10. Dezember 2014

Zum Tag der Menschenrechte: Für Vicent zählt nur das Überleben

Heute am 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. Gesundheit ist ein Menschenrecht. Das Leben von Millionen Menschen in Entwicklungsländern wird von Erkrankungen bedroht, die für uns in den Industrieländern längst ihren Schrecken verloren haben. Noch immer sterben jedes Jahr rund sieben Millionen Kinder an Krankheiten, die vermeidbar wären. Der 13-jährige Vicent Waswa aus Uganda wird einer von denen sein, die überleben.

In der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 heißt es, dass alle Kinder die notwendige ärztliche Hilfe und Gesundheitsfürsorge erhalten, wobei besonderer Nachdruck auf den Ausbau der gesundheitlichen Grundversorgung gelegt wird. Doch die Realität sieht in den Entwicklungsländern anders aus.

Vicents Gesicht hat die Lepra verändert. So stark, dass sogar die Freunde nicht mehr mit ihm spielen wollen, zuhause, in seinem kleinen Dorf in Uganda. Nun ist er wieder im Krankenhaus von Buluba. "Jetzt muss er länger bleiben", sagt Verwaltungsleiterin Schwester Harriet, "denn er hat heftige Nebenwirkungen. Er kann jetzt unmöglich nach Hause."

Der Deutsche Olaf Hirschmann kennt diese Situationen. Er arbeitet als Repräsentant der DAHW in Uganda. Das Hilfswerk unterstützt das Krankenhaus von Buluba seit den 1960er Jahren.

Das Krankenhaus von Buluba in Uganda. Foto: Enric Boixadós / DAHW

Von irischen Franziskaner-Schwestern 1934 gegründet, gilt es neben dem St. Francis-Krankenhaus in Nyenga bis heute als das wichtigste Leprazentrum Ugandas. "Unsere Arbeit hier ist sehr umfassend. Neben der medizinischen Behandlung der Patienten ist es unser Ziel, sie danach wieder in ihre Dorfgemeinschaften zu entlassen. Deswegen gibt es hier auch einen Rehabilitationsbereich, wo physiotherapeutisch behandelt wird", erklärt Hirschmann, der einen Projektbesuch in Buluba macht. Er lächelt Vicent aufmunternd zu.

Vicent weiß nicht, wo er sich mit dem Leprabakterium angesteckt haben könnte. Foto: Enric Boixadós / DAHW

Tatsache ist, dass besonders Infektionskrankheiten wie Aids, Tuberkulose und Malaria aber auch Erkrankungen wie Lepra, Denguefieber oder Leishmaniose in Entwicklungsländern zu massiven gesundheitlichen Problemen führen.

Lang dauernde Behandlungen können von armen Patienten oder ihren Familien häufig nicht finanziert werden. Oft werden darum bereits begonnene Therapien wieder abgebrochen – zu Lasten der Patienten, die dann nicht vollständig gesund werden. Vicents Familie ist arm, doch sie hat Glück gehabt, denn die Behandlung im Krankenhaus von Buluba kostet ihnen nichts. Trotzdem sind es Entbehrungen, wenn der Sohn für lange Zeit nicht nach Hause kommen kann, aus Sorge, die Behandlung im Heimatdorf nicht vollständig durchführen zu können.

Heftige Nebenwirkungen

"Warum ich?", fragt der 13-Jährige leise. Er wirkt viel jünger, fast kindlich. Das kommt von der Schüchternheit, die er ausstrahlt, als er sich ganz an den Rand der Bank im Warteraum drückt. Mittlerweile ist er schon seit einigen Monaten in Behandlung. Die Tabletten machen ihm schwer zu schaffen. "Ich vermisse meine Mutter", flüstert er und blickt zu Boden. "Doch das Wichtigste ist, dass mir hier geholfen wird." Fast vergessen scheint seine Lieblingsbeschäftigung zu sein – Fußball. Denn die Freunde hat er schon lange nicht mehr getroffen. "Wenn sie mich sehen, rennen sie weg", gibt er zu. Natürlich wollte er zuhause auch nicht mehr die Dorfschule besuchen, denn da waren die Reaktionen ähnlich. "Hier kann er erstmal nicht zur Schule gehen", sagt Schwester Harriet. "Da würden sie ihm auch arg zusetzen. Und Vicent ist nicht stabil genug, um das zu ertragen."

Vicent ist schon seit einigen Monaten zur Behandlung im Krankenhaus von Buluba. Dort wird er liebevoll betreut. Foto: Enric Boixadós / DAHW

Zuhause lebt er zusammen mit der Mutter, drei Brüdern und einer Schwester. Sein Vater starb. "Als ich nach der ersten Behandlung im Krankenhaus ins Dorf zurückkam, haben sich alle gefreut. Bis sie gesehen haben, dass mein Gesicht und meine Arme noch immer anders aussehen als vorher." Lepraspezialist Dr. Joseph Kawuma betont, dass sein heutiger Zustand nicht mit dem vor ein paar Monaten zu vergleichen sei. Er wundert sich, dass die Lehrer die starken Veränderungen an den Jungen nicht bemerkt haben. "Lepra-Aufklärung ist bitter nötig – gerade unter den Lehrern. Wer weiß, wie viele andere Schüler der Junge schon angesteckt hat – vor seiner Behandlung. Doch das werden wir erst in ein paar Jahren erfahren."

Lehrer oder Geschäftsmann

Vicent erzählt vom Schulunterricht und davon, dass sein Lieblingsfach "Schreiben" sei. Manchmal hadert er mit seinem Schicksal. Denn niemand, nicht einmal er selbst hat eine Ahnung, wo er sich mit dem Leprabakterium angesteckt haben könnte. "Im Dorf gibt es keine Leprakranken", sagt er. Und die ganze Gemeinschaft wundert sich über seine Erkrankung. Anfangs wurde er in mehrere Krankenhäuser geschickt, die alle keine Diagnose stellen konnten. Schließlich kam er ins St. Francis-Krankenhaus nach Nyenga, und die wussten Bescheid. "Er wurde dann zu uns überstellt, da er einer von den schwierigeren Fällen ist", ergänzt Schwester Harriet.

Doch der kleine Vicent Waswa wird nicht aufgeben. Denn er hat einen großen Traum: "Später möchte ich Lehrer werden … oder Geschäftsmann. Am liebsten würde ich einen Laden mit Haushaltsartikel führen." Olaf Hirschmann klopft ihm auf die Schulter. "Das wirst du schaffen, da bin ich mir sicher." Er verspricht, ihn bald wieder zu besuchen. Als Vicent zur Behandlung abgeholt wird, lächelt er sogar ein wenig.