14. Januar 2019

Lepra ist im Sudan immer noch ein Tabuthema

Betroffene Frauen werden fast immer von ihren Ehemännern verlassen und stehen damit vor dem Nichts

Heute ist Freitag. Im islamisch geprägten Sudan bedeutet dieser Tag Wochenende.

Trotzdem ist Dr. Emile Tanyous unterwegs. Zu seinen Patienten im Krankenhaus Aburouf in der Hauptstadt Khartum. Es gilt als anerkanntes nationales Referenzzentrum für Gesundheit und damit auch für Lepraerkrankungen. Tanyous gehört der Minderheit der koptischen Christen im Land an. Freitag ist für ihn ohnehin ein Arbeitstag. „Ohne die Unterstützung der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. und ihrer Spenderinnen und Spender könnte ich hier nicht tätig sein. Die von Lepra Betroffenen brauchen mich“, betont der Arzt. Es gibt sie also immer noch, die biblische Krankheit Lepra. „Man redet nicht darüber, sie unterliegt immer noch einem Tabu“, ergänzt der 62-Jährige. Umso wichtiger ist sein Engagement für die Betroffenen.

Lepra: Der Ehemann will die Scheidung

Betroffenen wie die dreifache Mutter Sofia K., die den Mut aufbrachte, in seine Sprechstunde zu kommen. Zehn Jahre litt sie bereits an Lepra ohne es wahrhaben zu wollen. „Ich riet ihr dringend davon ab, ihren Mann ins Vertrauen zu ziehen“, sagt  Dr. Tanyous. Dazu kam ihre Angst, dass sie ihre Kinder anstecken könnte. „Das nahm sie psychisch sehr mit“, ergänzt er. Sie vertraute sich ihrem Bruder an. Das war ein großer Fehler, denn der verriet ihre Erkrankung an den Ehemann. „Der kam sofort zu mir. Er war sehr aufgebracht und wollte die Trennung“, erinnert sich der koptische Christ. „Ich bat ihn, die Scheidung noch einmal zu überdenken.“ Doch das Stigma im Sudan von Lepra Betroffenen gegenüber ist so hoch, dass der Mann schon längst beschlossen hatte, seine Frau zu verlassen. Selbst als die 35-Jährige geheilt war, gab es kein Zurück mehr. Ihr früherer Ehemann heiratete eine andere Frau. Ein Schicksal, dass leider viele Frauen erleiden und die DAHW durch ihre Aufklärungsarbeit für viele Frauen im Sudan verhindern möchte.

Als eines der ersten Hilfswerke überhaupt hat die DAHW nach dem Unabhängigkeitskrieg bis 1972 im Süden des damaligen Sudan gearbeitet. Heute ist die Situation anders, denn der Südsudan und der Sudan sind eigenständige Länder. Im großflächigen Sudan arbeitet die DAHW mit Dr. Tanyous zusammen, um den an Lepra erkrankten Menschen eine frühzeitige Diagnose und eine erfolgreiche Therapie zu ermöglichen. Denn ein staatlich funktionierendes Lepra-Kontrollprogramm gibt es nicht. „Offiziell wird Lepra kaum unterstützt. Die meisten Ärzte wissen auch nicht, wie sie sie behandeln sollen. Umso dringender sind wir auf Spenden und die Unterstützung durch die DAHW angewiesen“, betont Dr. Tanyous. Ganz wichtig sind die Fortbildungen des wenigen noch vorhandenen Gesundheitspersonals. Der Mediziner bietet sie regelmäßig an. Hinzu kommt, dass die DAHW in neun Bundesstaaten des riesigen Landes Menschen mit Behinderung unterstützt. 2017 hat das in Würzburg ansässige Hilfswerk auch die Versorgung der Leprapatienten im nationalen Referenzkrankenhaus Aburouf übernommen. Dort, wo der Arzt regelmäßig arbeitet.

Schulungen im Garten der Moschee

Das Bewusstsein der Menschen muss sich ändern. Lepra darf zu keiner Ausgrenzung mehr führen. Doch der Sudanese kämpft gegen Windmühlen an. „Aufgeben wäre das Letzte. Wir gehen auch in die Häuser, reden mit den Menschen und hoffen, das Stigma der Krankheit zu besiegen.“ Der Imam, ein muslimischer Geistlicher, ist auf seiner Seite. „Ich darf meine Schulungen auch im Garten der Moschee halten.“

Dann erzählt er von Doria H., deren Gesicht von der Lepra völlig entstellt war. Verzweiflung prägte ihr Leben, die jahrelange Odyssee zu verschiedenen Ärzten hatte sie sehr mitgenommen. Offiziell litt sie an einer schweren Akne mit Allergie. „Alles was hier mit einer Hauterkrankung zu tun hat, nennt man Allergie“, schmunzelt Dr. Tanyous. Das war ein Glück für die Lehrerin. Nicht einmal ihre Tochter, eine Laborangestellte, ahnte etwas von ihrer tatsächlichen schweren Erkrankung. „Sie war psychisch sehr angegriffen als sie zu mir kam. Ich versprach ihr, dass man nach einem Jahr Behandlung von den Deformationen im Gesicht nichts mehr sehen wird. Sie vertraute mir“, erzählt der Arzt, der sich auf Public Health spezialisiert hat.

Eine Arbeit, die sich lohnt. Auch am Feiertag.

Die 55-Jährige sei damals geschockt gewesen, denn in ihrer Familiengeschichte sei Lepra nie vorgekommen. Ihrem Ehemann erzählte sie nichts davon, was letztendlich eine weise Entscheidung war. „Und heute ist sie glücklich, denn man sieht tatsächlich nichts mehr von den Entstellungen.“ Das sind Erfolge, die Dr. Tanyous freuen. Und dafür lohnen sich auch die Einsätze am Wochenende. Für Patientinnen wie Sofia und Doria und vielen Anderen, denen er helfen kann.


Kurzbiografie von Dr. Emil

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