05. Dezember 2019

„Das lassen wir an uns ran!“ – Begegnungen in einer fremden Welt

Besuch der Außenstation Tando/Sindh: Dr. Ahmed Hussain lässt seine Gäste an der Patient*innenensprechstunde teilnehmen (v.r.: Hanna Sperling, Melanie Decher, Kirsten Bradt, DAHW-Mitarbeiterin Maria Hisch) Foto: DAHW

Fünf Frauen aus der Münsteraner Matthäusgemeinde besuchten stellvertretend finanziell unterstützte Projekte der DAHW in Pakistan

(Würzburg / Pakistan, 05.12.2019) – Fünf Frauen aus der evangelischen Matthäusgemeinde in Münster haben sich am 1. November auf den Weg nach Pakistan gemacht, um zwei Wochen lang in die fremde Welt eines Landes einzutauchen, das hierzulande meistens mit Bildern von schrecklichen Naturkatastrophen, Terror, Krieg und Gewalt in Verbindung gebracht wird – und mit der Unterdrückung von Frauen. Gemeinsam mit Maria Hisch, Pakistan-erfahrene Mitarbeiterin der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, besuchten Kirsten Bradt, Melanie Decher, Gisela Rasch, Anne Solbach und Hanna Sperling verschiedene Projekte des Würzburger Hilfswerks, das in Kooperation mit lokalen Organisationen hier seit 58 Jahren Lepra, Tuberkulose und andere Krankheiten der Armut bekämpft. Die vielfältigen Eindrücke und Erlebnisse der Reise wollen noch verarbeitet werden, doch ein Fazit der Reisenden lautet: „Mit wenig Aufwand wird sehr nachhaltige medizinische Arbeit geleistet“.

„Bist Du verrückt?“ „Warum gerade nach Pakistan?“ „Hast Du keine Angst?“ Solche und andere Fragen wurden den fünf Münsteranerinnen im Vorfeld zu ihrer Reise gestellt. Denn gerade als Frau scheint es besonders riskant, das krisengeschüttelte Land in Südasien zu besuchen. Dennoch wagten sie es und landeten – ausgestattet mit dem Entsendungssegen ihrer Gemeinde – Anfang November in Karatschi, um das Marie Adelaide Leprosy Centre (MALC) zu besichtigen. Ein idealer Einstieg, um in Pakistan wirklich anzukommen: Denn das zu Beginn in einem Slum gelegene Krankenhaus wurde von der 2017 verstorbenen „Mutter der Leprakranken“ Dr. Ruth Pfau gegründet. Die über ihren Tod hinaus anhaltende Verehrung und große Wertschätzung der bekannten Ärztin und Nonne aus Leipzig ist hier allgegenwärtig. Ihr Lebenswerk – mehr als 50.000 von Lepra betroffene Menschen verdanken ihr ihre Heilung – würdigte der Pakistanische Staat mit einem Staatsbegräbnis und der Herausgabe einer Sondermünze.

Dann der Einstieg in den Alltag eines Krankenhauses, erste Begegnungen mit Lepra- und Tuberkulose-Patient*innen, und erste vorsichtige Schritte in den den Straßen einer 16-Millionen-Stadt. Die Gerüche, die Müllberge, der ohrenbetäubende Lärm des chaotischen Verkehrs, die Hitze und die vielen Menschen. Eine Reizüberflutung, die alle Sinnesorgane herausfordert. Dem waren die Frauen zwischen 40 und 69 Jahren nun „ausgesetzt“. Besuche der MALC-Außenstationen in Tando/Sinth und Mangophir halfen, weiteren Zugang zu Land und Leuten zu finden und das von Dr. Pfau aufgebaute Gesundheitsprogramm kennenzulernen.

Nach vier Tagen ging es weiter in den Norden des Landes, wo in der Region Punjab das Leprazentrum Rawalpindi gelegen ist. Es wird von den Christusträgerschwestern aus Deutschland geführt und seit zehn Jahren von der Matthäusgemeinde in Münster unterstützt. Hier trafen die Gesandten Dr. Chris Schmotzer, seit 1993 mit Unterstützung der DAHW Leiterin des Zentrums für Lepra und Tuberkulose. Mehrmals hatte die Ärztin die Gemeinde schon besucht und über ihre Arbeit berichtet. Nun war es an der Zeit, einen Gegenbesuch abzustatten und mit eigenen Augen zu sehen, was mit den Spenden, die in den letzten Jahren von der Gemeinde über die DAHW bereitgestellt wurden, erreicht worden ist. Zehn Tage waren eingeplant, um möglichst viel von dem Partnerschaftsprojekt zu sehen und um hautnah zu erleben, was den Alltag der drei gastgebenden Schwestern Dr. Chris, Sr. Annette, Sr. Sonja, ihren Teams und von den Patient*innen und ihren Angehörigen ausmacht. War man im MALC im Stadtzentrum von Karatschi zwischen den engstehenden Nachbarhäusern förmlich eingequetscht, bildete das Krankenhaus-Gelände hier, mit seiner großen Grünfläche und den darauf verteilten einstöckigen Hospitalgebäuden, eine regelrechte Oase der Ruhe in der „kleinen“ zwei-Millionen-Stadt Rawalpindi.

Beim Rundgang über das Gelände galt der erste Blick dem von der Gemeinde mitfinanzierten Krankenhauserweiterungsbau von 72 auf 97 Betten, dem neuen Sterilisator, ohne den keine Operationen möglich sind und dem neuen Brunnen, der das Hospital mit Wasser versorgt. Gut, sinnvoll und nachhaltig wurden die Gelder der Gemeinde angelegt. Besonders begeisterten die reibungslosen Arbeitsabläufe in den einzelnen Gebäuden, aufeinander abgestimmt und wie ein Räderwerk ineinander greifend. Doch angesichts der 430.000 TuberkuloseNeuerkrankungen in Pakistan pro Jahr ist die Arbeit an diesem Ort wohl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein … oder nicht? „Jeder Mensch, den wir von TB heilen, ist ein Segen, für die Familie und das Land“, weiß Dr. Schmotzer, eine ausgewiesene Spezialistin auf dem Gebiet der Tuberkulose. Denn TB trifft überwiegend Menschen im arbeitsfähigen Alter. Und jeder geheilte Mensch ist eine Infektionsquelle weniger. Frauen seien von Tuberkulose besonders bedroht: Nach der sechsten, siebten Schwangerschaft ist das Immunsystem sehr geschwächt, die Gefahr einer Ansteckung steigt. Im Frauen-TB-Trakt in Rawalpindi nehmen die Münsteranerinnen an der Visite teil und zwei von ihnen, ausgebildete Fachkräfte, dürfen sogar bei einer Lymphknotenentnahme im OPSaal dabei sein.

Auch in Rawalpindi stehen Besuche der Außenstationen auf dem Land auf dem Programm. DAHW-Mitarbeiterin Maria Hisch meldet in die Würzburger Zentrale: „Wir sind alle sehr berührt davon, als reine Frauengruppe ungestört die Dörfer besuchen zu können.“ In der patriarchalisch dominierten Bevölkerung Pakistans sei das keine Selbstverständlichkeit. Aber gerade weil es Frauen sind, die hier die entlegenen Orte bereisen, gelingt es, mit pakistanischen Frauen in Kontakt zu kommen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken – männlichen Besuchern aus Deutschland wäre das nicht möglich gewesen.

Ihr Herz sei voll mit wunderschönen Eindrücken und der Freundlichkeit der Dorfbewohner, drückt Gisela Rasch ihre Gefühle aus, nachdem sie zusammen mit ihren Begleiterinnen heil nach Münster zurückgekehrt ist. „Der Besuch des Erdbebengebiets in Balakot und die tapferen Mitarbeiter vor Ort haben mich sehr beeindruckt“, berichtet Anne Solbalch. Kirsten Bradt betont, sie sei dankbar für die Reise, dankbar für die Begegnung, die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Pakistanis und der deutschen Christusträgerinnen in Rawalpindi. „Und für die bewundernswerte Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, die bitter nötig ist und sichtbar Früchte trägt.“ Alles Rückmeldungen für die Matthäusgemeinde und die DAHW, die Mut machen, die Arbeit in Pakistan weiter zu unterstützen.