29. November 2004

Indien: Maria die Trösterin

Vom kleinen Glück einer ausgestoßenen Frau

Magdalena hält ihre von  Lepra verstümmelten Hände aneinander. Die alte Frau kann sie nicht mehr zum Gebet falten, weil sie keine Finger mehr hat. In sich gekehrt sitzt sie in der Altenstation des Heilig-Herz-Hospitals vor einem kleinen Altar und betet. Die 75-jährige sucht täglich den Zuspruch der Heiligen Jungfrau in dem dunklen, von der Hitze Südindiens geschützten Raum des Lepra-Krankenhauses von Kumbakonam.

Die kleine Andachtsstätte ist einfach gehalten. Sie wird nur von einem Tuch geschmückt, auf dem auf deutsch "Maria Trösterin bitte für uns!" geschrieben steht. Eine deutsche Spenderin hatte es in der Ahnung vom Leid der Leprakranken genäht und dem Hospital geschenkt.

Lepra schreckte alle ab

Fast sechzig Jahre ist es her, dass Magdalena Madulai Maria in das heute von der DAHW mit unterstützte Lepra-Asyl kam. Und doch erinnert sie sich, als wäre es gestern. Der Schmerz von damals tut ihr noch immer weh: Als sie aufgehört hat zu beten, erzählt sie unter Tränen ihr Schicksal als "Aussätzige".

Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in einem indischen Dorf, schien ihr wie unzähligen anderen Mädchen ein Leben als Frau eines Kleinbauern und als Mutter vieler Kinder bestimmt. Sie heiratete mit 18 und war bald schwanger. Doch eines Tages entdeckte sie merkwürdige, gefühllose Flecken an ihrer Haut: Bald kam die schreckliche Gewissheit: Sie hatte Lepra. Als ihr Mann davon erfuhr, zögerte er nicht lange und verstieß sie. Das Recht hatte er. Auch bei ihrer alten Familie fand sie keine Zuflucht. Dass sie mittlerweile schwanger war, "Maria Trösterin bitte für uns!" kümmerte niemanden. Lepra schreckte alle ab.

Sie fand schließlich im Heilig-Herz-Hospital in Kumbakonam Zuflucht. Hier war sie keine Ausgestoßene mehr. Hier waren viele krank wie sie. Und auch die katholischen Schwestern fürchteten sich nicht vor ihr. Sie verbanden ihre Wunden, wenn sie sich an ihren Händen und Füßen verletzt hatte, in denen die Lepra jegliches Gefühl abgetötet hatte. Das Vorbild der aufopfernden Schwestern vor Augen, ließ Magdalena, die bislang zu den indischen Göttern gebetet hatte, sich taufen.

Die Schwestern halfen ihr auch bei der Geburt ihres Kindes. Magdalena hatte große Angst, dass sie ihre Tochter mit Lepra ansteckt. Doch sie zog die Kleine zu einer gesunden jungen Frau heran.  Magdalenas Krankheit schritt allerdings unaufhaltsam voran. Sie verlor ihre Finger und Zehen. Für sie kam die neue Medikamenten-Therapie, die Lepra heilbar machte, zu spät. Ihre Behinderungen waren schon zu weit fortgeschritten.

Zu Magdalenas Freude fand jedoch ihre Tochter Arbeit außerhalb des Hospitals und schließlich sogar einen Mann, der sich nicht daran störte, dass seine Frau eine "aussätzige" Mutter hat. Ihrer Tochter blieb das Schicksal als Ausgestoßene erspart.

Magdalena hat mittlerweile fünf Enkelkinder. Von ihrer Familie wird sie regelmäßig besucht. Ein Strahlen geht durch ihr von Lepra gezeichnetes Gesicht, wenn sie von den Besuchen erzählt. Diese Momente sind  das kleine Glück der alten Frau. Ein Glück, das in der Station, in der Magdalena mit fünf anderen leprakranken Frauen lebt, auch ein sehr großes Glück ist. Die anderen Frauen besucht niemand.