27. November 2005

"Marion Dönhoff Preis" Laudatio von Rupert Neudeck

Der Begründer von Cap Anamur, Rupert Neudeck, hielt die Laudatio auf Dr. Ruth Pfau, anlässlich der Verleihung des Marion Dönhoff Preises.

27. November 2005, Deutsches Schauspielhaus in Hamburg

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!

"Es ist schön ein hungerndes Kind zu sättigen“ (Heinrich Böll)

Meine Memoria heute Morgen geht in die Zeit des kalten Winters 1944/1945: Ohne Heizung, die Zeit der Wohnungs- und Hungersnöte direkt nach dem Mai 1945. Sie waren damals fünf Mädchen in Leipzig. Die Amerikaner hatten die Stadt, die sie schon besetzt hatten, den Russen übergeben. Ihre Mutter litt Todesängste um die Mädchen, alle in gefährdetem Alter. Die Angst um die gefährdete Existenz – in der Straßenbahn im Waldgebiet mit den beiden Russen, die aggressiv wurden. Die Angst um das tägliche Brot. Der jüngste Bruder, noch kein Jahr, wurde krank. Die eigene Mutter, schwerkrank, konnte nicht mehr stillen. Vor Sonnenaufgang schlichen Sie, Ihr Vater und Sie, durch die russischen Streifen und versuchten, irgendetwas zu hamstern. Oder, wie man in Anlehnung an einen sehr menschlichen Bischof und Kardinal in Köln sagte, zu "fringsen“. Aber der Junge starb. Sie, Ruth Pfau, sind damals fast wahnsinnig geworden. Das Sterben eines Kindes, das noch kein Leben gehabt hat und nicht mal mehr eines haben wird, ist unter uns immer der größte, nicht aushaltbare Skandal. Bei Albert Camus ist es in der "Pest“ die schwerste Auseinandersetzung zwischen dem Pater Paneloux und dem Arzt Dr. Rieux. Der Pater sagt nur: "Meine Brüder, Ihr seid im Unglück, meine Brüder, Ihr habt es verdient!“ Der Arzt protestiert gegen die weiche Apologisierung des Kindes-Mordes. "Chaque mort est un meurtre“. Jeder Tod ist ein Mörder, aber der Tod eines Kindes, eines Säuglings, hebt die ganze Schöpfung auf, setzt alles in Brand.

Sie hatten um den eigenen Bruder Angst. Waren herumgerannt, um ihn zu retten, um die Milch zu besorgen. Ich sehe diese Bilder vor mir, obwohl zehn Jahre jünger: Auf der Flucht von Danzig nach Stargard und Köthen, im Leiterwagen mein kleiner Bruder, noch kein Jahr, er kann sich nicht mehr aufrichten, nur noch liegen, verdreht schon die Augen. Wir Neudecks hatten Glück. Es war die Zeit, da Sie daran dachten, man dürfe keine Kinder in die Welt setzen. Bei so viel Schmerz der Mütter, denen die Kinder wegsterben…

Es war kalt, etwas, was die Nachgeborenen, unsere Kinder, nicht ahnen, was das ist. Gibt es doch Heizung und das heiße Wasser in der Dusche. Und gehört das doch zu unseren mitteleuropäischen Menschenrechten. Es war in dem Winter sehr kalt und es gab keine Kohle. Alle saßen um einen Kachel-Ofen herum. Wenn man zu Bett ging, froren die Atemzüge auf der Steppdecke an. Nachts um drei standen Sie auf, um etwas Ruhe zum Lernen zu haben, für das Abitur, das bevorstand.

Hoc meminisse iuvabit. Es wird helfen, diese Zeit zu erinnern, weil jetzt hunderttausende von Menschen in der Kälte der Kaschmir/Pakistan Berge unter Zelten zu überleben versuchen. Als Sie, Ruth Pfau, seinerzeit im Jahre 1960 eintrafen in Karachi mit einem Flugzeug, da hatten Sie vor, sich um ein Visum für Indien zu kümmern. Sie sollten nach Indien. Aber Sie waren an einem Morgen in Karachi unterwegs in der McLeods Road, eine illegale Ansammlung von Elendshütten. Die Ärmsten leben immer illegal, immer gehört ihnen nichts an dem Boden, auf dem sie in den armseligsten Quartieren hausen. Weshalb sie, wie jüngst wieder in Zimbabwe, von einem Diktator einfach weggebulldozert werden. Hier vegetierten die aussätzigen Bettler. In Hütten aus alten Pappkartons, Bambusstöcke mit darüber gehängten Säcken. Manche aus Bambusmatten zusammengebaut. Aber der Regen geht durch. Die Leprösen lagen hier, wehrlos, mit den angefressenen, gefühllosen Gliedern, die nachts die Ratten annagten und anfraßen. Und da waren Sie schon entschieden, die nächsten 45 Jahre (nein, das wussten Sie damals nicht), da zu bleiben.

Da kam aber noch Mohammed Hassen herein, noch keine 30 Jahre jung. Er kroch auf allen vieren herein, wie ein Hund. "Je me revolte, donc nous sommes“, möchte man mit Albert Camus sagen. Aber diese Menschen müssen ihr ganzes Leben durch den Staub und Schmutz auf allen vieren kriechen, sie haben nicht mehr die Kraft zur Revolte, sie sind keine kräftigen "hommes revoltes“.

Da wussten Sie, Ruth Pfau: Hier muss etwas geschehen. Wie? Egal, es muss etwas geschehen. Irgendetwas werden wir tun. Sie haben etwas – irgendetwas getan. Es war, haben Sie später gesagt, "wie wenn man seine große Liebe trifft“: ein und für allemal. Im Bretterverschlag der McLeods Road war auf einmal alles klar. Wie für den Arzt Dr. Rieux, als seine Stadt Oran in Nordafrika von der Pest geschlagen wird. Sie sagten zu Berenice, ja, so hieß ihre mexikanische Mitschwester, die das schon kannte: "Berenice, das kann so nicht weitergehen. Irgendetwas werden wir tun“.

Alles Weitere in den nächsten 45 Jahren ist die Folge von dem, was Sie damals gesehen haben. Für uns heute im geheizten Schauspielhaus ist es gut, dass wir hinschauen, wie es anderswo auf der Welt aussieht.

Unsere Preisträgerin ist – ich darf es zum Verwundern einer agnostischen Öffentlichkeit auch sagen – nicht nur Ärztin, nicht nur Zeitgenossin und zeitgleich geboren wie Anne Frank, sie ist auch – horribile auditu – Ordensschwester. Aber eine, die man nicht auf Kilometer erkennen kann. Sie, Ruth Pfau, machten in Karachi die Erfahrung dieser Menschen, bei denen es immer um alles oder nichts geht. Nachdem Sie die undurchdringliche Hässlichkeit der Leprösen-Gesichter und der abgefaulten und stinkenden Gliedmaße erlebt hatten, wussten Sie, Ruth Pfau: Die Botschaft der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen wie die des Evangeliums und des Artikel Eins des Grundgesetzes werden Sie nur durchtragen können, wenn Sie von hier nicht abhauen.

Lepra ist die Krankheit, die in uns allen immer noch archaische Ängste auslöst. Als ich auf einer Nilinsel bei Bor 1988 einmal Leprösen die Handstümpfe gab, nicht die Hände, die sie nicht mehr hatten, als diese isolierten Menschen uns erlebten, tanzten wir miteinander und berührten uns ganz heftig. Es war ein wunderbarer Tag unter einer herrlichen afrikanischen Sonne. Aber Monate lang hinterher wurde ich von meinen Mitbürgern gefragt, ob ich nicht Angst hätte haben müssen wegen dieser Berührung?! Es gab im Fernsehen einen Film von dieser Begegnung.

Der Hauptgrund war immer die Ansteckung, der die Mitmenschen zu den rigorosesten Absonderungsmaßnahmen veranlasste. Aber ein weiterer Grund ist die Entstellung, dieses durch nichts Vergleichbare, dass einem Menschen die Glieder wegsterben, die Finger, so dass er nur noch Hand-, dann Armstümpfe hat, dass ihm die Nase wegfault, die Zähne: Die fortschreitende Knotenbildung im Gesicht und das Abfaulen eines Gliedes nach dem anderen gibt dem Kranken einen grausigen und abstoßenden Anblick.

Nirgends denn bei einem Leprösen gilt die alte Menschheits- und menschenfeindliche Formel so unbedingt, die die Lateiner aussprachen: Noli me tangere! Berühre mich nur nicht!

Was wäre, wenn der große Schriftsteller Kurt Tucholsky nicht nur seine Marierose Fuchs als Christin kennengelernt hätte, sondern Sie, Ruth Pfau. Wenn der Tucholsky damals zu Ihnen, Ruth Pfau, gekommen wäre und hätte mit Ihnen Theodizee-Briefe oder Nietzsche-Exegesen ausgetauscht über die Frage, warum die Christen alle nicht erlöst aussehen? Sie hätten ihn eingeteilt zum Ausschrubben einer Leprastation. Dann hätte Tucholsky etwas anderes schreiben müssen, als das, was er Marierose Fuchs schrieb: "Ja, liebe Marierose Fuchs, ich habe einen Einwand gegen das Christentum: Es hat noch nie etwas genützt…“ Das hätte der Kurt Tucholsky dann nicht schreiben können.

Die Erfahrung der Habenichtse ist entweder physisch, hautnah, stinkend, oder sie ist das ganz andere, die dünne Erfahrung der Offices und Büros: Die Papiere kommen uns entgegen aus den klimatisierten Agenturen der Armutsbeseitigung. Lepra ist mehr als die Krankheit. Es ist wie der Hexenglauben aus der Zeit des Friedrich von Spee.

Z. B. Guljan, 15 Jahre jung, im roten Trachtenrock der Bergstämme, mit großen Brombeeraugen und pechschwarzen Zöpfen eigentlich schön. Aber sie ist eine Aussätzige. Niemand will sie mehr haben. Sobald sie an eine Behausung kommt, wird die Tür zugeschlagen. Aus-grenzen, ist überall in der Geschichte der Menschen eine furchtbare Erfahrung. Sie, Ruth Pfau, versuchen es noch einmal, ob die Ausgrenzung so total ist, wie sie gehört haben. Sie gehen mit dem schönen, aber aussätzigen Mädchen in das Haus des Onkels. Sie schreiben: "Wir setzen uns an der kalten Feuerstelle mitten im Raum auf die schmutzige Matte, Guljan eng an mich geschmiegt, mehr kann ich nicht tun, als diese Demonstration vor allen. Nach eineinhalb Stunden Palaver ist die Sache perfekt. Man will sie in das Haus zurücknehmen.“ Doch dann sind Sie gerade wieder ins Auto gestiegen, da kommt sie keuchend von der Flucht angerannt: "Nehmt mich mit, sie haben das alles nur so gesagt. Wenn Ihr mich zurücklasst, setzen sie mich doch aus und wo soll ich hin?“

An der Grenze Afghanistans zu Pakistan, am Khyber-Pass, wollen die Mudschaheddin Guljan kassieren. Ruth Pfau sagt: "Entweder Ihr nehmt uns beide oder niemanden. Es ist auch gegen all Eure Sitten, dass ein 15jähriges Mädchen in einer Männerunterkunft übernachtet. Dann gelingt es: Ein junger Freiheitskämpfer brachte uns Tee, zwei Tassen heißen dampfenden Tee. Nie wieder hat ein Tee besser geschmeckt als der aus der Hand eines unerwarteten Freundes. Wir krochen zusammen in den Schlafsack, er war so eng, dass wir den Reißverschluss kaum hochziehen konnten, aber so hielten wir uns warm, und was wichtiger war: Keiner konnte an Guljan heran, ohne mich aufzuwecken.“

Rettung kann nicht virtuell oder statistisch sein, wie das uns die Bundestagsausschüsse immer weismachen wollen. Sie muss physisch sein, man muss sie nass aus dem Wasser ziehen oder sie mit den verängstigten Augen vor einem sehen, dann darf man sagen, wie das geht: der Kampf gegen das Ertrinken, gegen die Ausgrenzung und gegen die Morddrohung.

Menschen, die wie Ruth Pfau sich einer solchen Aufgabe unterziehen, die gehören – liebe Gräfin – zu denen, die Sie damals und heute meinten mit denen, die "wissen, worum es geht“.

"Wozu“, – hat Ruth Pfau uns immer gefragt ,und diese Frage kann auch jemand akzeptieren, der als Sozialdemokrat oder Grüner seine frömmsten Stunden nicht in der Kirche zugebracht hat – "wozu ist das Christentum gut, wenn wir Christen nicht den Mut zu Verrücktheiten haben?“ Wenn wir uns nur fragen: "Wozu ist das nützlich?“ und nicht mehr fragen, wie Jesus Christus oder Immanuel Kant: "Wozu ist das gut?“

Wie oft habe ich den Immanuel Kant, liebe Ruth Pfau, ganz nah dem Evangelium gesehen. Bei unserer Arbeit in Flüchtlingslagern oder in Elendshütten, wenn man sich abgerackert hat den ganzen Tag bis spät in die Nacht – Erfolg in dem Sinne unserer efficiency haben wir dann nicht gehabt. Dann fällt mir dieser wunderschöne Satz von Kant, Immanuel ein: "Es gibt nichts in der Welt, wie außerhalb derselben, was allein als gut bezeichnet werden kann, denn ein guter Wille!“

Und, darauf haben Sie auch bestanden, nicht so furchtbar viel Angst, Tarifordnungs- und Versicherungsangst zu haben. Das macht uns in Deutschland noch wirklich kaputt.

Ruth Pfau, Zitat: "Wie wird entschiedene Liebe sichtbar bei der grassierenden Unfähigkeit zum Risiko? Der Sprung ins Wagnis ist das erste, was die Liebe fordert. Dann kommt die Treue.“ Das hätten Sie, Marion Gräfin Dönhoff, alles gleich auch unterschrieben.

Mit dem Islam hat Ruth Pfau eine ganz wichtige Erfahrung gemacht. Gerade die Ordensschwester Pfau hat diese Erfahrung machen können, weil viele von uns ja nicht mehr wissen, dass es für hundert von Millionen, ja Milliarden, wichtig ist, eine Religion zu haben.

Es ist heute hier die Gelegenheit darüber zu sprechen, dass wir die Erfahrungen der Religionen und des Gottes- und Allahglaubens nicht nur achtlos beiseite schieben sollen.

Schon deshalb, weil das viele Menschen auf der Welt beleidigt. Aber auch, weil uns dann doch etwas fehlt. Doch ich sehe schon, wie sich in uns allen, zumal hier in diesem Theater und in der offenen Welt der boomenden Weltwirtschaft und der Dax und Dow Jones Kurse, alles eigentlich sträubt. Aber es ist gut, sich klar zu machen, dass diese eine Frau, Dr. Ruth Pfau, mehr bewegen kann als ganze Bataillone von Präsidenten und Milliardären.

Es gibt eine Arbeit, die sich nicht in efficiency und in Prämien und in Insolvenz-Rücklagen erschöpft, sondern die nur um dieses Heilen besorgt ist. Camus hat uns diese drei Worte an die Wand als Leitschnur geschrieben, die Dr. Rieux, der Präzeptor aller Humanitären, so ausgedrückt hat: "Nichts auf der Welt ist wert, sich von dem abzuwenden, was man liebt. Und doch wende auch ich mich ab, ohne dass ich weiß warum?“ Diese Tatsache führt den Arzt Dr. Rieux zu der Konsequenz: "Man kann nicht gleichzeitig heilen und wissen. Also lassen Sie uns so schnell wie möglich heilen. Pas savoir – Guerir.“

PAS SAVOIR, GUERIR. Heilen, JA, auch wenn wir noch nicht alles wissen.

Der Kampf gegen die Landminen – auch ein Kampf der Gräfin Dönhoff, ist noch nicht beendet. Und wir sollten ihn zu Ende bringen. Die Russen, so hatten Sie das in Afghanistan mitbekommen, hatten das ganze Gebiet von Loman vermint. Die Einheimischen machten sich selbst an die Entminung, indem sie einfach versuchten, Minen aufzuschrauben. Da hatten sie mehrere Tote und mehr Verstümmelungen durch explodierende Minen als durch Kampfeinwirkung. Warum, frage ich Sie, Ruth Pfau, frage ich die Versammlung hier, frage ich die Gräfin, warum haben wir dieses Thema einfach wieder fallengelassen? Warum kann eine rot-grüne Koalition das nicht weiterführen? Kann es eine rot-schwarze? Kann es der neue Außenminister Steinmeier? Das wäre aufs Innigste zu wünschen.

Sie haben uns den Marsch geblasen, liebe Ruth Pfau, Zitat: "Wie jemand den Gedanken haben kann, bunte Minen herzustellen, die wie Spielzeug aussehen – wie jemand eine Produktion roter und blauer Minen anlaufen lassen kann, kaltblütig und überlegt – jemand, der selbst Kinder hat oder doch wenigstens einmal in seinem Leben entzückt spielenden Kinder zugeschaut hat, das, das kann ich nicht verstehen.“

Es galt Ihnen, Ruth Pfau, immer als gefährlich, unsere vorschnelle und vorlaute Ungeduld im Aussprechen unserer tolldreisten Vor-Urteile über Länder der Dritten Welt. Sie hatten dafür ein schönes Beispiel. Sie schickten den Leprahelfer zur Fortbildung nach Deutschland. Der kam im November in Deutschland, im kalten Deutschland an und sah die Bäume alle wie karge Stöcke, ohne Blätter. Ja, die Blätter kamen dann ab März, wegen des Frühlings und der Jahreszeiten. Aber für ihn, der dann schon wieder zurückgehen musste, war es klar: "Die Bäume in Deutschland haben keine Blätter!“

Und immer, wenn es wieder mal so ein Schnellschussurteil gibt in Ihren Leprastationen, dann sahen sie sich an in Karachi oder Gilgit oder Quetta und sagten: "Ja, ja, ja, die Bäume in Deutschland haben keine Blätter!“

Das Gleiche mit dieser verfluchten Ehre, dem Ehrenkodex, ISSAT. Ein Leprahelfer, Gul Haider, sagte: "Uns hat ja niemand gesagt, dass Dienst an den LEPRAKRANKEN zu Issat führt. Ihnen habe man ja gesagt, von Kindsbeinen an, Issat wäre nur zu erreichen, wenn man jemanden umlegt. Und wenn wir gesagt hätten, wir haben drei erschossen, dann hätte der andere gesagt, ich aber schon sechs. Und Assra hätte gesagt: Ich aber schon acht. Als wir aber sagten, dass wir Lepraarbeit treiben, da war unser Issat in aller Augen fraglos. Uns hat man früher nie gesagt, dass das Morden weniger Issat bringt als der Dienst“.

So wirkt sich, sagt uns die Ruth Pfau, Lepraarbeit auf die Blutrache aus. Dieses Einbauen ins Wertesystem der anderen – dieses Unterlaufen durch Erkennen, das ist Ihr Konzept.

Es geht, wie es uns Heinrich Böll – der deutsche Humanitäre, den ich täglich vermisse – als sein Vermächtnis vermacht hat, um die Schönheit des Helfens. Das Helfen hat uns und viele so fasziniert: Das ist ja nicht die Helferei, die tarifrechtlich abgesicherte Jobsuche und das Jobfinden, das ist auch nicht der Schuldenabbau und auch nicht die GTZ-Gewinnmaximierung, das ist die Schönheit der Arbeit mit denen, die zu kurz gekommen sind. Wir alle wollen ja immer an so etwas teilhaben. Unser deutsches Volk, das ich dafür lobe, im europäischen Maßstab, gibt aus herzlicher Großzügigkeit immer viel mehr für die Habenichtse als die Haushaltslage der öffentlichen Kassen es erlaubt.

Unser Arbeiten in Deutschland wird uns von einer großen millionenstarken Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern leichtgemacht, weil sie uns das Schmieröl Geld geben, das Menschen wie die Ruth Pfau und ihre vielen von ihr ausgebildeten Mitkämpfer brauchen.

Schönheit der Gerechtigkeit wird damit erreicht. Heinrich Böll hat uns das ins Stammbuch geschrieben. Er ist Ihnen nie begegnet, obwohl das eigentlich heute seine Stunde gewesen wäre, zu Ihren Ehren zu sprechen. Und ich nehme diese fast poesie-ähnlichen Gedanken, die er uns 1984 nach einer Geiselnahme im äthiopischen Lalibela auf den Weg gegeben hat, einfach für Sie, liebe Ruth Pfau:

"Es ist schön, ein hungerndes Kind zu sättigen,
ihm die Tränen zu trocknen,
ihm die Nase zu putzen,
es ist schön einen Kranken zu heilen.
Ein Bereich der Ästhetik, den wir noch nicht entdeckt haben,
ist die Schönheit des Rechts;
über die Schönheit der Künste, eines Menschen, der Natur
können wir uns halbwegs einigen.
Aber – Recht und Gerechtigkeit sind auch schön,
und sie haben ihre Poesie,
wenn sie vollzogen werden.“

Einen herzlichen Glückwunsch Ihnen, liebe Ruth Pfau.