16. März 2021

Die Bekämpfung der Armut ist die beste Medizin gegen TB

Mangelernährung, unhygienische Bedingungen und andauernder Stress begünstigen den Ausbruch einer Tuberkulose-Infektion. Foto: Mario Schmitt / DAHW.

Interview mit Tuberkulose-Spezialist Sebastian Dietrich (DAHW) anlässlich des Welt-Tuberkulose-Tags am 24. März 2021

Es sind ehrgeizige Ziele, die sich die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer „End TB Strategy“ gesetzt hat: Von 2015 bis 2035 sollen die weltweiten Tuberkulose-Fälle um 90 Prozent reduziert werden. Doch ein Blick in den aktuellen „Global Tuberculosis Report“ ist ernüchternd: Mit rund 10 Millionen Menschen, die Schätzungen zufolge 2019 neu an TB erkrankt sind, und ca. 1,4 Millionen TB-Todesopfern im Jahr 2019, hat sich im Vergleich zu 2018 nicht wirklich viel getan. Für das „Corona-Jahr“ 2020 liegen noch keine TB-Statistiken vor, doch befürchten Expert*innen wie Sebastian Dietrich von der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe infolge von COVID-19 negative Effekte für die TB-Bekämpfung. Welche das sein könnten, warum TB immer noch eine „Krankheit der Armut“ ist und weshalb es trotz allem Grund zur Hoffnung gibt, berichtet Dietrich im Interview.


Mit dem Begriff „Inzidenzwert“ können seit Corona die meisten Menschen etwas anfangen. Wie verhält es sich mit den aktuellen Inzidenzwerten für Tuberkulose?

Dietrich: 2019 hatten wir global betrachtet eine TB-Inzidenz von 130 Fällen auf 100.000 Menschen. Eine kleine Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr, da hatten wir noch eine Inzidenz von 132. Aber von der Reduktion der Tuberkulose um 20 Prozent bis 2020, wie es von der WHO 2015 als Zwischenziel im Rahmen ihrer globalen TB-Strategie formuliert wurde, sind wir mit den bis dato erreichten 9 Prozent weit entfernt. Konkrete Zahlen für das letzte Jahr liegen noch nicht vor, aber die fehlenden 11 Prozent werden wir wohl kaum aufholen können. Zumal Corona erschwerend hinzukam.

Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf die Tuberkulose?

Dietrich: Corona hat großen Einfluss auf viele andere Erkrankungen – auch auf die Tuberkulose. So waren zum Beispiel die Gesundheitseinrichtungen direkt betroffen: Angestellte, die sich sonst zum Beispiel um TB kümmern, mussten bei der Versorgung von Corona-Patient*innen aushelfen. Betten wurden für sie freigemacht und Budgets umgewidmet. Dadurch sind viele Dienste zumindest zeitweise unterbrochen worden, sodass TB-Betroffene später diagnostiziert werden konnten. Und je später die Diagnose erfolgt, desto schwieriger wird es, die TB erfolgreich zu behandeln.

Und welche Konsequenzen hatten die Schutzmaßnahmen im Zuge der Corona- Eindämmung?

Dietrich: Das ist ein wichtiger Aspekt: Denn wegen der weltweiten Lockdowns brach unzähligen Tagelöhnern und ihren Familien das Einkommen weg, wodurch Armut und Hunger sich in vielen Teilen der Erde massiv vergrößern. Und damit wird es auch mehr Menschen geben, die an TB erkranken, denn Armut begünstigt den Ausbruch einer Tuberkulose-Infektion. Ein gesunder Mensch mit einem guten Immunsystem kann sie in Schach halten. Aufgrund der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen und der zeitweisen Einschränkungen im Gesundheitssystem werden zunächst weniger Fälle diagnostiziert werden – allein im ersten Halbjahr 2020 meldeten uns Kolleg*innen aus einigen DAHWKontakt: Jenifer Gabel, Tel: 0931 79 48-130, mobil: 0172 84 37 186, jenifer.gabel@dahw.de Einsatzländern einen Rückgang von 30 bis zwischenzeitlich sogar 60 Prozent. Das bedeutet aber eben nicht, dass auch weniger Menschen an TB erkranken. Die unbehandelten TB-Betroffenen werden die Tuberkulose weiterverbreiten und viele von ihnen werden – da wir sie womöglich zu spät finden – auch an der Tuberkulose sterben.

Ein klarer Rückschlag in der Tuberkulose-Bekämpfung?

Dietrich: Sicherlich ist Corona ein Aspekt, warum die Ziele im Kampf gegen die Tuberkulose nicht eingehalten werden konnten – aber als alleinige Entschuldigung kann sie nicht gelten. Schon vor Ausbruch der COVID-19- Pandemie war klar, dass der Fortschritt zwar da ist, aber nicht ausreicht. Zum Beispiel wurde auch das Ziel, die Todesopfer durch TB um 35 Prozent bis 2020 zu reduzieren, mit einer Reduktion um 14 Prozent Ende 2019 verfehlt. Von 2018 bis 2022 wollte man 40 Millionen TB-Patient*innen behandeln, doch in den vergangenen zwei Jahren erhielten nur etwa 14 Millionen eine Behandlung.

Auch ein Erfolg, aber sicher kein ausreichender. Gibt es denn auch positive Nachrichten?

Dietrich: Doch, die gibt es. In den letzten Jahren hat sich viel getan: Die Tuberkulose-Forschung wurde intensiviert, es wurden neue Medikamente zugelassen und es gibt neue Tests zur Diagnose. Zudem wurden die Teilziele der WHO-Strategie im Bereich Finanzierung bisher nahezu eingehalten. Und wenn man sich die TB-Fallzahlen in einzelnen Länder anschaut, werden sogar noch mehr Erfolge sichtbar: In 78 Ländern ist man auf dem besten Weg, das erste Ziel der Strategie zu erreichen und die Inzidenzen um 20 Prozent zu reduzieren. Darunter sind auch Länder wie Äthiopien, Tansania und Kenia, die in der Vergangenheit zum Teil sehr hohe TB-Zahlen hatten. 46 Länder werden auch das zweite Ziel, die Reduktion der TB-Todesopfer um 35 Prozent bis 2020 erreichen. Auch in Deutschland ist die Tuberkulose seit 2015 wieder um 19 Prozent zurückgegangen. Laut Robert-Koch-Institut hatten wir 2015 eine Inzidenz von 7,1 und 2019 eine von 5,8 mit insgesamt 4.791 registrierten TB-Fällen.

Und wer ist in Deutschland von Tuberkulose betroffen?

Dietrich: Tuberkulose ist – wie überall auf der Welt – eine Krankheit der Armen.

Es trifft auch bei uns diejenigen, die in armen, unhygienischen und beengten Lebensverhältnissen leben müssen, die an Mangelernährung oder anderen schweren Krankheiten oder Suchtproblematiken leiden. Es trifft die, die sowieso schon ums Überleben kämpfen müssen. Die Nationalität spielt dabei keine Rolle. Dass die Fallzahlen in Deutschland relativ niedrig sind, hat damit zu tun, dass es den meisten Menschen in unserem Land relativ gut geht. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn die Armut auf der Welt verringert würde, ginge mit Sicherheit auch die Tuberkulose zurück.

Inwiefern wird dieser Zusammenhang in der globalen Strategie zur Beendigung der TB berücksichtigt?

Dietrich: Die Beendigung der drei gefährlichsten Infektionskrankheiten

Tuberkulose, Malaria und Aids wurde im September 2015 als eigenes Ziel in die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung aufgenommen. Aber auch nahezu alle anderen der 17 „Sustainable Development Goals“ (SDGs) hängen eng mit der TB zusammen: Armut beenden, Ernährung sichern, Gesundheit, Bildung, menschenwürdige Arbeit, Wasser und Sanitärversorgung für alle, Ungleichheit verringern, Klimaschutz, Frieden und Gerechtigkeit fördern. Solange wir noch keine Impfung haben, die Menschen davor bewahrt, an Tuberkulose zu erkranken, ist die Bekämpfung der Armut das wirksamste Mittel, um die Tuberkulose zurückzudrängen.

Zur Person:

Zur Person: Sebastian Dietrich, 1967 geboren in Ost-Berlin, ist Tropenmediziner, Public- Health-Berater und hat einen Master in International Health. Seit Oktober 2019 bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe als medizinischer Berater tätig und seit Ende 2020 zudem Leiter des Regionalteams für Lateinamerika. Zuvor war Dietrich viele Jahre für verschiedene Nichtregierungsorganisation (Misereor, Diakonie Deutschland, Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e.V.) in zahlreichen Ländern Afrikas und Asiens im Einsatz und verantwortete die Planung und Betreuung von mehreren Gesundheitsprojekten und Kontrollprogrammen, insbesondere im Bereich der Lepra und Tuberkulose. Zehn Jahre lang arbeitete er für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (Médecins Sans Frontières, MSF) und war hier unter anderem für die Tuberkuloseprogramme in Ost-Europa und Zentralasien zuständig. Im Rahmen seiner Arbeit lebte er mehrere Jahre in Afghanistan und im Sudan. Heute wohnt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin.


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Welt-Tuberkulose Tag

Obwohl die bakterielle Infektionskrankheit vermeidbar und behandelbar ist, versursacht sie nach wie vor großes Leid und fordert unzählige Menschenleben.