01. Dezember 2014

Wieder gesund werden!

Im Leprazentrum Chettipatty erhalten Leprakranke Hilfe und Hoffnung auf ein neues Leben

Abends vor dem Einschlafen laufen Pushpa manchmal ein paar Tränen über die Wangen. Gerne würde sie morgen mit ihren Freundinnen zur Schule laufen. Auf dem Weg würden sie noch etwas herumalbern, kichern und quatschen. Was Mädchen auf dem Schulweg eben so tun. Davon träumt die 15-Jährige, wenn sie unter ihre Decke kriecht. Doch seit einem Jahr ist sie nicht mehr in der Schule gewesen. Pushpa hat Lepra.

Ein Gesundheitshelfer der DAHW hat die Flecken auf ihrer Haut entdeckt. Regelmäßig besuchen die Helfer die Schulen im Umkreis von Chettipatty im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Einen Monat später kann Pushpa bereits ihre Finger nicht mehr richtig bewegen. Die Zeit drängt. Pushpa wird ins Lepra-Referenzzentrum nach Chettipatty verlegt. „Ich vermisse meine Familie und meine Freunde“, sagt das Mädchen.

50 Kilometer ist die Klinik von ihrem Dorf entfernt. Zu weit weg, um auf häufigen Besuch zu hoffen. Außerdem haben ihre Eltern ihren Freunden und Nachbarn nichts von der Krankheit erzählt. Zu groß ist die Angst, deswegen ausgegrenzt zu werden. Dennoch ist Pushpa froh, in Chettipatty eine gute Behandlung zu bekommen. Jeden Tag schluckt sie ihre Medikamente.

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Wenn das Heimweh zu groß wird, lenkt sie sich mit Lesen oder Brettspielen ab. Zusammen mit ihrer Zimmernachbarin sitzt sie dann auf der Veranda vor ihrem Zimmer. Dort würfeln sie mit Steinen, das Spielfeld haben sie auf einem Stück Pappe aufgemalt. Thayam heißt das Spiel, eine Art indisches „Mensch, ärgere Dich nicht“. „Eigentlich bin ich Rechtshänderin“, sagt Pushpa und wirft die Steinwürfel mit links. Die rechte Hand steckt in einem unförmigen Gips. Nur zur Physiotherapie darf sie ihn abnehmen.

Übung bringt Beweglichkeit

Jeden Tag machen Pushpa und die anderen Patienten Übungen mit ihren Fingern, Hände oder auch den Füßen, je nachdem welcher Körperteil betroffen ist. „Es ist wichtig, die Gelenke zu mobilisieren“, erklärt ihnen der Physiotherapeut. Denn erst dann kann operiert werden, um die Deformationen zu stoppen oder sogar zu beseitigen. Sind die Gelenke bei der Operation noch zu steif, besteht die Gefahr eines Rückfalls.

Wasser löst den Gips. Foto: Bernd Hartung / DAHW

Vorsichtig zieht der Physiotherapeut die Gipsschiene von Pushpas Hand. „Jetzt musst Du die Hand ins Wasser legen, damit sich die Gipsverbände von den Fingern lösen“, erklärt er. Schwungvoll taucht Pushpa die Hand ins Wasser, das über den Tisch spritzt. „Schön warm“, sagt sie und rührt in der Schüssel. „Eigentlich mag ich den Gips ja gerne, weil er meine Finger wieder gerade macht“, erklärt Pushpa. „Aber es ist trotzdem schön, die Hand mal wieder zu bewegen.“ Langsam streckt sie die Finger nach oben und unten, dreht und beugt die Hände.

Etwa 50 neue Patienten nimmt das Lepra-Referenzzentrum jedes Jahr stationär auf. Knapp 2.000 werden in der ambulanten Klinik untersucht. „Es ist wichtig, dass die Krankheit möglichst früh erkannt wird. Dann können wir schnell eingreifen und Medikamente geben. Wir müssen dranbleiben“, sagt Father Gopu, Direktor des Zentrums.

Früherkennung ist extrem wichtig

Zwar ist in den vergangenen Jahren die Zahl der neuen Leprafälle stark zurückgegangen. Doch noch ist die Krankheit nicht ausgerottet. „Wichtig ist die Nachbehandlung“, betont Gopu. „Auch wenn wir die Patienten regelmäßig mit Medikamenten versorgen, können zu einem späteren Zeitpunkt immer noch Deformationen oder Geschwüre an Armen und Beinen auftreten. Dann bleiben die Menschen ein Leben lang behindert. Und das möchten wir verhindern.“

Pushpas Finger werden genau vermessen. Foto: Bernd Hartung / DAHW

Auch Pushpa gibt die Hoffnung nicht auf, dass sie nach der Operation ihre Hände wieder bewegen kann wie vorher, "Oder zumindest fast so", sagt die 15-Jährige. Sie hält dem Physiotherapeuten ihre Hände entgegen. Sorgfältig vermisst dieser jeden einzelnen Finger und prüft, wie stark sie sie durchstrecken kann. „Es tut mir leid“, sagt er bedauernd. „Deine Hände sind noch zu steif. Du musst noch weiter üben.“ Pushpa seufzt. Doch sie weiß, dass sie dran bleiben muss, damit irgendwann ihr größer Wunsch doch in Erfüllung geht: „Wenn ich gesund bin, möchte ich gerne Lehrerin werden.“