19. August 2005

"Ich werde sie nicht vergessen"

19.08.2005, Anne Will begegnet in Südsudan Menschen, die durchhalten. Schwester Miriam kam vor 22 Jahren aus Indien und versorgt seitdem Kranke.

Sie selbst hätte nicht gedacht, dass sie so lang bleiben würde, erzählt sie Anne Will. Auch Ordensbruder James, den Soldaten lange in Geiselhaft hielten, bleibt. Auch wenn er den Kommandeur, seinen Peiniger, noch häufig trifft.

08:20, Tonj Südsudan
Ankunft am Flughafen: Bewohner von Tonj erwarten Anne Will. Schwester Miriam ist vor 22 Jahren von Kerala im Süden Indiens in den Südsudan gekommen. Der Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd hatte gerade begonnen. Am Flughafen traf sie viele Ausländer, die das Land möglichst schnell verlassen wollten. Miriam blieb. Während überall geschossen wurde, kümmerte sie sich im Hospital um Kranke und Verwundete. Der Krieg tobte hier besonders schlimm. Die Region Bahr al Ghazal ist Stammland des Dinka-Volks und Hochburg der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA). Manchmal musste sie kurze Reisen unternehmen, sagt Schwester Miriam, auch die waren lebensgefährlich. Sie hätte eigentlich nicht gedacht, dass sie es bis heute schaffen würde und hält sich selbst - wie sie mit einem hintergründigen Augenzwinkern sagt - für eine der am stärksten traumatisierten Frauen des Südsudan. Ich denke, ihren Humor hat sie nicht verloren.

Ihr Ordensbruder James erzählt, wie er eines Morgens von Soldaten verschleppt wurde. Sie zwangen ihn, ihnen bis nach Äthiopien zu folgen. Das sind 1500 Kilometer. Zu Fuß. Die Soldaten wollten Lösegeld von seinen Eltern in Indien erpressen. Nach anderthalb Jahren Gefangenschaft willigte er ein - seine Mutter hatte nicht mehr lange zu leben. Er kehrte nach Indien zurück. Seine Mutter starb und er beschloss, sich trotz allem wieder auf den langen Weg nach Tonj zu machen. Den Kommandeur der Soldaten, seinen Peiniger, trifft er oft, er ist immer noch Kommandeur der SPLA in Tonj. Ob er sich für die Verschleppung nicht rächen wollte, hat er James eines Tages unsicher gefragt. Das will er nicht. Aber seit seiner Rückkehr hat James Tonj nicht mehr verlassen. Er muss fürchten, dass das Krankenhaus und die Schule, die er leitet, dem Kommandeur dann schutzlos ausgeliefert wären.

 

Anne Will hisst die südsudanesische Flagge, links von ihr Bruder James.

09:00, Don Bosco-Schule
Vor mir haben sich 800 Schüler auf dem Hof aufgestellt, die Band spielt "When the saints go marchin’in". Als die Musik vorbei ist, fordert mich Bruder James auf, die südsudanesische Flagge zu hissen. Eine besondere Ehre für einen Gast, sagt er, und strahlt mich an. Das habe ich noch nie gemacht. Ich ziehe an dem schweren Hanfseil, und die neue Flagge wandert langsam nach oben. Nun gut. Sie weht nicht wirklich im Wind, aber immerhin, es ihre eigene Fahne. Die Schüler sprechen ein Gebet, danach verschwinden sie in den aus Stein und Lehm gebauten Klassenzimmern. Heute gibt es Zeugnisse.

 

Auf der Fahrt über die schlammigen Pisten bleiben Autos häufig stecken.

10:10, auf dem Weg nach Bapchu
Unser Fahrer scheint tatsächlich einen Weg zu erkennen. Ich sehe nur meterhohes Gras. Tonj ist eine Siedlung im Busch. Ab und zu rumpeln wir an einer der verstreuten Hütten vorbei. Es hat geregnet vergangene Nacht, wir brettern durch tiefe Pfützen und Matsch. Michael Lavore, ein Ingenieur aus Ghana, will uns einen Brunnen in Bapchu zeigen. Michael ist am Morgen die 40 Kilometer von seinem Haus nach Tonj gefahren. Mit seinem Jeep hat er dafür zweieinhalb Stunden gebraucht. Es gibt ohnehin nur wenige Straßen im Südsudan. Keine von ihnen ist asphaltiert. In der Regenzeit aber sind viele Orte ganz von der Außenwelt abgeschnitten, weil selbst die Flugfelder unter Wasser stehen. Für diejenigen, die Hilfsgüter in die Region bringen wollen, ist das ein riesiges Problem.

In Bapchu begrüßt uns Dorfchef Michael Machar. Stolz zeigt der alte Mann uns die eiserne Handpumpe, mit der das Wasser aus 95 Metern Tiefe nach oben geholt wird. Bis zu 700 Liter holen die Frauen aus Bapchu und den umliegenden Dörfern jeden Tag nach oben. Für die Menschen in großem Umkreis ist der Brunnen von Bapchu die einzige Quelle unverseuchten Wassers. Machars Leute haben sich hier niedergelassen, als der mit Hilfsgeldern aus Deutschland gebaute Brunnen vor einem Jahr fertig wurde.

 

Am Brunnen von Bapchu pumpen die Frauen täglich 700 Liter Wasser.

Davor sind sie ziellos durch den Südsudan gezogen, auf der Flucht vor den Angriffen der Armee aus dem Norden und auf der Suche nach Nahrung und Wasser. Noch regnet es. Aber in einem halben Jahr wird vom saftigen Grün, das uns in Bapchu umgibt, nichts mehr zu sehen sein. Dann leiden alle Durst. Aus Seen und Sümpfen hätten sie in der Not ihr Trinkwasser geholt, erzählt Machar. Viele tranken mit dem Wasser die Larven des Guinea-Wurms, der sich vom Magen in die Blutbahn ausbreitet. Nach einem Jahr im Körper ist der Wurm ausgewachsen und bohrt sich durch die Haut nach außen. Dann muss der lange Wurm über Tage hinweg auf ein Stück Holz gewickelt werden, langsam, damit er nicht zerreißt. Eine grauenhafte Vorstellung. Die Schmerzen müssen sehr groß sein. Im Grundwasser kommen die Larven zum Glück nicht vor.

Ein alter Krieger ergreift das Wort. Der stolze, in ein blaues Gewand gehüllte Mann spricht vom Frieden. Alle hoffen, dass dank ihm schon bald noch mehr Brunnen gebaut, mehr Unterricht gegeben, mehr Kranke verarztet werden können. Niemand hier will einen neuen Krieg.

Am Flughafen steigen wir in unsere Propellermaschine, um heimwärts zu fliegen. Von oben betrachtet wirkt das grüne Dickicht des Südsudan wie verlassen. Doch irgendwo dort unten leben Familien und hoffen auf eine andere, eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Ich bin sehr froh, einige von ihnen kennen gelernt zu haben und werde sie nicht vergessen.

"Gemeinsam für Afrika” ist eine gemeinschaftliche Aktion von 33 Hilfsorganisationen. Anne Will ist Botschafterin der Aktion, Schirmherr ist Bundespräsident Horst Köhler. Mehr Informationen unter www.gemeinsam-fuer-afrika.de

DAHW-Spendenkonto 9696
Sparkasse Mainfranken, Würzburg
BLZ 790 500 00

Text: Marc Engelhardt
Fotos:Thomas Einberger