18. Januar 2023

Mit Storytelling gegen die Stigmatisierung von Lepra-Betroffenen

Von Lepra betroffene Menschen werden zu Protagonisten. Foto: GLRA India

Zum Welt-Lepra-Tag 2023 beweist die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, dass sie im Kampf gegen Lepra und Stigmatisierung mit ihrem Latein noch längst nicht am Ende ist. Erst vor wenigen Wochen gelang der Organisation ein Durchbruch in einem Forschungsprojekt in Indien.

Würzburg / Sitapur, den 29. Januar 2023: Mit einem innovativen Forschungsprojekt geht die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Indien einen neuen, vielversprechenden Weg, um die Stigmatisierung Lepra-Betroffener weiter in den Griff zu bekommen. Mithilfe der Partizipativen Videomethode (PV) lässt die Hilfsorganisation diejenigen zu Wort kommen, die die Krankheit Lepra und die damit verbundene Diskriminierung am eigenen Leib erfahren und Wege gefunden haben, damit umzugehen: die Betroffenen selbst.

Je früher Lepra diagnostiziert wird, desto höher die Heilungschancen

„Mit mehr als 75.000 neuen Lepra-Infektionen in 2021 sind in Indien weltweit die meisten Menschen neu an der ältesten Krankheit der Welt erkrankt“, berichtet Anil Fastenau, Global Health Berater bei der DAHW. „Wir wissen aus unserer Arbeit vor Ort, dass die mit der Krankheit verbundene Stigmatisierung eines der größten Hindernisse bei der Bekämpfung der Lepra ist. Das Stigma hält betroffene Menschen davon ab, Hilfe zu suchen, und verzögert so die Lepra-Diagnose und -Behandlung.“ Mit weitreichenden Folgen: Denn je später Lepra erkannt wird, je weiter die Infektion fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es, die Erkrankung zu behandeln. Das Risiko einer Behinderung als Folge der Krankheit steigt, das wiederum erhöht das Risiko einer Stigmatisierung. So entsteht ein Teufelskreis.

„Wir können uns hierzulande kaum vorstellen, was es für die Lepra-Betroffenen bedeutet, diese Stigmatisierung und Diskriminierung auszuhalten“, so Fastenau. „Die Menschen werden regelrecht isoliert, sie erhalten nur noch eingeschränkten Zugang zu sozialen Diensten, Arbeitsplätzen, Bildung und Unterkunft – wenn überhaupt. Nicht ohne Grund setzen wir alles daran, die Menschen zu finden und zu behandeln, bevor Behinderungen entstanden sind.“ Darüber hinaus haben Betroffene oft auch mit psychischen Problemen zu kämpfen. Angstzustände und Depressionen bis hin zu Selbstmordversuchen sind weit verbreitet.

Die DAHW forscht an neuen Ansätzen.

„Viele Menschen denken, Lepra sei kein wirkliches Problem mehr, weil die Krankheit seit Anfang der 1980er Jahre heilbar und eigentlich gut behandelbar ist“, erklärt Fastenau. „Doch die Stigmatisierung, die gerade in den entlegenen Gebieten immer noch sehr dominiert, steht uns im Weg. Um die Ausgrenzung Betroffener in den Griff zu bekommen, die Lepra zu eliminieren und gleichzeitig die Heilungschancen der Betroffenen zu verbessern, müssen wir immer wieder neue Wege erforschen.“ Die DAHW beteiligt sich daher aktiv an der Entwicklung neuer Ideen und innovativer Methoden. „Was wir der Stigmatisierung in der Gesellschaft entgegensetzen wollen, ist die Aufklärung“, sagt der Mediziner.

In Indien hat die junge Ärztin und DAHW-Mitarbeitende Dr. Srilekha Penna gemeinsam mit dem Global Health Berater aus Deutschland ein Projekt entwickelt, durchgeführt und begleitet, das genau diese Aufklärung als Antwort auf die anhaltende Stigmatisierung thematisiert. Für die Umsetzung dieser Idee nutzt sie die Partizipative (teilnehmende, einbindende) Videomethode (PV): Eine Gemeinschaft oder Gruppe von Betroffenen gestaltet mit professioneller Unterstützung eigene Videofilme. Die Inhalte geben ihre ganz individuelle Sichtweise ihrer Situation wieder und zeigen auch, was Betroffenen wichtig ist und wie sie dargestellt werden wollen. „Jetzt, wo ich das Medikament bekomme und es rechtzeitig einnehme, hat es mir geholfen", erzählt zum Beispiel eine Patientin in ihrem Video. Ein anderer liefert medizinische Fakten: „Diese Krankheit wird durch ein Bakterium namens Mycobacterium leprae verbreitet.“ Wieder ein anderer klärt auf: „Lepra wird nicht durch eine einmalige Berührung übertragen.“

Die DAHW in Indien wählte für die Durchführung mithilfe eines qualifizierten Verfahrens Betroffene aus, die sich bei der Produktion der Videos aktiv einbringen. Sie thematisieren darin ihre eigenen Erfahrungen mit der Erkrankung und den Folgen. Die produzierten Videos werden in Abstimmung und ausschließlich mit Zustimmung der Teilnehmenden in deren sozialem Umfeld, den Gemeinden, in denen sie leben, öffentlich gezeigt. „Die Resonanz ist überwältigend“, so Dr. Penna. „Wir spüren schon jetzt, wie viel die Videos bei den Zuschauer:innen in Bewegung bringen und auch, wie sehr sie die Betroffenen stärken, die darin zu sehen sind.“

Die Medizinerin erklärt, warum sie gerade auf diese Methode gesetzt hat: Sie lobt die Möglichkeit, die Stimmen von Menschen aus Randgruppen einzufangen - und sieht darin großes Potenzial, aufzuklären und positive Veränderungen herbeizuführen. „Der Aufbau von Vertrauen, die Förderung von Empowerment und die Ermöglichung einer Anwaltschaft für die eigenen Bedürfnisse, Aktivismus und somit sozialem Wandel sind positive Ergebnisse des Videoprojekts“, erzählt Dr. Penna. Empowerment, also die Selbstermächtigung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, gehört zu den festen Bestandteilen der DAHW Inklusionsarbeit. Betroffene werden darin gestärkt, die eigenen Interessen gegenüber anderen Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Darüber hinaus verbessert das Projekt – speziell aufgrund der Partizipativen Videomethode – auch die mentale Gesundheit der Mitwirkenden, weil sie die Chance bekommen, über ihre Erlebnisse zu reden. Laut Recherchen der DAHW konnte bereits in vergleichbaren PV-Projekten bewiesen werden, dass diese Methode zur Verbesserung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens beigetragen hat.

Ängste abbauen, Gemeinschaft fördern

„Indem wir die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung stärken, nehmen wir den Betroffenen die Angst und Sorge vor der Ausgrenzung“, fasst Dr. Penna zusammen. „Der Kontakt zwischen den Betroffenen und ihrem Umfeld ist dabei elementar. Es gibt hier immer noch zu viele Menschen, die glauben, Lepra sei ein Fluch oder eine Sünde. Solche Mythen schaffen wir aus der Welt, indem wir die Betroffen selbst sprechen lassen. Wir ermutigen und motivieren sie, ihre eigene Geschichte zu erzählen.“ Gleichzeitig werden Neuerkrankten die Ängste einer potenziellen Stigmatisierung genommen. Sie werden ermutigt, sich beim Erkennen von Symptomen möglichst schnell untersuchen zu lassen. Einmal diagnostiziert, ist die Krankheit Lepra mit einer Antibiotikatherapie nämlich vollständig heilbar.

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