08. September 2015

Südsudan: "Das Land ist eine einzige Tragödie"

Das Interview mit Olaf Hirschmann, DAHW-Repräsentant für Uganda und Südsudan, führte Jochen Hövekenmeier.
Südsudan kommt nicht zur Ruhe: 17 Jahre Krieg, danach elf Jahre relativer Frieden, ab 1983 wieder Krieg bis zur Autonomie 2005. Die vollständige Unabhängigkeit erfolgte mit der Gründung des Staates Südsudan aber erst sechs Jahre später. Zwei Jahre lang war die Freude darüber zu spüren, die fast in eine Aufbruchsstimmung mündete. Doch dann brachen alte Konflikte wieder auf, seit 2011 gibt es einen blutigen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Volksgruppen in dem jungen Land.

(Würzburg, 8. September 2015) Olaf Hirschmann, Sie reisen regelmäßig durch das Land und sprechen mit vielen der dort lebenden Menschen. Woher kommt diese nicht enden wollende Gewalt?

Das hat eine sehr lange Geschichte, die verschiedenen Ethnien im Land haben seit vielen Generationen immer wieder Auseinandersetzungen gehabt. Besonders zwischen den beiden größten Ethnien, Dinka und Nuer, gab es oft Konflikte um Land – Viehzüchter gegen Ackerbauern, historisch gesehen eine der häufigsten Ursachen für Konflikte. Die willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialzeit haben dazu geführt, dass diese Gruppen sich das Land teilen müssen, und da gibt es halt immer wieder Anführer, die nicht gerne teilen, sondern lieber alles für sich haben wollen.

Ein typisch afrikanischer Konflikt also?

Nicht unbedingt, obwohl die Ursachen auf dem afrikanischen Kontinent sehr oft auftreten, weil in so vielen Staaten die ethnischen Strukturen mit all ihren Spannungen weder bei den Grenzziehungen berücksichtigt noch später aufgearbeitet wurden. Aber solche Konflikte gibt es auch mitten in Europa, aktuell in der Ukraine und vor einigen Jahren im ehemaligen Jugoslawien.

Jugoslawien und Südsudan? Ein interessanter Vergleich.

Aber durchaus passend: Auch Jugoslawien war kein gewachsener Staat, sondern ein nach dem ersten Weltkrieg künstlich geschaffener. Die Belange der verschiedenen Ethnien wurden überhaupt nicht berücksichtigt, nur überdeckt. Der zweite Weltkrieg hat sie wieder hervorgebracht, besonders die alten Konflikte zwischen Kroaten und Serben, bis Tito das Land mit Zuckerbrot und Peitsche zu einer vorübergehenden Ruhe gebracht hatte. Als sich die Spannungen dann im Krieg entladen hatten, kam es oft zu Massakern und Vertreibungen. Es gab kaum klare Frontlinien, dafür viele einzeln operierende, oft marodierende Milizen. Fast ständig gab es Verhandlungen unter der Führung von internationalen Organisationen, immer wurden Abkommen unterzeichnet, die Frieden bringen sollten, und meist wurden die Verträge gebrochen, bevor die Tinte darauf getrocknet war.

Genauso wie heute in Südsudan?

Genau auf die gleiche Art und Weise. Machthungrige Anführer nutzen alte Ressentiments aus, die es aus der langen Historie der Konflikte natürlich noch gibt und hetzen die Menschen damit aufeinander. Die Ruhe, die es während des Unabhängigkeitskriegs gab, war halt nur eine pragmatische: Man musste gemeinsam gegen die arabische Regierung des Sudan kämpfen, man hatte einen gemeinsamen Feind. Und jetzt bekämpft man sich wieder gegenseitig, trifft sich ab und an zu Verhandlungen, unterzeichnet ein Abkommen, das den Willen zum Frieden bekundet, fährt nach Hause und plant die nächsten Attacken. Wie vor wenigen Tagen in Addis Abeba. Dazu kommen inzwischen viele marodierende Milizen, die nur noch ihren lokalen Anführern gehorchen und die Lage völlig unkontrollierbar machen.

Was bedeutet das für Sie und Ihr Team?

Täglich gibt es Überfälle, fast jede nationale und internationale Hilfsorganisation in Juba wurde schon auf ihrem eigenen Gelaende überfallen und ausgeraubt. Wir fragen uns oft, wann wir dran sind, bislang hatten wir Glück. Und überall haben irgendwelche Milizen Kontrollposten auf den Straßen eingerichtet. Wenn es denen gefällt, lassen sie uns halt nicht durch. Oder erpressen „Wegegeld“, oder wie es unseren Partnern schon passiert ist, rauben ihre Opfer voellig aus. Wir müssen uns vor jeder Fahrt genau informieren, wie unterwegs und am Ziel die Lage aussieht, mit welchen Sicherheitsrisiken wir rechnen müssen. Aktuell musste ich eine geplante Reise nach Juba kurzfristig absagen, weil auf Grund von Unruhen in der Hauptstadt die Lage sowohl auf dem Weg zum Flughafen als auch auf den anderen möglichen Straßen einfach zu gefährlich ist. Da sich der Protest gegen die internationale Einmischung von UN-Seite in den Friedensprozess richtete, galt es als sichtbarer Auslaender auch besonders vorsichtig zu sein.

Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit der DAHW in Südsudan?

Wir können einige der von Lepra betroffenen Menschen nicht mehr erreichen. Die Sozialarbeiter betreuen sehr viele Menschen in ihrem Umkreis, müssen daher für ihre Arbeit mobil sein. Können sie das nicht, werden die von Lepra betroffenen Menschen wieder zurückfallen in einen Status der Abhängigkeit – abhängig von der Gnade ihrer Mitmenschen durch Almosen. Aber welche Gnade kann man erwarten in einem Land, das im Chaos versinkt, und in dem nur die Menschen genug zum Leben haben, die sich das mit der Gewalt ihrer Waffen oder Korruption besorgen?

Wäre es nicht einfacher, die Arbeit einzustellen?

Natürlich wäre das einfacher, aber wenn ich einfache Wege hätte gehen wollen, wäre ich nicht für die DAHW nach Uganda und Südsudan gegangen. Lepra-Arbeit war schon immer ein schwieriger Weg, man muss gegen viele alte Vorurteile ankämpfen und Strukturen durchbrechen. Man muss Menschen für eine Krankheit begeistern, mit der sie eigentlich nichts zu tun haben wollen. Wir machen natürlich weiter und werden auf keinen Fall unsere Patienten im Stich lassen. Wir können zwar heute nicht genau sagen, wie unsere Arbeit in ein oder zwei Monaten aussieht, aber auch dann werden wir für die Menschen arbeiten, um die sich sonst niemand kümmert. Und wir werden vielen Menschen helfen, wenn auch leider nicht allen.

Da geht es um die soziale Arbeit, wie steht es um die medizinische Versorgung?

Das Land ist eine einzige Tragödie, und die medizinische Versorgung ist ein Spiegelbild dieser gesamten Lage: Überall fehlt es am Nötigsten. Vor den Tankstellen stauen sich hunderte von Metern lang die Wagen, denn den Tankstellen geht das Benzin aus. Obwohl Südsudan selbst auf Ölquellen sitzt, die es aufgrund der Buergerkriegssitaution nicht nutzen kann, muss das Land Benzin auf dem Weltmarkt kaufen. Gegen Dollar, die es nicht hat.

In den privaten Hospitälern ist die Versorgung noch gut, auch gibt es dort noch genügend Personal, doch private Hospitäler gibt es nur wenige und nur in den größeren Städten. Sorgen machen die vielen staatlichen Gesundheitsstationen, die für die Versorgung der meisten Menschen verantwortlich sind. Hier fehlen oft wichtige Medikamente, weil Lieferungen ausgeraubt werden, und es fehlt das Personal, weil die Menschen sich mehr um das tägliche Überleben kümmern müssen als um ihre Arbeit. Viele an Lepra erkrankte Menschen wissen also gar nicht, woran sie erkrankt sind und dass sie die Menschen in ihrem Umfeld anstecken, weil niemand da ist, um die Diagnose zu stellen. Andere wiederum haben ihre Diagnose bereits bekommen, auch die ersten Medikamente der Therapie, doch jetzt fehlen eben die Medikamente. Das nationale Lepra-Kontrollprogramm existiert quasi nur noch durch uns, wir müssen Devisen für Medikamente nachliefern, sofern es uns möglich ist und organisieren die Aus- und Weiterbildung für das medizinische Personal, sofern es vorhanden ist.

Welche Folgen wird das haben?

Die erste ist ja schon sichtbar: Es gibt keine verlässlichen Zahlen mehr, wieviel Menschen an Lepra erkrankt sind und wo diese Menschen leben. Das brauchen wir aber, um gezielt die Übertragung einschränken zu können. Liest man die Statistiken, so könnte man meinen, in Südsudan erkranken immer weniger Menschen an Lepra. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Es werden immer mehr, weil nur wenige erkrankte Menschen überhaupt Zugang zu Diagnose und Therapie haben. Und sich dadurch immer mehr Menschen mit der Krankheit anstecken. Wir werden also immer mehr Arbeit bekommen, auch und besonders dann, wenn das Land endlich zum Frieden kommen sollte.

Sehen Sie die Möglichkeit auf Frieden in Südsudan?

Der Krieg hier ist dem im ehemaligen Jugoslawien so ähnlich, dass er wohl nur auf ähnliche Art und Weise beendet werden kann. Aber auch hier wohnen Ethnien vermischt und die Aufteilung nach Stammesgebieten scheitert unter anderem auch an der ungleichen Verteilung der Ressourcen und Rohstoffe. Hier ist die Weltgemeinschaft gefordert, daran müssen alle Staaten arbeiten – nicht nur die Nachbarländer, die wahrlich genug eigene Probleme haben. Viele westliche Länder betreiben Entwicklungshilfe, so ziemlich jede große internationale Hilfsorganisation ist vertreten. Aber auch russische und chinesische Firmen sind groß im Geschäft, oft mit fragwürdigen Methoden. Öl-Firmen sind auch oft gleichzeitig Waffenfirmen. Ein Eldorado für krumme Geschäfte. Aber all diese Länder, deren Hilfsorganisationen hier tätig sind, müssen ein deutlicheres Interesse daran haben, dass es endlich Frieden gibt. Sie müssen dieses Interesse mit einer Stimme formulieren. Und das nicht nur als diplomatische Floskel, sondern auch mit Konsequenzen für diejenigen, die den Konflikt aus machtpolitischen Interessen immer weiter schüren.

Olaf Hirschmann (52) ist seit 2011 Repräsentant der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Uganda. Im Verlauf der Regionalisierung hat er im März 2015 diese Funktion auch für das Nachbarland Südsudan übernommen. Der gelernte Krankenpfleger und studierte Ethnologe sowie Soziologe koordiniert die Arbeit der DAHW sowie ihrer Projektpartner in den beiden Ländern und muss dafür viel in entlegene Regionen reisen.