10. Januar 2020

Reportage: Lepra in den Köpfen der Menschen ankommen lassen

Das kleine Gesundheitszentrum im Stadtteil Barrio Socorro, eine knappe Autostunde von der malerischen Altstadt Cartagenas entfernt. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Ein Verein hat sich mit entsprechender Aufklärung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt

Lepra lebt! Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden 2018 wieder rund 210.000 neue Fälle weltweit registriert. Über 11.000 der betroffenen Menschen haben bereits leprabedingte, eigentlich vermeidbare Behinderungen. „Wie bei vielen anderen vernachlässigten Tropenkrankheiten fehlt es auch bei Lepra vor allem an Aufmerksamkeit und in der Folge an finanziellen Mitteln – für eine intensive Forschung, den Aufbau einer adäquaten und für alle zugänglichen Gesundheitsversorgung und der Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse besonders gefährdeter Personengruppen“, stellt Burkard Kömm, Geschäftsführer der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V., anlässlich des 66. Welt-Lepra-Tages fest. Aber es gebe Grund zur Hoffnung: „Sektorübergreifende Kooperationen verschiedenster Lepra-Akteure, Fortschritte in der Forschung und weiterentwickelte inklusive Ansätze in der Projekt-Arbeit bringen uns dem Ziel einer leprafreien Welt deutlich näher.“

Ortswechsel Nordkolumbien. Trotz des leichten Regens ist es schwülwarm. Cartagena de Indias ist für seine vielen Besucher eine magische Stadt, denn hier lebte und wirkte Kolumbiens bekanntester Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez. Täglich zieht die Altstadt zahlreiche Touristen an. Sie alle sind auf der Suche nach Santiago Nasar, Aureliano Buendia oder Bunuel, die Charaktere in Marquez Romanen. Und nach dem berührenden kolonialen Ambiente, von dem der lateinamerikanische Geschichtenerzähler so wunderbar zu berichten wusste.

Nur eine knappe Autostunde von der Altstadt Cartagenas entfernt sieht das Leben ganz anders aus. Hier herrscht nüchterne Realität, die Menschen können sich oft nur mit zwei oder drei Jobs über Wasser halten, existieren von einem Tag auf den anderen und versuchen, das Leben zu stemmen so gut es geht. Und wenn noch eine Krankheit hinzukommt, ist die Situation der Betroffenen fast ausweglos.

Im Stadtteil Barrio Socorro ist das Würzburger Hilfswerk DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. ganz nah dran an den Menschen und ihren Schicksalen. Es gibt sie noch, die Krankheit Lepra, auch wenn selbst die meisten Kolumbianer gar nicht wissen, dass sie nach wie vor existiert. Es sind Menschen, die selbst an der Krankheit gelitten, sie überwunden haben und jetzt für die anderen da sind. Die anderen sind die, die den Lepra-Erreger bereits in sich tragen oder sich davor schützen wollen.

Viele Besucher im Gesundheitszentrum

Das kleine, von der DAHW unterstützte Gesundheitszentrum ist überfüllt. Und das ist gut so, denn je mehr Menschen zu den Aufklärungsveranstaltungen kommen, desto mehr wird die biblische Krankheit in den Köpfen der Bevölkerung präsent. Dr. Rodolfo Llinas Castro hat zurzeit acht Leprapatienten in Behandlung, weitere 105 haben ihre Behandlung abgeschlossen. Seit vier Jahren ist der junge Arzt dabei und engagiert sich für das Nationale Lepraprogramm.

Einen Teil seines Know Hows hat er von Dr. Libardo Gomez, dem medizinischen Berater der DAHW in Kolumbien, bekommen. Er profitiert von den Erfahrungen des Älteren und genießt große Anerkennung unter den Patienten.

Man erkennt sie an ihren roten T-Shirts. Ehemalige Leprapatientinnen und –patienten, die sich erst zu einer Selbsthilfegruppe und nun zum Verein ASOHANBOL zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: Menschen, die an Lepra erkranken, zu helfen. Oder besser noch, über die Krankheit aufklären und Prävention betreiben. Denn es gibt nur ein Mittel, spätere Amputationen und weitere Beeinträchtigungen zu vermeiden: Aufklärung und eine rasche Behandlung.

Biblische Krankheit

Elsa Lozano Zarate ist seit 2009 dabei. Die Präsidentin des Vereins hatte selbst nie Lepra. Sie wusste wie viele andere nichts davon, bis ihr Mann daran erkrankte. Für sie war klar, dass sie sich von nun ab auch für andere Menschen einsetzen wollte. Seitdem spricht sie mit weiteren ehemaligen Leprapatienten auf rund 40 Veranstaltungen pro Jahr. „Das gibt uns so viel. Wir haben enorm an Persönlichkeit gewonnen“, schwärmt die 61-Jährige. „Lepra ist eine hässliche Krankheit. Wir sehen die Patienten vor, während und nach der Behandlung. Wir lernen von ihnen und sie lernen von uns. Das ist es, was mich immer wieder begeistert.“ Jairo Payares Ruz spricht im Anschluss von einer sehr alten Krankheit und von deren Erwähnung im Neuen Testament. „Sie war schon den Aposteln Lukas und Matthäus bekannt.“

Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Dann erzählt der 58-Jährige von seiner eigenen Erkrankung im Jahr 2002. Sie begann mit einem weißen Hautfleck am Rücken. „Einmal musste ich den Arzt wechseln, dann bekam ich endlich die richtige Behandlung“, sagt er. Da waren bereits seine Füße und Hände betroffen. Er vermutet, dass er sich bei einem Arbeitskollegen angesteckt hatte. Während seiner Erkrankung verlor er den Job und spürte Ausgrenzung und Diskrimination.

„Heute will ich das Leben anderer Betroffener zum Besseren ändern und arbeite ehrenamtlich im Verein mit. Seit 2006“, strahlt der Schatzmeister und ergänzt, dass er dadurch eine „unglaubliche Glückseligkeit“ spüre. Genau dieses Gefühl kennt auch Vereinsmitglied Ayde Franco Castellan. Ihre Lepraerkrankung ist schon lange her. 2002 bekam sie die ersten Anzeichen. „Hautflecken, die wieder verschwanden. Aber dann wiederkamen. Das beunruhigte mich sehr“, sagt die heute 44-Jährige.

Die Schwangerschaft war wichtiger

Eine Schwangerschaft war wichtiger. „Erst nachdem mein Sohn geboren war, fing ich mit der Behandlung an.“ Sie zeigt auf ihre Finger, die sie nicht mehr strecken kann. Auch die Füße sind betroffen. Ihr Leidensweg führte schließlich in ein Engagement, dass „ich mit viel Liebe mache, denn ich bekomme dabei große Anerkennung und Dankbarkeit zurück.“ Heute ist sie im Verein Kassenprüferin.

Nach den Vorträgen schnellen viele Finger in die Höhe. Fragen werden gestellt und geduldig beantwortet. Anschließend bleiben die Besucher noch ein wenig und halten inne zum nachbarschaftlichen Plausch. Elsa, Jairo und Ayde stehen abseits und strahlen über das ganze Gesicht. Denn sie wissen, dass die Lepra jetzt endlich im Barrio Socorro angekommen ist. In den Köpfen der Menschen. Und das ist ganz allein ihr Verdienst.


Der Welt-Lepra-Tag wurde 1954 von Raoul Follereau, einem französischen Schriftsteller und Journalisten, eingeführt, um auf die Not der von Lepra betroffenen Menschen weltweit aufmerksam zu machen. Follereau widmete sein Leben der Bekämpfung der Krankheit, weshalb er als „Apostel der Leprakranken“ gilt. Der internationale Gedenk- und Aktionstag wird jedes Jahr am letzten Sonntag im Januar begangen - in Erinnerung an den Todestag von Mahatma Gandhi, der sich unter anderem für an Lepra Erkrankte engagiere. Heute ist der Gedenktag eine feste Institution in rund 130 Ländern der Welt: Viele religiöse und weltliche Organisationen starten Aktionen, um über Lepra aufzuklären und Spendengelder zu sammeln. In Deutschland nimmt die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. ihn traditionell zum Anlass, um zur Unterstützung aufzurufen.

Niemanden zurück lassen!