03. Dezember 2021

Rückschläge auf dem Weg zur Inklusion – Folgen der Pandemie für Menschen mit Behinderung

In einer Awareness-Kampagne werden Menschen mit Behinderung über ihre Rechte aufgeklärt. Foto: GLRA Asia / DAHW

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember richtet die DAHW den Blick auf betroffene Menschen weltweit. In ihren inklusiv gestalteten Projekten unterstützt die Hilfsorganisation Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben – frei von Diskriminierung, Ausgrenzung und Barrieren. Dabei wird sichtbar, welche Herausforderungen und Hindernisse vor allem auch während der Pandemie gemeistert werden müssen.

„Die Barrieren, die Menschen mit Behinderungen nach wie vor in ihrer aktiven Teilhabe einschränken und ihre Würde und Selbstbestimmung begrenzen, können unterschiedlichster Art sein“, erklärt Susan Höfner, Fachkraft für Humanitäre Hilfe / Behinderung und Inklusion bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, die in ihren inklusiv ausgestalteten weltweiten Projekten gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigung oder Behinderung – unabhängig von der Ursache – am Abbau von Vorurteilen und Barrieren arbeitet und aktive Unterstützung leistet. „Auch in unseren Projekten spielen Barrieren institutioneller und systematischer, physischer oder kommunikativer Art eine wichtige Rolle. Entscheidend ist, die Zusammenhänge zu verstehen und entsprechend ganzheitlich zu agieren.“

Gemeindebasierte inklusive Entwicklung

Um Menschen mit Behinderungen zu stärken und sie zu befähigen, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen (oder gegebenenfalls auch einzuklagen), setzt die DAHW auf gemeindebasierte inklusive Entwicklung und Rehabilitation. „In Kolumbien schaffen wir so zum Beispiel Möglichkeiten für die sozioökonomische Entwicklung von Frauen mit Behinderungen und Frauen, die Menschen mit Behinderungen betreuen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern“, berichtet Susan Höfner. 

Die Projekte in den Randbezirken der kolumbianischen Städte Cartagena, Sincelejo, Neiva und Valledupar dienen der beruflichen Entwicklung und Förderung der Frauen mit Behinderungen und weiblichen Betreuungspersonen. Sie erhalten die Möglichkeit der fachlichen Bildung und werden dabei unterstützt, einen Arbeitsplatz zu finden oder kleinstproduktive Projekte zur Einkommenserzielung zu entwickeln. Darüber hinaus sind auch die Aufklärung und Information über ihre Rechte und die bestehenden Sozialprogramme zu ihrem Schutz wichtige Inhalte, ebenso wie die aktive Teilnahme an Kultur- und Freizeitangeboten. 

Auch in Bangladesch ist die DAHW aktiv. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert die DAHW ein inklusiv ausgerichtetes Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation Disabled Rehabilitation and Research Association (DRRA) in den Bezirken Kulna und Chattogram umgesetzt wird. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen durch Aufklärungsarbeit und die Schaffung eines (öffentlichen) Bewusstseins für ihre Rechte sowie durch den Aufbau von Kapazitäten bei den behördlichen Interessensvertretungen, den Verbänden des Privatsektors und den Regierungsstellen. Deshalb setzt sich die DAHW für einen verbesserten Zugang zu allgemeinen Diensten für Menschen mit Behinderungen ein. Dazu unterstützt sie unter anderem die Implementierung eines Aktionsplans, um die Barrierefreiheit in staatliche Einrichtungen voranzutreiben und für diesen Zweck auch die Bereitstellung eines entsprechenden Haushaltsplans zu erwirken.

„Das Projekt soll 1.000 Menschen mit Behinderungen, darunter mindestens 40 % Frauen, sowie Organisationen von Menschen mit Behinderungen (DPOs) und zivilgesellschaftliche Organisationen befähigen, sich gemeinsam für eine nachhaltige, inklusive Entwicklung stark zu machen, wie es in den Zielen für nachhaltige Entwicklung bis 2030 (SDG 10) festgelegt wurde“, erzählt Susan Höfner. „Die Organisationen werden so darin bestärkt, den Regierungs- und Privatsektor zu einer inklusiven Politik zu führen und die Betroffenen werden befähigt, als Veränderungsfaktor für ihre Gemeinschaft zu wirken.“ Das Projekt decke zudem den Grundbedarf an Zugänglichkeit, Hilfsmitteln, Rehabilitationsdiensten und Qualifizierungsmaßnahmen für die am stärksten benachteiligten Menschen mit Behinderungen ab.

Blick auf die Post-COVID-Ära

"Fighting for rights in the post-COVID era“: Das diesjährige Motto des Welttags für Menschen mit Behinderungen konzentriert sich auf die Pandemie und die Herausforderungen, Hindernisse und Chancen für Menschen, die mit Behinderungen leben. Die UN möchte darauf aufmerksam machen, dass Menschen, die mit Behinderungen leben, zu den am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen der COVID-19-Pandemie gehören. Wo Marginalisierung, Diskriminierung, Verletzlichkeit und Ausbeutung für viele Menschen ohnehin zum Alltag gehören, wirken sich ein eingeschränkter Zugang zu medizinischer Routineversorgung und Rehabilitationsdiensten, die stärkere soziale Isolation, schlecht zugeschnittene öffentliche Gesundheitsinformationen, unzureichend ausgebaute psychische Gesundheitsdienste und mangelnde Notfallvorsorge für Menschen mit anderen Bedürfnissen noch dramatischer aus, schreibt die UN

Auch die DAHW hat in ihren humanitären Nothilfeprojekten während der Pandemie diese Erfahrungen gemacht und ihre Maßnahmen angepasst. So zum Beispiel in Ostafrika: In Äthiopien unterstützte die DAHW marginalisierte Gemeindemitglieder, die von der COVID-19-Pandemie, Dürre und Konflikten am stärksten betroffen sind. Im Rahmen des One-Health-Projekts in Guji wurden 300 bedürftige Familien mit Nahrungsmitteln und mit drei Ziegen pro Haushalt versorgt. 

In Äthiopien, wo sich der Bürgerkrieg weiter zuspitzt, unterstützen wir derzeit Vertriebene und Menschen mit Behinderungen in Amhara, einem Grenzstaat zur Konfliktregion Tigray: Hier erhalten 412 intern Vertriebene Lebensmittelunterstützung (15 % davon sind von Behinderung betroffen) und weitere 350 Haushalte von Menschen mit Behinderungen werden mit einer Finanzhilfe unterstützt,um ihre Grundbedürfnisse abdecken zu können.

In der Stadt Jimma erhielten im Rahmen der COVID-19-Maßnahmen insgesamt 250 Haushalte von Menschen mit Behinderungen Lebensmitteln und Hygienematerialien. Aktuell werden zwei weitere COVID-Reaktionsprojekte mit dem Titel ''Verringerung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf gefährdete Menschen in den Slumgebieten von Addis Abeba" und "Milderung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die gemeindebasierten Spar- und Kreditgenossenschaften unter der Leitung marginalisierter Gemeinschaften" in Angriff genommen.

„Die Pandemie hat auch die Behindertenrechtsbewegung zurückgeworfen“, ergänzt Susan Höfner. „Mit unseren Nothilfeprojekten haben wir einige Menschen mit Behinderungen und selbstorganisierte Interessengruppen auffangen können. Aber viele geplante Gemeindetreffen und Meetings mit Vertreter:innen aus der Politik konnte aufgrund der Pandemie nicht stattfinden und mussten verschoben werden. Wichtige Zeit ging damit verloren, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen flächendeckend geltend zu machen und Veränderungen in Politik und Gesellschaft voranzutreiben.“

„Auch wenn wir uns derzeit noch nicht in der Post-COVID-Ära, sondern eher mittendrin befinden, sind die Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen im Kontext mit der Pandemie immens“, so Susan Höfner. „Indem wir Menschen mit Behinderungen während der Krise besonders unterstützten und sie durch humanitäre Hilfsmaßnahmen, durch Aufklärungsarbeit und Einkommen schaffende Maßnahmen stärken, können wir sie zumindest ein Stück weit befähigen, auch nach der Pandemie selbstbestimmt ihren Weg weiterzugehen. So tragen wir dazu bei, die Barrieren für Menschen mit Behinderungen weltweit weiter abzubauen.“    

Menschen mit Behinderungen haben Rechte

1992 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, hat der jährlich stattfindende Welttag der Menschen mit Behinderungen das Ziel, die Rechte und das Wohlergehen von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft zu fördern und das Bewusstsein für die Situation der Betroffenen in allen Bereichen des politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens zu schärfen. Laut UN leben heute mehr als eine Milliarde Menschen – das entspricht etwa 15 % der Gesamtbevölkerung – mit einer Form von Behinderung. 80 % dieser Menschen leben in einkommensschwachen Ländern des Globalen Südens. 

2006 verabschiedete die UN das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Darin werden die Vertragsstaaten aufgefordert, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu allen Aspekten der Gesellschaft haben. Hindernisse und Barrieren für die Zugänglichkeit sollen ermittelt und beseitigt werden. Zudem gilt es, zu erkennen, „dass Behinderung ein sich entwickelndes Konzept ist und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren resultiert (…)“ Klar ist daher, dass Behinderung durch die exklusive Gestaltung mittels Barrieren unserer Welt teils erst geschaffen wird und so Menschen mit anderen Bedürfnissen ihres Rechts auf volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft beraubt werden. Es liegt daher in unser aller Verantwortung, aktiv am Abbau dieser Barrieren – seien sie in unseren Köpfen, institutioneller Art, physischer oder kommunikativer Natur – zu arbeiten.

Veranstaltungshinweis:

Die Ability Bhutan Society organisiert in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe am 1. und 2. Dezember 2021 die Bhutan National Disability Conference. Für die DAHW spricht Susan Höfner zum Thema „Disability inclusive Disaster Risk Reduction“. Zu sehen ist die Konferenz live sowie nachträglich auf Youtube.

Die Konferenz ist Teil des laufenden Pilotprojekts "Social Inclusive Development for People with Disabilities in Bhutan", das die DAHW in Zusammenarbeit mit der Ability Bhutan Society und dem BMZ im Dezember 2018 gestartet hat. Ziel des Projekts ist es, die Situation und Anzahl von Menschen mit Behinderungen in fünf Distrikten zu ermitteln und die soziale Inklusion auf allen Ebenen gemäß der CBR-Matrix der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – Gesundheit, Bildung, Lebensunterhalt, Soziales und Empowerment – zu fördern.


Inklusion bietet Menschen mit Behinderung eine bessere Chance für ein selbstbestimmtes Leben.

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