27. Januar 2019

Koloniale Gesetze und die Bitterkeit des Lebens

Lepra Kolonie Sivananda (c) Fiechter

Es ist immer noch bittere Realität. Nicht nur am Welt-Lepra-Tag, der sich am 27. Januar zum 65. Mal jährt. Sondern 12 Monate oder 365 Tage pro Jahr.

In Indien werden immer noch Personen mit Lepra per Gesetz diskriminiert. Erst Mitte letzten Jahres hat sich eine Initiative gebildet, die sich auflehnt. Und der Oberste Gerichtshof hat im Zug dessen Klage gegen die Regierung erhoben. Das Ergebnis des Protestes gegen das in der Kolonialzeit mit insgesamt 119 Paragraphen entstandene Gesetz steht noch aus. Mit diesem Dekret steht Indien weltweit an einsamer Spitze.
Denn nach diesen Bestimmungen dürfen an Lepra Erkrankte weder staatliche Stellen besetzen noch Lebensmittel verkaufen.

Nun jedoch tut sich etwas in dem südasiatischen Land. Doch für Salini Raghu kommen diese Einwände zu spät. Sie sah sich jahrelangen Diskriminierungen ausgesetzt, als ihre Lepra-Erkrankung offensichtlich wurde.

Die 42-jährige Mutter von vier Kindern arbeitete in einer nahen Ziegelfabrik, als sie merkte, dass ihre Kräfte von Tag zu Tag mehr schwanden. Hinzu kamen andersfarbige Hautflecken und Augenprobleme. Schwellungen an den Händen und der Verlust an Mobilität und Orientierung vergrößerten ihr Leiden. Erst jetzt durfte sie einen Arzt aufsuchen, vorher erlaubte ihr der Ehemann keinen Besuch. Denn dann hätte sie an diesem Tag nicht arbeiten können, und der Verlust von 150 Rupien (ca. 1,85 Euro) Tageslohn würde ein empfindliches Loch in die Familienkasse reisen. Salini hat sich angepasst und stumm vor sich hin gelitten.

Ein unangenehm riechendes Geschwür am Bein war schließlich der Anlass, das Mann und auch die Kinder sich von ihr vollständig abwandten. Die Familie zog aus. Es war schließlich ein Nachbar, der Salini half und sie letztendlich in die von der DAHW unterstützte Reha-Zentrum Sivananda, rund 120 Kilometer von ihrem Heimatdorf entfernt, brachte. Mittlerweile hatte man auch ihre Lepra-Erkrankung erkannt.

Als sie die Behandlung begann, ahnte Salini nicht, dass sie zehn lange Monate dauern würde. Weder ihr Mann noch ihre Kinder besuchten sie während dieser schweren Zeit.

Das Gefühl des Verlassenseins beeinträchtigte sie so sehr, dass sie während der Behandlung einen heftigen Rückfall bekam. Sozialarbeiter des Reha-Krankenhauses brachten sich schließlich ein, sprachen mit den Angehörigen und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Nach über einem Jahr in der Klinik durfte sie nach Hause zurückkehren. Das Gesundheitspersonal hatte es geschafft: Die Familie vereinte sich wieder. Allerdings gaben zwei ihrer Kinder den Schulbesuch auf, um als Tagelöhner zu arbeiten. Denn Salini kann nicht mehr in die Ziegelfabrik zurück. Das Gefühl der Taubheit in ihrem Bein ist geblieben und ihren Job kann die 42-Jährige nicht mehr ausüben. Und das ist das Allerschlimmste für sie: Zu wissen, dass sie von nun an nur noch als Last für die Familie angesehen wird.

Salini ist nicht die einzige Betroffene. Genau wie die Eltern der von Lepra betroffenen Vidhy zweifeln viele, dass ihre Töchter jemals einen Mann zum Heiraten finden. Die Töchter verfallen angesichts dieses familiären Drucks in Depressionen und trauen sich ob ihrer „Hässlichkeit“ nicht mehr auf die Straße. Aus Scham über ihre Lepraerkrankung hat auch Darshana die Schule aufgegeben. Ihre Pläne, einmal Lehrerin zu werden, gab sie auf, denn sie wusste, was Stigmatisierung bedeutet. Ihre Eltern waren früher an Lepra erkrankt, und sie erinnerte sich noch sehr an deren lebendigen Erzählungen über die Tragik, auf der Schattenseite des Lebens zu stehen. Doch auch Darshana wurde schließlich behandelt und gerettet. Aus Freude darüber hat sie mit neuem Selbstbewusstsein das Studium wieder aufgenommen.

Es ist nicht nur das Gesetz aus den beiden letzten Jahrhunderten, das die Rechte von Lepra-Kranken einschränkt und sie als Stigmatisierte brandmarkt. Es ist auch die Nicht-Anerkennung und Ausgrenzung durch die heutige indische Gesellschaft, die Betroffene immer noch zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Durch den Einspruch des Obersten Gerichtshofes gibt es nun Hoffnung und ein Licht am Horizont. Auch, wenn der Prozess noch sehr lange dauern kann. Salini, Vidhi und Darshana wissen, dass letztendlich das Gesetz auf ihrer Seite sein wird.

Quelle: Die Recherchen von Jagpreet Knaur vom GLRA-Büro Indien.