21. Oktober 2014

Kompletter Zusammenbruch des Gesundheitssystems

DAHW-Mitarbeiterin berichtet per Telefon aus dem Krisengebiet

Ebola-Erkrankungen werden in den nächsten Wochen noch zunehmen. Nach Befürchtungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten jede Woche bis zu 10.000 neue Infektionen hinzukommen, sollte der Kampf gegen das tödliche Virus nicht binnen zwei Monaten verstärkt werden. Die Krankheit habe im Laufe einer Monatsfrist weitere Kreise und Distrikte in den betreffenden Ländern erfasst, die Sterberate sei auf 70 Prozent gestiegen.

Seit Ausbruch der Epidemie gab es 8.914 Erkrankte und Verdachtsfälle sowie 4.447 Tote. Allerdings gehe die Zahl der Neuinfektionen in den Brennpunkten der am stärksten betroffenen Länder Guinea, Sierra Leone und Liberia zurück. Einen Erfolg im Kampf gegen die Seuche zu sehen, ist jedoch viel zu früh.

„Wir trauen uns zu, mit unseren Teams vor Ort das Gesundheitspersonal auch in entlegenen Gebieten hinsichtlich Selbstschutz und Weitervermittlung der Erkrankten zu schulen“, sagt Burkard Kömm, Geschäftsführer der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe.


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In Guinea und Liberia ist die medizinische Behandlung zusammengebrochen. Frauen sterben zuhause bei Geburtskomplikationen, Kinder an unbehandelter Malaria. Kleinste Infektionen können ohne Versorgung tödlich sein. „Auch die Lepra- und Tuberkulosearbeit vor Ort ist zusammengebrochen. Unser primäres Ziel lautet daher, die normale Gesundheitsversorgung wieder einigermaßen zu stabilisieren“, betont Kömm.

 

Noch Anfang Oktober beschrieb Yvonne Harding telefonisch aus Freetown die Situation in Sierra Leone als Schreckensszenario.

1. Wie fühlen Sie sich gerade hinsichtlich ihres Landes, ihrer Umgebung, ihrem Team und ihren Mitmenschen?

Ich habe sehr große Angst vor Ebola. Als Teamleiter kann ich nicht einfach zuhause bleiben und versuchen, mich zu schützen. Ich muss mich zeigen, bei der Arbeit, in der Öffentlichkeit, gerade auch, um meine Mitarbeiter zu motivieren. Statt um 17 Uhr schließen wir zurzeit das Büro schon um 13 Uhr. So können die Mitarbeiter vor Einbruch der Dunkelheit zuhause sein. Denn einige wohnen weit von ihrer Arbeitsstätte entfernt. Außerdem schließen die Märkte zurzeit um 18 Uhr. Und meine Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, in Wohnnähe noch ihre Einkäufe tätigen zu können.

2. Können Sie und Ihr Team unter diesen Bedingungen überhaupt noch arbeiten?

Wir glauben an Gott. Das hilft. Wir wissen, dass die Situation sehr ernst ist. Wir erkennen es an den Schulen, die geschlossen sind, an der Angst, jemanden anderen zu berühren und sich dadurch anzustecken. Wir wissen an keinem Abend, ob wir überhaupt nach Hause können. Vielleicht wurde unser Wohnviertel gerade unter Quarantäne gestellt und wir haben keine Möglichkeit, hineinzukommen. Die wirtschaftliche Situation verschlimmert sich immens. Die Lebensmittel, auch die Grundnahrungsmittel verteuern sich, den meisten reicht ihr Lohn nicht mehr aus, sich und ihre Familien versorgen zu können. Die privaten Krankenhäuser sind fast alle geschlossen, nur die staatlichen sind noch geöffnet. Und das Gesundheitspersonal wird auch immer weniger.

3. Wie beeinträchtigt die Ebola-Epidemie Ihre Arbeit vor Ort?

Die Arbeit draußen haben wir zum großen Teil einstellen müssen. Ein Teil der Projektgebiete wurde unter Quarantäne gestellt, wir können da nicht hin. In Freetown sind schon viele Laborarbeiter an dem Virus gestorben. Es gibt eine „No touch policy“, das heißt, man darf sich gegenseitig nicht mehr berühren. Unsere Lepraarbeit kommt dadurch mehr oder weniger zum Stillstand. Ein Großteil der Bevölkerung glaubt, dass Ebola nicht nur durch Körperflüssigkeiten übertragen wird, sondern auch durch die Luft bzw. die Atemluft, durch Husten, Niesen, etc. wie Tuberkulose eben auch.

4. Inwieweit können Sie und Ihr Team in Präventionsmaßnahmen vor Ort eingebunden werden?

Das ist eine schwierige Frage. Jetzt, wo die ILEP ihre Unterstützung zusagt und uns in die Arbeit einbinden wird, müssen wir die Lage genau überdenken. Schutzanzüge bekommen wir von der DAHW geliefert. Das ist gut. Wir haben den klaren Vorteil, dass unsere Leute an die Ebola-Betroffenen herankommen. Durch die Lepraarbeit besteht ein Vertrauensverhältnis, das man nun gut nutzen kann.

Allen ist bewusst, dass weit mehr als die Hälfte der an Ebola-Erkrankten stirbt. Bis jetzt dachten wir daran, das Team bei der Aufklärungsarbeit mit einzubinden, ohne jegliche Berührung oder Behandlung der Betroffenen. Aber die Hemmschwelle ist sehr hoch.

5. Wie erklärt sich die Bevölkerung Ebola? Kennt sie die Ursachen?

Keiner in Westafrika hatte jemals etwas mit Ebola zu tun gehabt. Wir wundern uns über diesen immensen Ausbruch. Die Bevölkerung weiß immer noch viel zu wenig darüber. Zum Beispiel glauben sehr viele, dass Ebola durch Atemluft übertragen wird. Oder dass Flugzeuge und ihre Passagiere die Epidemie von Ost- bzw. Zentralafrika nach Westafrika gebracht haben.

6. Wie gehen traditionelle Heiler mit der Gefahr Ebola um? Besteht eine Möglichkeit, sie und die Dorfverantwortlichen in die Arbeit mit einzubinden?

Bis vor wenigen Monaten haben traditionelle Heiler Ebola-Kranke mit ihren Methoden behandelt. Als immer mehr von ihnen selbst gestorben sind und es auch noch zahlreiche Familienmitglieder getroffen hat, haben sie eingesehen, dass es besser ist, mit den Gesundheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Das wird ab August umgesetzt. Tatsache ist, dass die Heiler und die Dorfchefs einen großen Einfluss auf die Bevölkerung haben. Begonnen wurde diese Zusammenarbeit mit Treffen in den unterschiedlichen Distrikten. Zusätzlich wurden sie über entsprechende Hygienemaßnahmen unterrichtet. Um sie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, bekommen sie Seife, Trinkwasser in Beuteln und Nahrungsmittel wie Reis für die Dorfgemeinschaft.

7. Wie fühlen Sie sich persönlich in dieser Situation einer permanenten Gefahr und wie halten Sie die Anspannung durch?

Ich versuche mich zu schützen. Dazu gehört auch die Aufklärung meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir reinigen unsere Hände mit chloriertem Wasser. Dazu versuchen wir, das Büro immer sauber zu halten. Auch hier desinfizieren wir mit Chlor, auch die Türklinken in regelmäßigen Abständen. Wir besuchen weder Familienangehörige noch Freunde. Wir wissen von Fällen, wo Familien ihre Kranken zuhause verstecken. Das Risiko einer Ansteckung ist in fremden Häusern einfach zu groß. Ständig hören wir die Sirenen der Ambulanz von der Hauptstraße. Sie dringen bis zu uns durch. Wir wissen, dass sie Tote, Fast-Tote und Kranke transportieren, und das immerzu! Wir arbeiten hier unter permanenten Stress.

8. Welche Hilfe kommt vor Ort an?

Kubanische und chinesische Helfer sind bereits hier. Sie bringen Ausstattung und Medikamente. Ein Labor befindet sich ganz in der Nähe des Krankenhauses für unsere TB-Kranken. Hier führen die Südafrikaner Ebola-Tests durch.

Über Dr. Yvonne Harding:

Als Repräsentantin der DAHW unterstützt die Allgemeinmedizinerin Dr. Yvonne Harding das Nationale Lepra- und Tuberkuloseprogramm in Sierra Leone. Für die DAHW arbeitet sie fast fünf Jahre. Vorher war sie für andere Organisationen, zum Beispiel für Unicef, in Sierra Leone tätig.

Das Gespräch führte Sabine Ludwig.


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