22. Oktober 2020

WHO veröffentlicht aktuelle Lepra-Statistik

Eine Intensivierung der Fallsuche und die systematische Behandlung von Kontaktpersonen von Lepra-Patient*innen mit der Chemoprophylaxe sind wichtige Instrumente, um Lepra endlich zu eliminieren. Foto: GLRA Sierra Leone

COVID-19: Auch für von Lepra Betroffene ein Fluch

(Würzburg/Genf, 22. Oktober 2020) – Große Überraschungen hält die neue Lepra-Statistik der Weltgesundheitsorganisation WHO auf den ersten Blick nicht bereit: Auch 2019 wurden weltweit wieder mehr als 200.000 Neuerkrankungen registriert. Zwar sind das etwa 6.000 weniger als im Vorjahr, doch wenn sich der Trend fortsetzt, werden auch in 50 Jahren noch Menschen mit Lepra und in der Folge viele mit schwersten Behinderungen leben müssen. Und das, obwohl die bakterielle Infektionskrankheit bereits seit den 1980er-Jahren heilbar ist. Die Statistik für dieses Jahr wird wahrscheinlich noch weniger Fälle aufweisen. Jedoch nicht, weil sich tatsächlich weniger Menschen infizieren, sondern weil coronabedingte Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren die Fallsuche zusätzlich erschweren. Das wiederum lässt befürchten, dass Lepra bei mehr Betroffenen Behinderungen verursacht, da sie nicht oder zu spät behandelt werden. Eine der vielen furchtbaren Folgen der COVID-19-Pandemie.

Seit 40 Jahren gibt es eine wirksame Antibiotika-Therapie der Lepra, vor zwölf Jahren fand man eine Möglichkeit, Kontaktpersonen vor einer Ansteckung zu schützen, 2017 startete die erste klinische Studie für einen Lepra-Impfstoff. Dennoch infizieren sich Jahr für Jahr hunderttausende Menschen weltweit neu, Millionen Menschen müssen mit leprabedingten Behinderungen leben, Betroffene werden immer noch stigmatisiert und ausgegrenzt. Von den drei großen Zielen „Keine Ansteckung – Keine Behinderung – Keine Diskriminierung“ der Globalen Leprastrategie, die für 2016 bis 2020 von der WHO entwickelt wurde, ist man mit 202.185 erfassten Neuerkrankungen im Jahr 2019 noch weit entfernt. 10.813 Betroffene wiesen zum Zeitpunkt der Registrierung bereits schwere, irreversible Behinderungen infolge der Lepra-Erkrankung auf, darunter waren 370 Kinder. In 22 Ländern existierten auch im Jahr 2019 noch 127 diskriminierende Gesetze, aus 51 Ländern wurden konkrete Vorfälle von Diskriminierung berichtet.

Neue Ziele – neue Motivation

In Kürze soll nun die Folgestrategie für die Jahre 2021 bis 2030 veröffentlicht werden. Diese ist eng mit der sog. NTD-Road-Map, der Strategie zur Beendigung der vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) bis 2030 verbunden, und spiegelt ein wesentliches Umdenken wider: „Nach Definition der WHO galt eine Krankheit nicht mehr als ‚Public Health Problem‘, also als globales Gesundheitsproblem, wenn statistisch gesehen weltweit weniger als ein Fall pro 10.000 Menschen auftritt. In der Folge lässt das Engagement in der Bekämpfung nach, so geschehen auch bei der Lepra“, erläutert Dr. Christa Kasang, Forschungskoordinatorin der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. Jetzt sei das Ziel, die Übertragung der Krankheit mithilfe einer intensivierten Fallsuche und der systematischen Behandlung von Kontaktpersonen von Betroffenen mit der sog. Post-Expositions-Prophylaxe zu stoppen und so die Lepra Land für Land auszumerzen. Bis 2023 in 50, 2025 in 95 und 2030 in 120 Ländern (von 194). „Diese konkrete Zielsetzung steigert die Motivation der Akteure in den nationalen Lepra-Kontrollprogrammen (NLKP), bis zum letzten Fall aktiv zu bleiben“, beobachtet Kasang.

Hoffnungsträger Forschung

Auch aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen gelte es, die Lepra-Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und NLKPs noch effizienter und zielgerichteter zu gestalten. Die Ergebnisse aus der sog. Implementationsforschung in den letzten Jahren liefern dazu entscheidende Hinweise. „Wir wissen heute: Medikamente und Impfstoffe alleine reichen nicht, um Lepra auszurotten. Wir müssen die Betroffenen frühzeitig finden und auch ihr Umfeld konsequent screenen“, so die Lepra-Expertin der DAHW. Dazu brauche es geeignete Werkzeuge, ausreichend Ressourcen und stabile Strukturen. Zudem müssen die Maßnahmen auf die lokalen und kulturellen Begebenheiten abgestimmt sein. Deshalb unterstützt die DAHW aktuell einige Forschungsprojekte, die sich mit den psychosozialen Aspekten der stark stigmatisierten Lepra beschäftigen oder beispielsweise Traditionelle Heiler bei der Fallsuche einbindet.

Fallsuche im Fokus

„Die Medikamente, die eine Lepra-Infektion kurieren können, werden zwar von der WHO seit Jahrzehnten kostenlos zur Verfügung gestellt – doch sie müssen die Lepra-Patient*innen auch erreichen, und dazu müssen wir sie finden“, stellt Dr. Sebastian Dietrich, Medizinischer Berater der DAHW, klar. „In vielen Ländern sind es ausschließlich NGOs wie die DAHW, die diese Aufgabe übernehmen.“ Gerade in den abgelegenen, unzugänglichen Regionen in den Einsatzländern sei die Fallsuche aber sehr zeit- und kostenintensiv. Es fehle an Gesundheitspersonal, das ausreichend geschult ist und die Krankheit auch frühzeitig erkennt. Häufig werde die Diagnose erst gestellt, wenn die Lepra bei Betroffenen schon schwere irreversible Behinderungen verursacht hat. Ein Problem, das durch die aktuelle COVID-19-Pandemie noch verschärft wird. Dietrich: „Die Schutzmaßnahmen schränken uns, unsere lokalen Partnerorganisationen und die nationalen Kontrollprogramme bei der Fallsuche deutlich ein. Entsprechend weniger Fälle werden die Lepra-Statistiken für 2020 ausweisen – was nicht heißt, dass wirklich weniger Menschen betroffen sind. Sie werden nur nicht gefunden und in der Folge nicht rechtzeitig behandelt, sodass viele von ihnen eigentlich vermeidbare körperliche Behinderungen davontragen werden.“