11. März 2022

Tuberkulose-Bekämpfung während der Pandemie:

Mit den mobilen Röntgengeräten im Land unterwegs. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die weltweite Arbeit der DAHW

Zum Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März 2022 berichtet Anil Fastenau, Global Health Berater bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Tuberkulose-Arbeit in den Ländern des Globalen Südens

 


Inwieweit wurde die weltweite TB-Arbeit durch die Pandemie zurückgeworfen?

Anil Fastenau: Der Welttuberkulosebericht, den die Weltgesundheitsorganisation WHO jährlich herausbringt, zeigt es sehr deutlich: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, wie die Verzögerung bei der Fallfindung und die zahlreichen Einschränkungen in der medizinischen Versorgung, werden dazu führen, dass noch mehr Menschen an Tuberkulose sterben. Schon jetzt ist ersichtlich, dass die Zahl der Todesfälle im Jahr 2020 erstmals nach mehr als einem Jahrzehnt wieder gestiegen ist. Wir lagen 2019 noch bei 1,4 Millionen Todesfällen, im Jahr 2020 waren es 1,5 Millionen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl jährlich deutlich sinken sollte, ist das schon dramatisch. 

Die Ziele der WHO in ihrer „End-TB Strategie“, die weltweiten Tuberkulose-Fälle bis 2035 um 90 Prozent zu reduzieren, scheinen in Gefahr. Schon das Zwischenziel, eine Reduktion um 20 Prozent bis 2020, wurde nicht erreicht.

Anil Fastenau: Nicht einmal annähernd. Anstelle von 20 Prozent wurden 11 Prozent erreicht. Das ist eindeutig zu wenig. Die Befürchtung, die WHO Generaldirektor Ghebreyesus ausgesprochen hat, kann ich leider nur bestätigen: Die Pandemie wird die mühsam erzielten Fortschritte im Kampf gegen die Tuberkulose kaputt machen. Laut Stop-TB Partnership haben 12 Monate Pandemie schon 12 Jahre Fortschritt im Kampf gegen Tuberkulose eliminiert. Ein Erreichen der gesteckten Ziele wird aus meiner Sicht immer unrealistischer, zumindest solange die Pandemie noch andauert und ihre Auswirkungen die Arbeit erschweren. 

Welche Auswirkungen sind das? 

Anil Fastenau: Wo soll ich anfangen? Es fehlt an finanziellen und personellen Ressourcen in den Ländern, da diese in die Pandemie investiert wurden. Die Gesundheitssysteme sind überlastet und teilweise zusammengebrochen. Lockdowns und Ausgangsbeschränkungen erschwerten und behinderten den Zugang zu Diagnose und Behandlung. Das Personal in den Gesundheitsstationen wurde für die Versorgung von COVID-19 Patient:innen abgezogen, Betten wurden anders belegt, Budgets umgeschichtet, Dienste unterbrochen. Ganz zu schweigen von der fehlenden Schutzausrüstung. Die Ansteckung mit Tuberkulose erfolgt ja, wie bei COVID auch, über Tröpfcheninfektion. 

Auch die Fallsuche wurde erheblich erschwert.

Anil Fastenau: Richtig. Aufgrund der erschwerten Bedingungen wurden auch weniger neue Erkrankungen erfasst. 7,1 Millionen wurden 2019 gezählt, 5,8 Millionen waren es in 2020. Das bedeutet, dass wir mehr Erkrankte ohne Diagnose haben. 

In Zeiten der Pandemie erfolgt die Diagnose aufgrund der mangelhaften und erschwerten medizinischen Versorgung oft erst viel später oder gar nicht. Lockdowns, Ausgangssperren und Reisebeschränkungen führen dazu, dass Diagnosezentren und Therapiezentren nicht aufgesucht werden können. Bei der Tuberkulose hat das einen großen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit. Je später sie diagnostiziert und behandelt wird, desto gefährlicher ist sie und desto eher kann sie zum Tod führen.

Ebenso wichtig ist es, die angefangene Behandlung bis zum Ende durchzuführen. Werden Antibiotika nicht regelmäßig eingenommen oder wird eine medikamentöse Therapie abgebrochen, kann dies zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen führen. Die Medikamente werden somit wirkungslos. Die Pandemiebekämpfung muss daher zukünftig so gestaltet werden, dass die angefangenen Behandlungen von Tuberkulose-Patient:innen weitergehen können – ohne Unterbrechung. 

Grundsätzlich ist es so, dass Patient:innen mit einer Lungentuberkulose eine Höchstrisikogruppe für COVID-19 sind. Sie sind sozusagen doppelt betroffen und gefährdet, besonders in Ländern mit eingeschränktem Zugang zur medizinischen Versorgung. Da die Lungen bereits vorgeschädigt sind und das Immunsystem oft geschwächt ist, kann es eher zu einem tödlichen Verlauf kommen.  

Warum sind gerade die Menschen in den Projektländern der DAHW besonders betroffen?

Anil Fastenau: Tuberkulose ist eine klassische armutsassoziierte Krankheit. Über 95 % der TB-Fälle und Todesfälle treten in sogenannten Entwicklungsländern des Globalen Südens auf und treffen vor allem Menschen, die aufgrund ihrer sozioökonomischen und umweltbezogenen Lebensbedingungen zu den Schwächsten in einer Gesellschaft zählen und besonders vulnerabel und marginalisiert sind, also am Rand der Gesellschaft stehen.

Die Krankheit bricht hauptsächlich bei denjenigen aus, deren Immunsystem aufgrund prekärer Lebensbedingungen, Unter- oder Mangelernährung, Erkrankungen oder anderen Faktoren geschwächt ist. Im Jahr 2020 gab es weltweit 1,9 Millionen neue TB-Fälle, die auf Unterernährung zurückzuführen waren. Das sind wesentlich mehr als in den Jahren zuvor – 2019 waren es etwa 1,4 Millionen. Laut UN-Bericht hat die Zahl der Hungernden in 2020 sehr stark zugenommen. Weltweit waren bis 811 Millionen Menschen unterernährt, knapp ein Zehntel der Weltbevölkerung. Die Pandemie hat viele in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, gleichzeitig stiegen die Lebensmittelpreise und der Zugang zu Lebensmitteln wurde erschwert. 

Was ich damit sagen will: Es ist ein ständiger Kreislauf. Armut führt zu Krankheit und Krankheit führt zu Armut. Die Pandemie hat das alles noch verstärkt und beschleunigt.

Welches Fazit ziehen Sie nach zwei Jahren Corona-Pandemie? 

Anil Fastenau: In meiner langjährigen Tätigkeit in der medizinischen Beratung habe ich noch nie erlebt, dass so schnell Kräfte gebündelt, geforscht und Lösungsansätze entwickelt wurden. Das ist toll! Solche innovativen Ansätze brauchen wir auch in der TB-Arbeit.

Ich würde mir wünschen, dass nach der Pandemie auch Infektionskrankheiten, die überwiegend den Globalen Süden treffen, so viel Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung erhalten wie COVID. Das würde uns auch bei der TB-Bekämpfung einen großen Schritt weiterbringen. 

Die Gesundheitssysteme müssen nachhaltig gestärkt werden. Dafür müssen wir die Aufmerksamkeit auf die mangelnde Gesundheitsversorgung lenken. Das ist eine der positiven Effekte der Pandemie, wenn man davon sprechen kann: Die Pandemie hat Schwächen im Gesundheitssystem aufgedeckt, aber auch Schwächen in Ernährungssystemen, die zu steigender Unterernährung führen. Ich hoffe, dass diese Erkenntnisse genutzt werden, um Verbesserungen in den Systemen zu schaffen.

Wir brauchen stabile und resiliente, also widerstandsfähige und reaktionsstarke Gesundheitssysteme, die einen solchen „Schock“ wie eine Pandemie verkraften können. Sie zu stärken, bedarf weitaus größerer Investitionen, und die Regierungen sind nun hoffentlich bereit, mehr zu investieren. Wichtig ist, dass wir integrierte Ansätze entwickeln und umsetzen. Ansätze, die nicht alleine COVID oder Tuberkulose bekämpfen, sondern das große Ganze sehen. Die globale Gesundheit muss im Vordergrund stehen. 

Gesundheit ist auch ein Welt-Sicherheitsthema. Die Pandemie hat das gezeigt. Alle Probleme sind miteinander verbunden. Ernährung, Bildung, Armut und Krankheit. Also müssen wir alle, Hand in Hand, gemeinsam dafür kämpfen, sie mit innovativen Ansätzen, ganzheitlichen Strategien und hohen Investitionen zu besiegen. Es ist noch ein weiter Weg, der vor uns liegt. Aber wir gehen ihn unbeirrt weiter. 

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WELT-TUBERKULOSE TAG

Obwohl die bakterielle Infektionskrankheit vermeidbar und behandelbar ist, versursacht sie nach wie vor großes Leid und fordert unzählige Menschenleben.