16. März 2016

Indien: Jedes einzelne Leben zählt

Leben mit Tuberkulose im Armenviertel von Jaipur, Mentoren helfen den Patienten durch die lange Therapie

Es ist Anfang Februar, am frühen Mittag in Jaipur im Norden Indiens. Für indische Verhältnisse sind es kühle und trockene 25 Grad. Der Himmel ist klar. Zusammen mit Kollegen der indischen Sektion der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe gehen wir in ein Armenviertel. Hier hat die DAHW Aufgaben in der Tuberkulosebehandlung übernommen, die der Staat einfach nicht leisten kann. Wir wollen eine junge Frau besuchen, die an Tuberkulose erkrankt ist.

Nachdem uns das Auto nicht mehr weiterhilft, weil die Gassen zwischen den dreistöckigen dicht an dicht ineinandergreifenden Gebäuden zu eng werden, gehen wir zu Fuß weiter  – durch ein Gewirr von kleinen Wegen, Treppen, ständig Mopeds und Fahrrädern ausweichend, zwischen frei laufenden Hausschweinen und Ziegen, die sich von den Abfällen in den Straßen ernähren. Vorbei an hunderten kleinster Handwerksbetriebe, meist ein Raum, offen zur Straße. Hier findet sich vom Drucker bis hin zum Schreiner so ziemlich alles an Gewerbe. Horden von Kindern umringen uns: „Where do you come from? Photo, photo!“

Bis wir unser Ziel erreichen, durch ein niedriges schmales Treppenhaus gelangen wir in den dritten Stock. Es ist so dunkel, dass wir die Taschenlampe eines Handys anmachen. Auf jedem Stockwerk sind kleine Einraumwohnungen. Die Bewohner teilen sich eine Toilette, ein Waschbecken und eine kleine Kochstelle auf dem Flur. Die Menschen sind nicht immer erfreut über die „Fremden“, die da halb durch ihre Wohnzimmer laufen. Bis wir die Wohnung der 16-jährigen Rani G1. erreichen, die hier mit ihrer Mutter lebt. Beide begrüßen uns überglücklich.

 

 

 

Rani mit Mutter und Mentor
Foto: DAHW/Harald Meyer-Porzky

 

 

 

 

Rani hat Tuberkulose, seit fast anderthalb Jahren. Doch die normalen Medikamente wirkten nicht. Das Mädchen hat einen gegen mehrere Antibiotika resistenten Erreger in sich. Die Behandlung mit einer Kombination aus verschiedenen anderen Antibiotika wird ab jetzt zwei Jahre dauern. Viele Patienten halten die Behandlung nicht durch. Hören einfach auf, die starken Medikamente mit teils heftigen Nebenwirkungen täglich zu nehmen. Mehr als 80% sterben mit hoher Wahrscheinlichkeit. Deshalb hatte der indische Staat die DAHW gebeten, Rani in ihr Sonderprogramm aufzunehmen. Lange war Rani so entkräftet, dass sie nicht einmal mehr aufstehen konnte. Inzwischen fühlt sie sich besser.

 

 

Das Team der DAHW begleitet Menschen wie Rani durch die bis zu zwei Jahre andauernde Behandlung. Motiviert sie, täglich die Medikamente zu nehmen, trotz aller Nebenwirkungen. Dazu gibt es „Counsellor“, wir würden Mentoren sagen, die regelmäßig zu ihren Patienten gehen. Sie sind auch über Handy 24 Stunden am Tag erreichbar, denn nicht selten geraten die Patienten in eine psychische Krise, verlieren jeden Lebensmut. Aber auch bei banaleren Problemen des Alltags, wie etwa Streitigkeiten mit den Nachbarn, kann der Mentor sie unterstützen. Ranis Mentor heißt Deepak. Er ist einer der Mentoren, die in diesem Stadtteil von Jaipur zuständig sind. Längst ist er zu einem Freund der Familie geworden, dem sie absolut vertrauen.

 

 

Rani zeigt ein Bild aus glückllicheren Tagen
Foto: DAHW/Harald Meyer-Porzky

 

Neben dieser persönlichen Unterstützung bekommen Patienten wie Rani eine Nahrungsergänzung. Dazu hat das Team eine nährstoffreiche Mischung aus verschiedenen Getreiden entwickelt, die zusammen gemahlen und zu einer Art Fladenbrot oder Pfannkuchen verarbeitet, sehr schmackhaft ist. Der Effekt ist überzeugend. Die oft abgemagerten entkräfteten Patienten nehmen schnell wieder zu. Ihr Immunsystem stabilisiert sich und der Heilungsprozess verbessert sich ganz enorm.

Schon jetzt ist klar, dass sich dieses Konzept in Armenvierteln in ganz Indien bewähren würde. Der Staat ist sehr interessiert. Gleichwohl ist es eine Mammutaufgabe. Und es wird enormer Anstrengungen bedürfen, das umzusetzen. Allein, ganz ohne die Unterstützung von heimischen und ausländischen Hilfsorganisationen, wird Indien das sicher noch nicht schaffen.

Ranis Mutter träumt davon, dass Rani einmal Krankenschwester wird, denn sie wisse ja nun, was es bedeutet, krank zu sein. Daher glaubt die Mutter, dass sie eine ideale und einfühlsame Krankenschwester werden könnte. Rani kennt diesen Wunsch der Mutter, gesteht aber, dass sie am allerliebsten Lehrerin werden würde.

 

Das Leben findet auf engstem Raum statt
Foto: DAHW/Harald Meyer-Porzky

 

Rani ist besonders. Sie hat es geschafft, trotz ihrer Herkunft, trotz der Armut und ihrer Krankheit, bereits mit 16 Jahren die zwölfte Klasse abzuschließen, indem sie unter anderem zwei Klassen überspringen durfte, weil sie so gut war. Sie hätte damit Zugang zu einer Fachhochschule. Und der Traum von der Lehrerin oder Krankenschwester könnte wahr werden. Das Team hat gute Beziehungen zu einem staatlichen College und könnte Rani dort einen Platz vermitteln. Doch zunächst muss sie gesund werden.

- Harald Meyer-Porzky/DAHW

 

1Name von Redaktion geändert