21. März 2019

„Für meine Familie existiere ich nicht mehr!“

Hermes Barrera ist mit den DAHW-Mitarbeiterinnen auf dem Weg zu seiner „Ranchito“. Auch das Gehen fällt ihm schwer. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Ein Lichtblick sind die regelmäßigen Besuche der DAHW-Mitarbeiter

Heute hat er Lepra, Tuberkulose und Knochenkrebs. Doch das ist längst noch nicht alles. Im Alter von drei Jahren erkrankte Hermes Barrera an Meningitis. Die Familie war arm, keiner kümmerte sich um seine Behandlung. Erst später erkannte man, dass er taub ist. Bis heute.

Der 60-Jährige sitzt neben seiner Schwester Julia Barrera. Tagsüber ist er zu Besuch bei ihr, in dem armen Viertel San Judas von Villa del Rosario nahe dem kolumbianischen Cucuta. Er trägt einen Mundschutz, um sein instabiles Immunsystem nicht noch mehr zu belasten. Denn jede weitere Ansteckung kann für ihn tödlich sein. Regelmäßig wird er von den Sozialarbeitern der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. aus dem nahen Cucuta besucht. Das Leben in der Grenzregion zu Venezuela ist nicht einfach, besonders seitdem viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland hier Sicherheit und ein neues Leben suchen. Es gibt eine hohe Arbeitslosenrate und die Preise für Grundnahrungsmittel sind gestiegen. Keine einfache Situation für Menschen, die gesund sind, geschweige denn für die, die an Krankheiten leiden. Wie Hermes Barrera. Von dem Rest seiner Familie wird er isoliert, vor allem seitdem seine Lepra-Erkrankung bekannt wurde. Jetzt, mit Tuberkulose, wird die Ausgrenzung noch offensichtlicher. „Ich lege mein Leben ins Gottes Hände“, flüstert er durch seinen Mundschutz hindurch. „Für den Rest meiner Familie existiere ich nicht mehr.“

Freud und Leid auf einmal

Freude bereiten ihm die Visiten der Sozialarbeiterinnen. „Wir sehen nach dem Rechten, wie die Medikamente wirken und ob er sie noch regelmäßig einnimmt“, sagt Krankenschwester Leidy Johanna Pineda Garaj. Die 34-Jährige liebt ihren Job, möchte Menschen helfen und begibt sich doch so oft in Gefahr. Denn dort, wo sie arbeitet ist es gefährlich. Es sind die Slums der Städte, wo der Drogenhandel floriert, dort, wo die Menschen von der Hand in den Mund leben. Und dort, wo es Gewalt gibt. Unberechenbare Gewalt. Doch sie weiß, dass sie gerade dort gebraucht wird, von Menschen, wie Hermes Barrera, die sonst niemanden mehr haben, der auf sie achtet. Martha Barbosa vom DAHW-Büro in Bogotá ist heute vor Ort. Barrera läuft mit ihnen durch die Straßen zu seiner ärmlichen Behausung, genannt „Ranchito“. Dort lebt er mit seiner Lebensgefährtin und anderen Personen. Auf der Straße sehen sich die beiden Sozialarbeiterinnen immer wieder um. Sie kennen die Anzeichen gefährlicher Situationen, wissen, dass sie ein potentielles Ziel für Überfälle sind. Auch wenn es nur darum geht, den Rucksack, die Tasche oder die Geldbörse zu klauen. Gefahren lauern überall.

„Ich lasse ihn nicht allein!“

Doch die Begleitung durch Barrera und seiner Schwester geben den beiden Frauen Sicherheit, denn man kennt die beiden Geschwister hier und wird nicht wagen, ihre Gäste zu überfallen. In der vernachlässigten Unterkunft gibt es weder fließendes Wasser noch Strom. Im Schlafzimmer übernachten in drei Betten sieben Personen, darunter drei Kinder. „Er ist mein Fleisch und Blut. Ich lasse ihn nicht allein. Schon als er klein war, kümmerte ich mich um ihn“, wird Julia Barrera später den beiden DAHW-Mitarbeiterinnen erzählen. Und dabei wird sie weinen. Aber erst dann, wenn es ihr Bruder nicht sieht. Denn seine Situation ist hoffnungslos. Das wissen alle. Aber weder seine zwei Jahre ältere Schwester noch die Sozialarbeiterinnen werden ihn aufgeben. Auch weiterhin werden sie den Mann unterstützen. Und auf ihn Acht geben. Denn die Arbeit der DAHW setzt oft erst dort an, wo andere längst versagen.