05. Oktober 2016

Tansania 2016: Im Hotspot der Lepra

Man sollte es kaum glauben, aber die Influenza, besser bekannt als Grippe, war einmal ein gefürchteter globaler Killer. Zwar hat der erste Weltkrieg Millionen von Opfern gefordert, jedoch nicht so viele wie die Spanische Grippe, die gegen Ende dieses ersten industriell geführten Krieges wütete. Das mutet seltsam an, war doch gerade die Zeit vor diesem schrecklichen Krieg eine Zeit der technischen und medizinischen Entwicklung. Aber erst viel später wurden Impfstoffe gegen die verschiedenen Grippeviren erforscht und entwickelt.

Etwas anders sieht es bei Lepra aus: Obwohl es sich um die älteste beschriebene Krankheit der Welt handelt, ist sie bis heute weitgehend unerforscht. Zwar gibt es seit gut 30 Jahren eine Therapie, mit der die Krankheit heilbar ist, jedoch erkranken jedes Jahr mehr als 230.000 Menschen neu an Lepra. Und dies sind lediglich die offiziell registrierten Patienten, die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. Seit vielen Jahren schon fordert die DAHW, die Übertragungswege besser zu erforschen und diese zu durchbrechen, anstatt einen großen Teil des Geldes für die Erforschung von Mitteln gegen Wohlstandserkrankungen zu verwenden. Aber Lepra ist eine Krankheit der Armut ist, und mit armen Patienten ist schwer Geld zu verdienen.

Die Novartis-Stiftung fördert nun die Erforschung einer schon länger bestehenden Theorie. Demnach könnte die einmalige Einnahme des Antibiotikums Rifampizin verhindern, dass man sich selbst ansteckt. Da Lepra überwiegend im sozialen Umfeld übertragen wird, geht es hier um Familienmitglieder, Nachbarn oder Kollegen von Patienten. Die DAHW führt diese Forschung im Süden Tansanias durch, in der Region Lindi, einem Hotspot der Krankheit. Die Region Lindi zählt zu den ärmsten Gegenden eines ohnehin armen Landes, wie zum Beleg für das Attribut als Krankheit der Armut.

Der Distrikt Liwale ist wiederum das Armenhaus dieser Region, und genau dorthin führt unsere Reise. Mit dem Chef der DAHW in Tansania, Burchard Rwamtoga, und Dr. Abasi Pegwa, dem Leiter des regionalen Lepra- und TB-Programms, fahre ich also die rund 600 Kilometer in den Süden, rund vier Stunden für die ersten 300 Kilometer und weitere acht Stunden für den Rest. Asphalt gibt es nicht auf den Straßen, die nach Liwale führen, und die ersten Regenschauer haben auf den Lehmpisten bereits ihre Spuren hinterlassen.

Abends in Liwale angekommen, treffen wir uns am nächsten Morgen mit den Contact Tracers, den Kontaktsuchern. Es sind freiwillige Helfer, die auch bei der Betreuung von Lepra-Patienten eine wichtige Rolle spielen. Dr. Abasi kennt sie und vertraut ihnen. Was allerdings noch viel wichtiger ist: Sie kommen alle aus Liwale oder den angrenzenden Dörfern, und die Menschen hier vertrauen ihnen. Für sie ist es nicht schwierig, die Verwandten, Nachbarn oder Kollegen der Lepra-Patienten davon zu überzeugen, dass sie diese Tabletten einnehmen sollten als Schutz vor einer eigenen Erkrankung.

Rund 4.000 Einwohner hat die kleine Stadt Liwale, im gesamten Distrikt leben weniger als 90.000 Menschen, verteilt auf zahlreiche Dörfer, von denen die meisten weniger als 100 Einwohner haben, aber Lepra ist hier in jedem Dorf präsent. Doch obwohl kaum einer der hier lebenden Menschen mehr als die örtliche Grundschule besucht hat, ist der Umgang mit den von Lepra betroffenen Menschen äußerst fortschrittlich: Eine Ächtung oder Ausweisung aus den Dörfern gibt es hier schon lange nicht mehr, ein Erfolg der langjährigen Aufklärungsarbeit der DAHW und seiner Partner.

Wichtig ist jetzt, dass alle Kontaktpersonen schnell getestet werden, ob sie selbst bereits erkrankt sind. Sind noch keine Anzeichen zu sehen, bekommen sie eine je nach Größe und Gewicht genau definierte Menge Rifampizin. Alle erfassten Daten werden gesammelt, zentral in Liwale gespeichert und später dann gemeinsam mit den Daten der anderen Distrikte von Wissenschaftlern ausgewertet. Dann endlich wissen wir genau, ob diese alte Theorie stimmt und man mit der einmaligen Einnahme des Antibiotikums eine Erkrankung verhindern kann. Das ist dann zwar noch keine Impfung wie bei der Grippe, aber schon einmal ein gewaltig großer Schritt auf dem Weg, dass kein Mensch mehr an Lepra erkranken soll.