19. November 2012

Endlich gefördert und gefordert

In Tharamangalam / Indien können Kinder mit Behinderungen ihre Fähigkeiten entwickeln.

Zuerst war es eine Einrichtung für Kinder von Leprakranken. Heute stehen die Türen für alle jungen Menschen mit Behinderung offen. Ein Beispiel für die Projektarbeit der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.

Ramana ist ein Kugelblitz. Obwohl ihn seine dürren Beine mit den Sichelfüßen nicht tragen, obwohl er seine schmächtigen Arme nicht nutzen kann, ist der Neunjährige flink wie ein Wiesel. Aufrecht stehen kann Ramana nicht. Doch wenn ihn seine Lehrerin Revathi bittet, ein Buch oder die Zeitung zu holen, „flitzt“ er durch Flure und Klassenzimmer.

Seinen Körper seitwärts drehend rollt er über den Boden, schneller als Jivan, Keerthana, Achya und all die anderen Kinder an der Sankt Jude’s School. In dem Heim für behinderte Kinder schleppen sich die meisten Jungen und Mädchen nur krabbelnd oder an Krücken vorwärts.


 

So können Sie helfen:

Mit Ihrer Spende können z.B. Gymnastikbälle und -matten zur Schulung motorischer Fähigkeiten für die Kinder angeschafft werden.


Stolz zeigt Ramana wie gut er schreiben kann.

Seit frühen Kindertagen leidet Ramana unter einer Zerebralparese, einer Schädigung des Gehirns, die sein Nerven- und Muskelsystem und seine motorische Koordination massiv beeinträchtigt. „Als Ramana zu uns kam, war er launisch und aggressiv und trat nach den anderen Kinder“, erzählt die Heilpädagogin Revathi. „Aber dem Jungen fehlte es nicht an Intelligenz, er wurde bloß nie gefördert und gefordert.“ Heute kann Ramana die Wochentage unterscheiden, die Uhrzeit nennen, zählen und einfache Sätze schreiben. Dazu benutzt Ramana seine Füße. Den Stift zwischen die Zehen geklemmt, bringt er mühelos seine Adresse zu Papier: das Ecomwel Orthopaedic Centre im südindischen Tharamangalam.

Für Kinder von Leprakranken

Vor 26 Jahren wurde die Einrichtung ins Leben gerufen. Der Grund: anstatt die Kinder von Leprakranken auszugrenzen, sollte ihnen der Zugang zu schulischer Erziehung ermöglicht werden. Gerade die ärmsten Bevölkerungsschichten leiden in Indien unter eklatanten Bildungsdefiziten. Ohne Hilfe ist für Kinder von Leprakranken Bildung oft ein unerreichbares Gut.

Auf dem Land, etwa in der Region von Tharamangalam, können sechzig Prozent der Erwachsenen nicht Lesen und Schreiben. Um die Analphabetenquote zu senken, initiierte die indische Regierung die Kampagne „Bildung für Alle“, ein Programm, das besonders Kindern mit Behinderungen helfen soll.

Revathi fördert jedes Kind.

Ihre Zahl erschreckt. 140 Kinder leben und lernen in der Sankt Jude´s Schule. Doch der Bedarf an pädagogischer Betreuung und liebevoller Fürsorge ist ungleich höher. Tharamangalam liegt im Distrikt Salem, der mehr als 6.000 geistig und körperlich behinderte Menschen unter vierzehn Jahren zählt. Darunter Blinde, Taubstumme und Gelähmte, Autisten oder Spastiker. Auffallend viele Jungen und Mädchen werden mit Hirndefekten geboren. Im engsten Umkreis von Tharamangalam sind Ecomwel 280 solcher Kinder bekannt.

Eine Folge, so Ecomwel-Direktor Antony Lawrence, eines harten Überlebenskampfes der Eltern. „Hochschwangere Frauen arbeiten noch auf den Feldern und gebären ihre Kinder unter ärmlichsten Bedingungen ohne ärztliche Betreuung.“ Tausende Eltern sind mit der Behinderung ihrer Kinder überfordert.

Sandyas Stärke und Lebensfreude

Dass behinderte Kinder mehr vermögen als ihnen ein flüchtiger Blick zutraut, beweist Sandya. Mit siebzehn ist das Mädchen die älteste Bewohnerin der Heimschule, aber auch die kleinste. Obwohl Sandya nur liegen kann, widerlegt sie die törichte Annahme, ein gesunder Geist bedürfe eines gesunden Körpers. Sandyas Leib ist von der grausamen Glasknochenkrankheit deformiert.

Behutsam wird Sandya getragen.

Ihre Glieder sind so oft gebrochen, dass sie behutsam getragen werden muss. Dennoch zeigt Sandya den Unversehrten auf beeindruckende Weise, was möglich ist. Sie ist die beste Vorleserin ihrer Klasse, parliert auf Hindi und Englisch, steckt alle mit ihrer Fröhlichkeit an und erteilt mit energischer Stimme die Befehle bei der obligatorischen Flaggenparade am Sonntagvormittag. Und fragt man sie morgens, mittags oder abends nach ihrem Befinden, dann schaut sie einen lächelnd an und sagt: „Danke der Nachfrage. Mir geht es gut.“

Sandya ist die beste Vorleserin der Klasse.


Erfahren Sie mehr:

Das Ecomwel Orthopaedic Centre in Tharamangalam

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