Frau Dr. Kasang, wann wird es einen Lepra-Impfstoff geben?
Es gibt ihn bereits – er ist aber noch nicht zugelassen. Leider haben wir durch Verzögerungen während der Corona-Pandemie fast fünf Jahre verloren, aber in diesen Tagen beginnt eine wichtige neue Phase des Zulassungsverfahrens: Bisher haben wir den Impfstoff nur in den USA auf Verträglichkeit getestet, das heißt, die Proband:innen hatten sicherlich noch nie in ihrem Leben Kontakt zu Lepra, weil die Krankheit in den USA quasi nicht vorkommt. Die nun beginnende Testphase wird aber in Brasilien stattfinden, einem Land, in dem es 2023 rund 23.000 neue Lepra-Fälle gab. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Proband:innen schon jemand Kontakt zu Lepra hatte und davon erhoffen wir uns neue Erkenntnisse. Wenn alles gut läuft, könnte der Impfstoff in etwa zehn Jahren zugelassen werden.
Was erhoffen Sie sich von der Lepra-Impfung?
Der Impfstoff kann im besten Fall sowohl zur Prävention als auch zur Behandlung eingesetzt werden. Aktuell behandeln wir Lepra mit einer Antibiotika-Therapie und verabreichen Kontaktpersonen eine medikamentöse Prophylaxe. Diese Post-Expositions-Prophylaxe, auch PEP genannt, die 2018 von der WHO empfohlen wurde, war für uns der erste große „Gamechanger“ bei der Lepra-Bekämpfung. Ein zugelassener Impfstoff könnte einen zweiten, riesigen Unterschied machen – und im Endeffekt dafür sorgen, dass Lepra endgültig besiegt wird.
Warum wäre der Effekt so groß?
Einfach ausgedrückt: Weil die Betroffenen so schwer zu finden sind. Lepra betrifft oft Menschen, die abseits der großen Städte in schwer zugänglichen Regionen leben, sei es im Uluguru-Gebirge in Tansania, in Krisenregionen wie dem Jemen oder in den Nuba-Bergen im Sudan, wohin kaum eine Straße führt. Aktuell können sich Menschen, die eine Post-Expositions-Prophylaxe bekommen haben, jederzeit wieder mit dem Lepra-Bakterium infizieren. Das macht eine regelmäßige prophylaktische Behandlung notwendig. Unsere Teams müssen also häufig beschwerliche und komplizierte Reisen unternehmen, um die endemischen Gebiete zu erreichen. Bei einem Impfstoff hingegen gehen wir von einem Schutz aus, der bis zu zehn Jahre anhalten könnte.
Man könnte also Ressourcen nachhaltiger einsetzen?
Ja, und schließlich das schaffen, was jetzt zum Beispiel bei den lebensgefährlichen Pocken erreicht wurde, die früher weit verbreitet waren: Dass wir wirklich keine neuen Fälle mehr sehen, weltweit. Aktuell wird die Behandlung der Risikogruppen mit PEP immer wieder unterbrochen – weil wir zum Beispiel im Krisen- oder Katastrophenfall nicht in die endemischen Regionen gehen können, keine aktive Fallsuche durchführen können und keine Prophylaxe ausgeben können. Dort beobachten wir, dass sich Lepra wieder verbreitet.