der TB

Die Indianer von Dourados in Brasilien kämpfen um die nackte Existenz

 

Wo einst üppiger Urwald wucherte, säumen endlose Weiden mit riesigen Rinderherden die Schnellstraße nach Dourados. Die Stadt im Süden des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso do Sul macht einen wohlhabenden Eindruck. Gepflegte Häuser, breite Alleen und eine einladende Plazza. Der Anschein schwindet, wenn man stadtauswärts dem grünen Blechschild folgt, auf dem ein Indianermädchen lächelt und auf eine "Área Indígena" verweist, ein Reservat für Indianer vom Stamme der Guarani. 6000 Menschen leben in der Streusiedlung, genauer gesagt, sie kämpfen um die nackte Existenz.

Carlinhos Gonzalvez sitzt vor seiner baufälligen Ziegelhütte und ringt nach Luft. Das Atmen fällt dem jungen Mann schwer. "Meine Lunge schmerzt", sagt er und erzählt, wie sich während der letzten Erntesaison abgequält hat. Beim Schneiden des Zuckerrohrs. "Als ich nicht mehr auf den Beinen stehen konnte, dachte ich erst, das sei so eine Krankheit wie Kopfschmerz, etwas, das kommt und wieder verschwindet." Doch die Krankheit verschwand nicht. Als der lokale Gesundheitsagent Mizael Oliveira ihn in ein Spital nach Dourados brachte, stellten die Ärzte nach einen Sputumanalyse und Röntgenaufnahme fest. Ihr Patient litt an einer schweren Lungentuberkulose.

Immunsystem der Kinder zu schwach
"Im Jahr 2002 hatten wir in der Siedlung fast siebzig neue TB-Fälle", sagt Oliveira. Vor allem Kinder werden Opfer der Infektionskrankheit. "Ihr Immunsystem ist viel zu schwach", hat die Ärztin Dr. Angela Queiros in den letzten Jahren immer wieder erfahren müssen. "Nicht weil die Indianerkinder an falscher Ernährung leiden", so die Landeskoordinatorin für Tuberkulose im Mato Grosso do Sul, "sondern weil ihre Familien schlichtweg nichts zu essen haben."

Indianermädchen in Dourados - gerade Kinder werden Opfer der Tuberkulose. 

Infusionen sind oft die letzte Rettung
Für viele der unterernährten und tuberkulosekranken Kinder ist Hospital "Porta d´esperanza" in der Tat das letzte "Tor der Hoffnung". Ohne die Nährlösungen aus den Infusionsflaschen und die liebevolle Pflege in der Kinderklinik mitten in dem Indianerreservat wären Juliana und Geisiele, Ezequiel und Rudson dem Tode geweiht. Juliana sieht aus wie ein sechsmonatiger Säugling, dabei müsste mit ihren eineinhalb Jahren längst Laufen können. "Oft kommen die Eltern mit ihren Kinder erst spät hierher", so Mizael Oliveira. "Deshalb müssen wir die Kontrollen der TB-Patienten und ihrer Familien dringend verstärken."

Mit der Rodung begann das Elend
Schuld an der katastrophalen Gesundheits- und Ernährungslage der Indianer ist nach Ansicht von Dr. Queiros "ihre kulturelle Entwurzelung". "Als ich ein Kind war" erinnert sich der 38-jährige Osvaldo Seppe, "war hier alles voller Bäume." Doch mit der rücksichtslosen Rodung des Waldes für die Rinderzucht verloren die Ureinwohner ihre Lebensgrundlage als Jäger. Mit der Umstellung auf Landwirtschaft und Ackerbau tun sich die meisten Indianer heute schwer.

Einige Familien jedoch haben sich entschieden, an einem Landbauprojekt der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe teilzunehmen. Osvaldo Seppe baut mit seiner Frau Lucia Salat, Kohl, Zwiebeln und Chicoree an. Ein bescheidener Anfang zwar, aber die Kinder der Familie erhalten endlich die so lebenswichtigen Vitamine. "Wenn möglich", so der Indianer Seppe, "würde ich meinen Garten gern vergrößern. Gutes Gemüse lässt sich sicher auf den Märkten von Dourados verkaufen." Und ein bescheidener Traum ließe sich auch verwirklichen: "ein Stall mit einem Ferkel".

Hintergrund

Brasilien - das Land der sozialen Gegensätze 
Das reichste Land Südamerikas ist zugleich ein Land bitterer Armut: Brasilien ist reich an Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, doch nur wenige der 175 Millionen Einwohner profitieren davon. Unzählige leben in Elendsvierteln. 10 Prozent der Bevölkerung sind unterernährt. Die Analphabetenrate liegt bei 13 Prozent. Vor allem die Armen werden von Krankheiten heimgesucht. Lepra und Tuberkulose finden sich bei ihnen besonders häufig. Die Zahl der neu registrierten TB-Kranken in Brasilien lag im Jahr 2001 bei rund 75.000. Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe versorgt in dem Land sechs Prozent aller TB-Patienten.

(Text und Fotos von Rolf Bauerdick)

Kontakt:
Renate Vacker, Pressesprecherin der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, Tel: 0931/ 7948-132 - E-Mail: renate.vacker@dahw.de