18. Januar 2021

„Wer weiß schon, was morgen ist?“

Im Frühjahr 2020, wurden aufgrund des mit COVID-19 verbundenen Notstandsgesetzes Geschäfte und Moscheen geschlossen. Foto: Hashem Alkurish / DAHW

Auswirkungen der Corona-Pandemie erfordern Nothilfe für an Lepra erkrankte Menschen mit Behinderungen in Äthiopien.

Für einen erkrankten Menschen, der ausschließlich vom Betteln lebt, bedeutet ein Lockdown weitaus mehr als nur geschlossene Geschäfte. Keine Menschen auf den Straßen? Keine Einnahmen, kein Essen. So einfach und gleichzeitig tragisch ist die Wirkungskette einer Pandemie für Betroffene wie Ertibane Mohammed aus Äthiopien.

Ertibane ist 55 Jahre alt, geschieden und seit Jahrzehnten von einer sichtbaren Behinderung als Folge ihrer Lepra-Erkrankung gezeichnet. Gemeinsam mit ihrer siebenjährigen Adoptivtochter lebt sie in extremer Armut in Kuyera, einer der ältesten Lepra-Siedlungen Äthiopiens. Sie bestreitet den gemeinsamen Lebensunterhalt durch Betteln. "Gott weiß, was morgen ist", sagt Ertibane nach jeder gesicherten Mahlzeit, womit sie auf die Großzügigkeit anderer Menschen anspielt, von der jede Mahlzeit abhängt.

Im Frühjahr 2020, mit Beginn der Pandemie, änderte sich alles. Die Moschee, die sie sonst täglich zum Betteln aufsuchte, wurde aufgrund des mit COVID-19 verbundenen Notstandsgesetzes geschlossen. Wo keine Menschen mehr ein- und ausgehen dürfen, versiegt auch die Einkommensquelle für Frauen wie Ertibane, die aufgrund ihrer Lebensumstände betteln müssen. Bereits nach kurzer Zeit stand die kleine Familie kurz vor dem Hungertod – und das, wo die für sie so wichtige Fastenzeit, der Ramadan, kurz bevorstand. Doch daran war nicht zu denken.

Die Menschen vor dem Hungertod bewahren

Zur gleichen Zeit startete die DAHW in Äthiopien im Rahmen ihrer Corona-Intervention ein Soforthilfeprojekt in den Lepra-Siedlungen Kuyera und Bisidimo, um besonders gefährdete und marginalisierte Menschen wie auch Menschen mit Behinderungen schnellstmöglich zu unterstützen und die negativen Auswirkungen der COVID-19-Krise zu minimieren. Im Vordergrund des Projekts stand die Nahrungsmittelverteilung. Menschen, die an Krankheiten wie Lepra und/oder Behinderungen leiden, bekamen eine einmonatige Lebensmittelration zur Verfügung gestellt. So sollten Betroffene wie Ertibane während der COVID-19-Pandemie vor dem Hungertod bewahrt werden.

Bereits im Mai 2020 wurde sie hinsichtlich ihrer Notsituation überprüft und in die Liste der Begünstigten aufgenommen. Sie erhielt 50 kg Mais, 3 Liter Speiseöl sowie 3 Stück Bade- und Waschseife, um sich und ihre Tochter durch die nächsten 30 Tage zu bringen und Hygienemaßnahmen umsetzen zu können. Die Nothilfe bewahrte Ertibane und ihre kleine Tochter nicht nur vor dem Tod, sie ermöglichte es der kleinen Familie auch, den Ramadan fastend zu verbringen und sich wie bisher auf ihre Gebete zu konzentrieren.

Was den Menschen, die von Lepra und/oder Behinderungen betroffen sind, und in größter Armut überleben müssen, die Verteilung von einfachsten Lebensmitteln bedeutet, können wir uns hierzulande kaum vorstellen. Hier geht es nicht um Klopapier oder Nudeln, sondern um ein paar Kilo Mais, die Leben retten. Immer wieder berichtet das DAHW-Projektteam von dankbaren und berührenden Reaktionen der Betroffenen. „In Geneferon/Harar zum Beispiel ging eine sehr magere Frau um die 50 auf einen der Bisidimo-Sozialarbeiter zu und segnete ihn und das ganze DAHW-Team für die lebensrettende Nahrungsmittelhilfe“, berichtet Abebe Feyie aus Äthiopien. „Anschließend murmelte sie: ‚Heute werde ich mit vollem Magen schlafen‘. Niemand weiß, wie viele Nächte sie aufgrund der Ausgangsbeschränkungen mit leerem Magen geschlafen hatte.“

Vergessene Menschen ins Licht rücken

„Hinsehen statt Übersehen“ lautet unser diesjähriger Aufruf zur Aktionswoche rund um den Welt-Lepra-Tag und den Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) in der letzte Januarwoche. Wir erzählen die Geschichte von Ertibane Mohammed, damit auch sie gesehen wird – stellvertretend für die vielen vergessenen Menschen in unseren Projekten, die dringend unsere Unterstützung brauchen. Sie alle, die im Fokus unserer Arbeit stehen, litten schon vor der Pandemie unter Lepra oder anderen NTDs, die für viele Betroffene Behinderungen, Armut, Ausgrenzung oder den Tod bedeuten. Sie sind massiv von den Auswirkungen der globalen Gesundheitskrise betroffen, da ihre Versorgung noch mehr erschwert ist. Mit Ihrer Hilfe können wir ihr Schicksal im Rahmen der Aktionswoche ins öffentliche Bewusstsein rücken. Dafür unseren herzlichen Dank!

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