14. Januar 2022

Weniger Fälle heißt nicht weniger Betroffene

Zu den Nothilfemaßnahmen der DAHW im Zuge der COVID-19-Pandemie gehört auch, Lepra-Patient:innen mit den notwendigen Medikamenten zu versorgen und sie in der Wundpflege zu schulen, damit sie diese selbst übernehmen können. Foto: Pratibha Devi / DAHW

Weil infolge der Corona-Pandemie weniger Lepra-Patient:innen gefunden werden, könnte es bei Betroffenen vermehrt zu Behinderungen kommen.

(Würzburg, 12. Januar 2022) – Infolge von Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wie Ausgangssperren und Kontaktverbote konnten seit Ausbruch der Pandemie in vielen Einsatzländern der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. weniger Lepra-Patient:innen gefunden werden. Die dramatischen Konsequenzen: Wenn von Lepra betroffene Menschen keine oder eine späte Behandlung erhalten, können sich mehr schwere Krankheitsverläufe und irreversible körperliche Behinderungen entwickeln. Zugleich werden weitere Übertragungen nicht verhindert. Für die ehrgeizigen Ziele der Lepra-Akteure weltweit ein herber Rückschlag.

„2020 haben uns die Kolleg:innen in den Regional- und Programmbüros der DAHW etwa ein Drittel weniger Lepra-Fälle gemeldet als im Vorjahr“, berichtet Dr. Saskia Kreibich, Global Health Beraterin bei der DAHW. „Jedoch nicht etwa, weil weniger Menschen an Lepra erkrankt waren, sondern weil infolge der Corona-Pandemie weniger Patient:innen diagnostiziert worden sind.“ Viele öffentliche Krankenhäuser in den Projektländern seien zur COVID-19-Behandlung umfunktioniert worden bzw. sei wegen fehlender Schutzausrüstung weniger Gesundheitspersonal im Einsatz gewesen. Auch die DAHW-Aktivitäten zur Fallsuche und zur Ausbildung von Gesundheitspersonal konnten lange Zeit nicht durchgeführt werden.

Gemeinsam mit den Partnern vor Ort sei es gelungen, sich an die neue Situation anzupassen und neue Wege zu finden, die Arbeit wieder aufzunehmen. „Im Jemen beispielsweise haben wir in der ersten Hälfte 2021 im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2020 ca. 40 Prozent mehr Betroffene ausfindig gemacht“, freut sich die Infektionsbiologin. Doch es bleibe abzuwarten, wie sich die globale Pandemie entwickelt. Eine erneute Verschlechterung der Lage sei durchaus möglich. „Sicher ist, dass uns Corona in der Kontrolle von Lepra und anderen Krankheiten um Jahre zurückgeworfen hat“, so Kreibich.

Generell hohe Dunkelziffer in den Statistiken

Die Lepra-Statistiken, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr veröffentlicht werden, bilden seit jeher kaum die Realität ab. In den meisten Ländern fehlt es an funktionierenden und flächendeckenden Gesundheitssystemen und Kontrollprogrammen. Gerade in den abgelegenen, unzugänglichen Regionen ist die Fallsuche sehr zeit- und kostenintensiv. Zudem mangelt es an Gesundheitspersonal, das ausreichend geschult ist und die Krankheit auch frühzeitig erkennt. Bei von Lepra betroffenen Menschen wird daher die Diagnose häufig erst gestellt, wenn die Krankheit schon schwere irreversible Behinderungen verursacht hat – eine Last, mit der sie ein Leben lang leben müssen.

„Betroffene haben oft keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, sie erkennen die Symptome nicht oder verheimlichen einen Krankheitsverdacht aus Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung“, erläutert Dr. Kreibich. „Gemeinsam mit unseren lokalen Partnerorganisationen schließen wir insbesondere in entlegenen Regionen gezielt Lücken in der Fallsuche, Diagnose und Versorgung von Lepra- oder TB-Betroffenen. Dazu bilden wir unter anderem medizinisches Fachpersonal und freiwillige Gesundheitshelfer:innen aus und entsenden eigene Teams.“

Sozioökonomische Folgen besonders verheerend

Im Herbst 2021 hat die WHO die Lepra-Statistiken für das Vorjahr veröffentlicht. Sie bestätigt die Entwicklung. „Sie beziffert die Reduktion der weltweiten Fälle im Vergleich zu 2019 auf 37,1 Prozent. Während 2019 noch aus 160 Ländern Zahlen gemeldet wurden, berichteten 2020 nur noch 127 Länder“, informiert Dr. Kreibich. Die massivsten Einbrüche habe es in Südostasien gegeben. In Indien, wo Lepra endemisch verbreitet ist, wurden nur noch 65.147 Menschen mit einer Lepra-Erkrankung diagnostiziert, 2019 waren es mit 114.451 noch fast doppelt so viele. Aber auch in Brasilien, Äthiopien und Nigeria zeichnet sich der gleiche Verlauf ab.

„Lepra ist eine armutsassoziierte Krankheit, das heißt: Sie betrifft vor allem Menschen, die sich die medizinische Versorgung nicht leisten können, unter unhygienischen Bedingungen leben und aufgrund mangelnder Bildung bzw. religiös-traditioneller Vorurteile mit einem größeren Stigma der Lepra zu kämpfen haben“, stellt Kreibich klar. „Diese ohnehin marginalisierten Menschen haben unter den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie besonders zu leiden – auch auf sozioökonomischer Ebene.“ So brach Millionen Menschen aufgrund von Lockdowns die Existenzgrundlage weg, ihre Armut nahm weiter zu. „Und mit ihr der Ernährungsmangel und die Anfälligkeit für Krankheiten“, so Saskia Kreibich. „Soziale Absicherungssysteme fehlen ebenso wie erschwingliche bzw. erreichbare Gesundheitsdienstleistungen – ein Teufelskreis, der durch Corona noch befeuert wird.“


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