28. Januar 2021

Lepra 2020 – COVID-19 beeinträchtigt Lepraaktivitäten weltweit

Untersuchung eines von Lepra Betroffenen. Foto: GLRA Sierra Leone

Das Jahr 2020 war kein gutes Jahr für Menschen mit Lepra. Obwohl es noch keine Zahlen zur weltweiten Entwicklung der Lepra im Jahr 2020 gibt, ist schon jetzt klar, dass einige der Erfolge der Lepraprogramme der letzten Jahre durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die medizinische Versorgung und Aktivitäten in den Gemeinden zunichte gemacht wurden.

Lepra und COVID-19

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie schränkten 2020 die jeweiligen nationalen Lepra- Kontrollmaßnahmen stark ein. Vielerorts konnten die Aktivitäten in Gemeinden und Familien von Menschen mit Lepra, wie Gesundheitsaufklärung, die aktive Fallsuche und die Postexpositionsprophylaxe wegen der Infektionsschutzmaßnahmen nicht mehr stattfinden. Die Diagnose und Therapie von neuen LeprapatientInnen und PatientInnen mit Leprareaktionen* war in den pandemiebedingt überlasteten Gesundheitseinrichtungen beeinträchtigt. Die Versorgung mit Lepramedikamenten wurde zunehmend schwieriger. Einige Länder meldeten, dass sie aufgrund von unterbrochenen Transportwegen nicht ausreichend Medikamente für die benötigte Kombinationstherapie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verfügung gestellt bekamen. So konnte nicht mit der Therapie aller neuen PatientInnen begonnen bzw. es mussten sogar Therapien unterbrochen werden. Auch unterstützende Rehabilitationsprogramme für LeprapatientInnen waren von den Maßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 betroffen. Das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lepraaktivitäten wird wohl erst im Herbst 2021 deutlich werden, wenn die WHO die neuen Zahlen der nationalen Lepraprogramme für das Jahr 2020 bekannt gibt. Aber schon jetzt melden einige Länder einen Rückgang der PatientInnenzahlen um etwa 50 %.

Der Trend des langsamen Rückgangs von Lepra setzte sich 2019 fort

Im September 2020 veröffentlichte die WHO einen Bericht zur weltweiten Entwicklung der Leprasituation im Jahr 2019 und rief zu einer Verstärkung der präventiven Maßnahmen auf.1

Der Trend der stetigen, wenngleich sehr langsamen Abnahme von Menschen bei denen Lepra neu diagnostiziert wird, setzte sich fort. 2019 wurden 202.185 neue Leprafälle registriert, 6.506 Fälle weniger als 2018. Allerdings gibt es regional große Unterschiede. In der Region Südostasien gab es in den letzten 5 Jahren einen stetigen Rückgang, während die Fallzahlen in anderen WHO-Regionen eher stagnierten oder sogar leicht zunahmen. In Indien erkrankten die meisten Menschen an Lepra (144.451) gefolgt von Brasilien (27.863) und Indonesien (17.439). In Deutschland wurde 2019 in Deutschland eine Lepraerkrankung gemäß Referenzdefinition übermittelt.2

Indikatoren für eine erfolgreiche Leprabekämpfung

Die Anzahl der neu an Lepra erkrankten Kinder ist ein Indikator für eine fortwährende Ansteckung mit Lepra. 14.981 Kinder (unter 15 Jahre) erkrankten 2019 an Lepra, etwa 1.000 weniger als ein Jahr zuvor. Das ist ein bemerkenswerter Rückgang um mehr als 6 % und damit ein wesentlich stärkerer Rückgang als bei Erwachsenen (2,8 %).

Trotz dieser ermutigenden Entwicklung wurden auch 2019 370 Kinder erst diagnostiziert, nachdem sich schon eine schwere Behinderung entwickelt hatte. Die Anzahl der Menschen, die bei der Lepradiagnose schon eine Grad-2-Behinderung (sichtbare, oft irreversible Behinderung) haben, ist ein weiterer wichtiger Indikator zur Beurteilung des Fortschritts bei der Leprabekämpfung, insbesondere für die frühe Fallfindung.

2019 hatten 10.813 Menschen zum Zeitpunkt ihrer Erstdiagnose eine Grad-2-Behinderung (2018: 11.323). Leider ist der Rückgang der Grad-2-Behinderungen, wie auch bei der Fallzahlentwicklung, auf die Region Südostasien beschränkt, während in den Regionen Afrika und Amerika die Anzahl neuer Leprafälle mit Grad-2-Behinderung in den letzten Jahren zunahm.

Noch differenzierter ist das Bild des prozentualen Anteils der Grad-2-Behinderungen unter den neu diagnostizierten LeprapatientInnen. Weltweit hatten 2019 etwas mehr als 5 % der Menschen zum Zeitpunkt der Diagnose eine Grad-2-Behinderung. Während der Anteil in der Region Südostasien bei etwa 3 % liegt, sind es in der Region Afrika seit vielen Jahren unverändert fast 15 %. In der Region Amerika nimmt der Anteil der Grad-2-Behinderungen seit Jahren stetig zu und lag 2019 bei 8,5 %.

In einigen afrikanischen Ländern ist etwa jeder dritte oder vierte Patient zum Zeitpunkt der Diagnose schwer behindert: Togo (30 %), Burkina Faso (35 %), Niger (25 %), Südsudan (23 %).

Insbesondere Frauen werden viel zu spät diagnostiziert. Traditionelle Verhaltensweisen, ihr oft niedriger Status innerhalb der Familie, die eingeschränkte Mobilität von Frauen, Analphabetismus und ein oft generell schlechterer Zugang zu Bildung sind wichtige soziokulturelle Faktoren, die für die Untererfassung von Leprafällen bei Frauen verantwortlich sind.3 Dazu kommt die Angst vor dem Stigma, das mit einer Lepradiagnose in vielen Gesellschaften einhergehen kann. Nur knapp 40% (78.625) der 2019 weltweit diagnostizierten Lepraerkrankungen entfielen auf Frauen. In der Region Afrika wurde sogar nur jeder dritte Leprafall bei einer Frau diagnostiziert.

Ohne Investitionen in die aktive Fallsuche, insbesondere bei Frauen, werden auch in Zukunft viele Menschen durch die verspätete Diagnose und Behandlung der Lepra lebenslang unter schweren Behinderungen leiden müssen.

Lepra-Postexpositionsprophylaxe

Die ermutigenden Ergebnisse weltweiter Studien zur Lepra-Postexpositionsprophylaxe (LPEP)** mit einer Einmaldosis Rifampicin von Kontaktpersonen zu Lepraerkrankten wurden im Oktober 2020 im Lancet veröffentlicht.4,5 Die von der WHO schon seit 2018 empfohlene LPEP wird in einer immer größeren Anzahl Länder implementiert. Weitere Studien untersuchen eine Postexpositionsprophylaxe mit der Gabe mehrerer Medikamente.6,7

Leider sind die Aktivitäten zum Leprascreening von Kontaktpersonen zu LeprapatientInnen und damit auch die LPEP in vielen Ländern auf Grund der COVID- 19-Pandemie zeitweise eingestellt worden. Zusätzlich wurden im Herbst 2020 Verunreinigungen von Rifampicin mit Nitrosamiden bekannt. Dies hatte zwar keinen Einfluss auf die Therapie von LeprapatientInnen, führte aber teilweise zum zeitweisen Stopp der LPEP-Aktivitäten.

Leprastrategie 2016 – 2020

2019 war das vorletzte Jahr der globalen und in den meisten Ländern umgesetzten „Leprastrategie 2016 – 2020“. Die drei zentralen Ziele dieser Strategie waren: 1. Keine Diagnose von Kindern mit Grad-2-Behinderung mehr, 2. Verringerung der neudiagnostizierten Leprafälle mit Grad-2-Behinderung auf unter 1 Fall pro eine Million Einwohner und 3. Weltweite Abschaffung von Gesetzen, die die Diskriminierung von Menschen mit Lepra erlauben.

Weltweit werden diese Ziele vorerst nicht zu erreichen sein, da 2019 noch 370 Kinder mit einer Grad-2-Behinderung und pro 1 Million Einwohner noch 1,36 Menschen mit Lepra und Grad-2-Behinderungen diagnostiziert wurden. Immerhin erreichten 2019 jedoch 78% der Länder bereits das erste Ziel und 70 % der Länder das zweite Ziel. Allerdings gibt es nach wie vor in 22 Ländern insgesamt 127 Gesetze, die die Diskriminierung von Menschen mit Lepra erlauben.

Im Oktober 2020 berieten und diskutierten in einer von der WHO initiierten dreitägigen virtuellen Sitzung 400 RegierungsvertreterInnen, Nichtregierungsorganisationen und von Lepra betroffene Menschen die neue „Leprastrategie 2021 – 2030“.8 Diese neue globale Leprastrategie beinhaltet erstmalig das Ziel, die Krankheit in vielen Ländern zu eliminieren. Kernpunkte sind die Ausweitung der Lepraprävention durch aktive Fallsuche und Postexpositionsprophylaxe. Diese neue Zielsetzung soll bewirken, dass die Eliminierung von Lepra nun auch in niedrig-endemischen Ländern ernst genommen wird. Auch das Thema Rehabilitation hat in der neuen Strategie große Relevanz. Wichtig bleibt, Betroffene in alle Bereiche der Leprakontrolle einzubeziehen. Viele LeprapatientInnen sind auch nach Beendigung der Behandlung weiterhin physisch oder durch ihre Erfahrungen während der Erkrankung psychisch beeinträchtigt.

Diese Neuausrichtung der Leprastrategie ist in der kürzlich verabschiedeten Neglected Tropical Diseases (NTD) Roadmap verankert.9


* während oder nach der Therapie akut auftretende Immunreaktion

** Siehe auch Epidemiologisches Bulletin 4/2020 unter www.rki.de/epidbull.

Zuerst veröffentlicht im Epidemiologisches Bulletin 4/2021(RKI - Archiv 2021)

Literatur

1 Global leprosy (Hansen disease) update, 2019: time to step-up prevention initiatives, www.who.int/publications/i/item/who-wer9536

2www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2019.pdf

3 RashmiSarkarMD, SwetalinaPradhan, Leprosy and women, International Journal of Women’s Dermatology, Volume 2, Issue 4, December 2016, Pages 117-121, www.sciencedirect.com/science/article/pii/S235264751630020X

4 Richardus JH, Tiwari A, Barth-Jaeggi T, et al: Leprosy post-exposure prophylaxis with single-dose rifampicin (LPEP): an international feasibility programme. Lancet Glob Health. 2021 Jan;9(1):e81-e90. DOI: 10.1016/S2214-109X(20)30396-X. Epub 2020 Oct 29. PMID: 33129378.

5www.thelancet.com/action/showPdf= S2214-109X%2820 %2930512-X

6 Mieras, L.F., Taal, A.T., van Brakel, W.H. et al: An enhanced regimen as post-exposure chemoprophylaxis for leprosy: PEP++. BMC Infect Dis 18, 506 (2018). doi.org/10.1186/s12879-018-3402-4

7 Ortuno-Gutierrez, N., Younoussa, A., Randrianantoandro, A. et al: Protocol, rationale and design of PEOPLE (Post ExpOsure Prophylaxis for LEprosy in the Comoros and Madagascar): a cluster randomized trial on effectiveness of different modalities of implementation of post-exposure prophylaxis of leprosy contacts. BMC Infect Dis 19, 1033 (2019). doi.org/10.1186/s12879-019-4649-0

8 World Health Organization (2020).Global consultation of National Leprosy Programme managers, partners and affected persons on Global Leprosy Strategy 2021–2030, www.who.int/publications/ i/item/9789290228226

9 World Health Organization (2020). Ending the neglect to attain the sustainable development goals: a road map for neglected tropical diseases 2021–2030. World Health Organization. https:// apps.who.int/iris/handle/10665/332094

Autorin und Autor Sebastian Dietrich | Dr. Christa Kasang DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.