17. Januar 2023

Vernachlässigte Tropenkrankheiten heilen: Ja. Aber wer kümmert sich um die mentale Gesundheit?

„Mental health is part of total health”: Die vernachlässigten Tropenkrankheiten Lepra und Buruli Ulcer führen oft zu sichtbaren Entstellungen und dadurch zu Stigmatisierung und Diskriminierung der Betroffenen. Diese leiden häufig unter Depressionen und Angstzuständen. Die DAHW kümmert sich deshalb immer mehr auch um die mentale Gesundheit der Patient:innen. Foto: DAHW Nigeria

Zum Welttag gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (NTDs) am 30. Januar macht die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe auf einen der größten „Nebenaspekte“ dieser Krankheiten für die Betroffenen aufmerksam: die mentale Gesundheit. „NTDs verursachen neben dem großen körperlichen ein mindestens genau so großes seelisches Leid“, weiß Dr. Saskia Kreibich, die bei der DAHW als Global Health Beraterin vor allem für die afrikanische Projektregion zuständig ist. „Wir dürfen diese mentalen Gesundheitsprobleme nicht genauso vernachlässigen, wie es mit den Krankheiten jahrelang getan wurde. Die DAHW geht dieses Problem aktiv an.“

Würzburg, Enugu, Addis Abeba, den 30. Januar 2023: In einer 2020 erschienenen, umfassenden Empfehlung schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO: „Vernachlässigte Tropenkrankheiten (NTDs) verursachen bei den Betroffenen und ihren Betreuern häufig Leid, sowohl aufgrund ihrer direkten Auswirkungen als auch aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung. Bei einigen Menschen kann die Not zu schwerwiegenderen psychischen, neurologischen und sozialen Problemen führen; … zu Drogenkonsum als Mittel zur Bewältigung oder zu Selbstverletzungs- oder Selbstmordgedanken.“ Die Organisation bringt den Zusammenhang zwischen mentaler Gesundheit und NTDs auf den Punkt. Von NTDs betroffene Menschen haben demnach ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen – und Menschen mit psychischen Erkrankungen wiederum haben ein höheres Risiko, an einer NTD zu erkranken. Um diesen Kreislauf zu unterbrechen, fordert sie dazu auf, psychische Gesundheit und psychosoziales Wohlbefinden in der NTD-Arbeit als besonders wichtig anzuerkennen.
Dr. Saskia Kreibich von der DAHW weiß um diese Wichtigkeit. Sie weiß, wie die WHO, dass jeder zweite Mensch, der von Lepra oder Lymphatischer Filariose betroffen ist, auch unter Depressionen, Angstzuständen oder beidem leidet. „In unseren Projekten in den Ländern des Globalen Südens spüren wir dieses Problem bei zahlreichen der Betroffenen. Ein Beispiel: Wir kümmern uns in Nigeria um Menschen, die von Lepra und von Buruli Ulcer betroffen sind. Beide NTDs können zu sichtbaren Entstellungen führen und damit zu Stigmatisierung. Wir schätzen, dass ca. 30.000 Menschen in Nigeria von Behinderungen aufgrund von Lepra betroffen sind.“ Die Ausgrenzung wirkt sich bei den betroffenen Menschen auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit aus. Hinzu kommt, dass die psychische Gesundheitsversorgung in Nigeria sehr schwach ist. Schätzungen zufolge gibt es nur einen Experten für psychische Gesundheit für Hunderttausende von Einwohner:innen. Millionen von Landbewohner:innen sind völlig unterversorgt. Gerade NTD-Betroffenen stehen so gut wie keine psychosozialen Dienstleistungen zur Verfügung und sie sind allein gelassen mit ihrem Leid.

„Leave no one behind – Niemanden zurücklassen“

So lautet der Ansatz der DAHW, den sie diesem Umstand entgegensetzt. In einem vierjährigen Forschungsprojekt in Nigeria identifiziert die DAHW nachhaltige Wege, um psychosoziale Dienste zugänglich zu machen. „Wir ermitteln das Ausmaß psychischer Erkrankungen wie Depressionen bei Lepra- und Buruli-Betroffenen und wir erforschen, ob ein ganzheitlicher gemeindeorientierter Ansatz, an dem Patient:innen-Selbsthilfegruppen, Laienberater:innen aus der Gemeinde und nicht spezialisiertes Gesundheitspersonal beteiligt sind, die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen verbessert."

In einem weiteren Projekt – ebenfalls in Nigeria – identifiziert und ernennt die DAHW so genannte NTD-Champions. „Das sind Menschen, die von einer NTD betroffen waren und die bereit und in der Lage sind, ihre Erfahrungen auf freiwilliger Basis weiterzugeben, um andere Betroffene dabei zu unterstützen, ihre psychische Gesundheit zu verbessern“, erzählt Dr. Kreibich. „Sie koordinieren Selbsthilfegruppen-Treffen, schulen die Teilnehmer:innen in Selbsthilfepraktiken, und überweisen sie, falls nötig, weiter an Mental Health-Expert:innen. Wir stärken also nicht nur die Betroffenen und deren Angehörige, sondern auch die NTD-Champions selbst. Diese neue Aufgabe verbessert ihre Fähigkeiten im Bereich des Projektmanagements, ihre Produktivität, ihre soziale Teilhabe, ihr Gefühl der Erfüllung und ihre Beschäftigungsfähigkeit in der Gesellschaft auch nach Abschluss des Projekts.“

Äthiopien: Die Gemeinde im Fokus

Auch in Äthiopien forscht die DAHW an Möglichkeiten, die mentale Gesundheit NTD-Betroffener zu stärken. Hier entwickelt die Organisation ein operationelles und skalierbares Modell für gemeindebasierte Gruppen, das auch von anderen Organisationen weltweit angewandt werden kann und die Gründung lokaler Gemeinschaftsgruppen erleichtert. „Wir wollen die Gemeinden stärken, das Thema Mentale Gesundheit hier verankern und Dienstleistungen für die mentale Gesundheitsversorgung integrieren. Durch die Bildung dieser Gruppen fördern wir Praktiken zur Selbsthilfe und unterstützen die Betroffenen darin, gut für sich, ihre körperliche und mentale Gesundheit zu sorgen. Dadurch können wir zum Beispiel leprabedingten Beeinträchtigungen vorbeugen.“, erklärt Saskia Kreibich. „Die Gruppen tragen stark dazu bei, Lepra zu einer ,Krankheit ohne Folgen‘ zu machen, also ohne mögliche Behinderungen, ohne damit verbundene Vorurteile und ohne Beeinträchtigung der Lebensqualität.“
Die DAHW hat erkannt: Die Heilung von der Infektionskrankheit ist das eine. Die Menschen beim Umgang mit Beeinträchtigungen und psychischen Belastungen zu unterstützen, der zwingende Folgeschritt. Denn die mentale Gesundheit kann massive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen, ihre beruflichen Perspektiven und ihren Lebensunterhalt haben.
Mit verschiedenen Ansätzen gelingt es der DAHW, fehlende psychosoziale Gesundheitsdienste für NTD-Betroffene auf Gemeindeebene bereitzustellen: „Mentale Gesundheit wurde so lange vernachlässigt. Es ist Zeit, diesem Aspekt nun Aufmerksamkeit zu widmen“, fasst Saskia Kreibich die Aktivitäten zusammen.


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