02. August 2018

JB 2017 - Sr. Dr. Ruth Pfau von Pakistan

Am 10. August 2017 verstarb die Lepraärztin und Ordensfrau Dr. Ruth Pfau im Alter von 87 Jahren in Pakistan und wurde ihrem Wunsch entsprechend in dem Land, das sie so sehr liebte, auch bestattet. In Form eines Staatsbegräbnisses erwies der pakistanische Staat ihr, der Christin und Ordensfrau in einem muslimischen Land, in Karachi die höchste Ehre.

Mehr als 50.000 Menschen wurden in Pakistan dank Dr. Ruth Pfau von Lepra geheilt. Bereits 1979 wurde sie zur Ehrenbürgerin und nationalen Beraterin Pakistans für Leprafragen im Rang einer Staatssekretärin ernannt. Für ihre aufopfernde Arbeit, auch bei der Nothilfe nach dem Erdbeben oder der Flutkatastrophe, hatte sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt auch den deutschen Fernsehpreis Bambi als „Stille Heldin“. Bis zu ihrem Tod hatte sich die Ärztin kämpferisch für Kranke und Ausgestoßene in Pakistan engagiert, sich für Menschenrechte, Völkerverständigung sowie die Achtung aller Religionen eingesetzt. Ihre ganz besondere Sorge galt in all den Jahren immer auch den pakistanischen Frauen, die es in der muslimischen Männer-Gesellschaft schwer haben, gerade dann, wenn sie unter Krankheiten wie Lepra oder Tuberkulose leiden.

In den 1960er Jahren baute Dr. Ruth Pfau eine moderne Spezialklinik in Karachi auf. Mit dem Marie Adelaide Leprosy Center (MALC) als Basis entstand in Pakistan ein flächendeckendes und bis heute funktionierendes Netz aus Lepra und TB-Stationen.

Von Anfang an spielten weder Glaubenszugehörigkeit noch Herkunft eine Rolle. Wer mithelfen wollte, war willkommen. So entwickelte sich eine für das streng muslimische Pakistan ungewöhnlich liberale und offene Kultur der ethnischen und religiösen Vielfalt im MALC, die bis heute anhält.

Es war, als ob Ruth Pfau Menschen mit ihrem Wirken „infizieren“ konnte. Wer dem einmal erlag, der folgte ihr sein Leben lang. Das galt in Pakistan und Afghanistan genauso wie in Deutschland, Europa oder dem Rest der Welt.

Dr. Ruth Pfau ließ niemals einen Zweifel aufkommen, was sie von jedem erwartete. Man musste sich entscheiden, ihren Weg zu gehen oder es zu lassen. Dazu brauchte es keine Belehrungen. Sie lebte es mit ihrem Einsatz vor. Sie war geduldig, wusste wie gut es tut, zu reden, zu erzählen. Nicht nur, um die Ausgrenzung, die Lepra- und TB-Patienten täglich erfahren haben, erträglicher zu machen, sondern auch, um den Menschen ihre Würde zurückzugeben. Sie berührte die Menschen und das war es auch, was sie von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartete. Für ihr Team in Pakistan ist es mehr als ein Auftrag, es ist ein Herzensanliegen, in ihrem Sinne und mit ihrer Haltung weiterzuarbeiten.

Das Team nennt sie: Sr. Dr. Ruth Pfau von Pakistan

Mervyn Lobo, der heutige Geschäftsführer des MALC war länger als zwei Jahrzehnte an ihrer Seite. Bis kurz vor ihrem Tod berieten sie sich jeden Morgen an sieben Tagen in der Woche. Er sagt über Dr. Ruth Pfau: „Sie war eine lebende Legende, die treibende Kraft hinter dem Lepra-Kontrollprogramm in Pakistan. Eine Frau, die aus Deutschland kam, blieb, half und nicht nur das Leprabakterium besiegte, sondern dabei die Herzen hunderter und tausender Menschen weltweit berührte. Wir möchten, dass sie für immer als „Sr. Dr. Ruth Pfau von Pakistan“ in Erinnerung bleibt.“

Um eine noch stärkere Lobby für all die zu schaffen, die heute noch unter Lepra leiden, hatte die DAHW Dr. Ruth Pfau vor einiger Zeit gefragt, ob sie „Ehrenbotschafterin der weltweiten Lepra-Arbeit der DAHW“ werden möchte. Ein Amt, das nicht mit zusätzlichen physischen Aufgaben verbunden sein sollte, darin waren sich DAHW und Ruth Pfau einig. Es ging vielmehr um die Botschaft an die Welt, Leprakranke nicht zu vergessen. Sie hatte dieses Angebot von Herzen gerne angenommen. „Ich kann die Sorge täglich fühlen, dass Lepra vergessen wird, zu einem Zeitpunkt, an dem wir uns das noch nicht leisten können!“ so Dr. Ruth Pfau damals. Die DAHW wird weiterhin alles unternehmen, um die weltweite Lepra-Arbeit und auch das Lebenswerk von Dr. Ruth Pfau weiterzuführen.

Ruth Pfau wurde am 9. September 1929 in Leipzig geboren. Sie hatte vier Schwestern und einen Bruder. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erkrankte ihr kleiner Bruder schwer und starb. Dieses traurige Ereignis brachte sie dazu, später Medizin zu studieren. Sie wollte helfen können. Mit 20 Jahren folgte sie ihrem Vater in den Westen. Dort studierte sie in Mainz und Marburg Medizin. Während ihrer Studienjahre war Ruth Pfau getrieben von der Suche nach einer bestimmenden Kraft für ihr Leben. Sie fand sie im christlichen Glauben. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, des beginnenden Wohlstands und Konsumrausches: Ruth Pfau wollte dem oberflächlichen Leben entfliehen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. 1951 ließ sie sich evangelisch taufen und konvertierte 1953 zum katholischen Glauben. 1957 trat sie dem Orden der „Töchter vom Herzen Mariä“ bei.

1960 sandte ihr Orden sie nach Indien, doch aufgrund von Visa-Problemen kam es zu einem längeren Zwischenhalt in Karachi/Pakistan. Sie erkundete die Stadt und schreckte nicht davor zurück, auch die Armenviertel zu besuchen. „Mein erster Besuch in der Leprakolonie von Karachi ist für mein Leben sehr entscheidend gewesen“, sagte Ruth Pfau einmal. Die junge Ärztin war entsetzt. Ausgestoßen und zum Sterben verdammt lagen unzählige ausgehungerte und von Lepra entstellte Menschen auf den Straßen. Nachts fraßen die Ratten buchstäblich die gefühllosen Hände und Füße der Patienten an. Ruth Pfau war klar, dass hier etwas geschehen musste. Sie entschied spontan, bei diesen Menschen zu bleiben und sagte später: „Dies ist der Platz, zu dem Gott mich geführt hat.“