05. August 2009

Leben wie normale Menschen

DAHW-Mitarbeiterin Martha Barbosa setzt sich für ehemalige Leprapatienten in Kolumbien ein.

Staubig ist es überall hier am äußersten Rand von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, doch im Haus von Marco Antonio und Olga Maria A. scheinen Dreck und Elend der Straße weit entfernt zu sein. Das war allerdings nicht immer so, erinnert sich Olga: „Noch im vergangenen Jahr wohnten wir in einer alten Hütte aus Wellblech. Der Staub kam durch jede Ritze zwischen den Platten, und in der Regenzeit war die Hütte wochenlang nicht trocken zu bekommen. Es war ein großer Segen, dass Gott Martha zu uns geschickt hat.“

Martha Cecilia Barbosa Ladino ist Sozialarbeiterin der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) und kümmert sich um ehemalige Leprapatienten – Menschen wie Olga Maria und Marco Antonio, die sonst nirgendwo Hilfe bekommen. Gemeinsam erinnern sie sich an die Zeit des Leidens, die vor 15 Jahren begann.

Martha Cecilia Barbosa Ladino - die Sozialarbeiterin der DAHW kümmert sich liebevoll um "ihre Leute".

Damals wie heute hat Marco Antonio als Fahrzeug-Elektriker gearbeitet, nur war er vor 15 Jahren noch Angestellter mit einem bescheidenen, aber regelmäßigen Einkommen. Er konnte sich das Schulgeld für die Kinder leisten und eine kleine Wohnung für die Familie. Doch dann verlor er das Gefühl im linken Arm. Immer wieder verletzte er sich, ohne es zu merken und diese Wunden entzündeten sich.

Im Gesundheitsposten erfuhr er die Diagnose: Marco Antonio hatte Lepra. Für den kräftigen Handwerker ging damals eine Welt unter: „Ich habe geweint und geweint, schließlich hatte ich gehört, dass einem bei Lepra die Extremitäten abfaulen, bevor man elendiglich zugrunde geht.“

Die Krankheit selbst war schnell besiegt und seine Ängste konnten ihm die Mediziner der DAHW nehmen – geblieben ist nur die Gefühllosigkeit in den Händen, mit der er inzwischen umzugehen gelernt hat. Doch außerhalb der Familie herrschten immer noch die alten Vorurteile gegen Lepra: Freunde und Nachbarn wandten sich von der Familie ab, Marco Antonio verlor seine Arbeit, konnte die Miete und das Schulgeld für die Kinder nicht mehr bezahlen.

Schließlich landeten sie im ärmsten Vorort von Bogotá, in einer alten und heruntergekommenen Hütte aus Wellblech. Weil es vielen Leprapatienten so erging und sich die meisten hier angesiedelt haben, gibt es hier aber auch Martha Barbosa. Sie kümmert sich in diesen Armenvierteln um „ihre Leute“, die ehemaligen Leprapatienten, denen niemand sonst eine Chance geben will.

Mit einem Kleinkredit half die DAHW der gestrandeten Familie, wieder auf die Beine zu kommen: Marco Antonio konnte damit Werkzeug anschaffen, um seine eigene kleine Werkstatt zu gründen. Zwar gibt es nur wenige Autos in diesem Viertel, doch die sind alt und brauchen oftmals Reparaturen. Marco Antonio hat sich schnell einen guten Ruf geschaffen, selbst alte Fahrzeuge für wenig Geld wieder flott machen zu können.

„Ohne Martha hätten wir das niemals geschafft“, ist sich Olga Maria sicher: „Sie hat nicht nur den Kredit besorgt, sie hat uns auch bei den Behörden geholfen, ja sogar bei der Werbung, indem sie allen Menschen hier erzählt hat, welch guter Mechaniker mein Mann ist.“

Martha Barbosa kennt fast jeder Einwohner des Armenviertels, denn sie kümmert sich aufopferungsvoll um diese Menschen: Ein paar Krücken für Rigoberto, ohne die er nicht mal mehr zum Einkaufen gehen konnte, oder eine neue Prothese für Elisa, damit nicht sofort jeder Mensch sieht, dass sie an Lepra erkrankt war. „Elisa fällt mir jedes Mal um den Hals, wenn sie mich sieht“, erzählt Martha fröhlich: „Jetzt traut sie sich wieder unter Leute, hat wieder eine Arbeit, weil niemand weiß, dass sie eine ehemalige Leprapatientin ist.“

"Hütte mit fließendem Wasser" - nach der Regenzeit sind viele der alten Hütten kaum noch bewohnbar.

Besonders erfolgreich war aber die Idee, kleine Häuser zu bauen für ihre Leute: 25 Quadratmeter „groß“, aus Fertigteilen zusammengebaut und mit umgerechnet 1.100 Euro auch nicht teuer. „Trotzdem hat keiner von den Menschen hier so viel Geld auf der hohen Kante“, weiß Martha und hat die Lösung gleich mitgebracht: „Wir geben Zuschüsse und Kredite, die Menschen zahlen dann einige Jahre das, was sie erübrigen können, zurück.“ Vom Grundprinzip ist dies wie ein kleiner Marshall-Plan für die Slums von Bogotá: Die DAHW fördert die Menschen, die Martha Barbosa betreut, fast so wie eine Bank: „Nur eben nach sozialen Kriterien – wir schauen nicht darauf, was sie bereits haben! Unser Blickwinkel geht dahin, dass unsere Leute arbeiten wollen und können, und mit unserer Unterstützung werden sie es schon meistern.“

Schon vielen ehemaligen Leprapatienten hat Martha Barbosa so zu einem menschenwürdigen Zuhause verholfen, doch für Marco Antonio und Olga Maria wäre dies keine Lösung gewesen: „Als Wohnung wäre das Haus völlig ausreichend gewesen, aber was wäre dann aus der Werkstatt geworden?“ Doch auch hier hat Martha eine Lösung gefunden: Anstatt für die Fertigteile gab sie einen Kredit für Baumaterial – alle aus der Familie, selbst neue Freunde und Nachbarn haben beim Bauen mit angepackt.

Heute wohnen und arbeiten sie in ihrem neuen Haus, schlafen nachts neben dem Werkzeug, ohne das Marco Antonio nicht arbeiten könnte: „So brauchen wir auch keine Angst vor Einbrechern haben, die gerne mal allein stehende Werkstätten ausrauben.“ Olga Maria ist froh und stolz zugleich: „Jetzt leben wir wieder wie normale Menschen, jetzt sind wir keine Lepra-Familie mehr!“

Genau das will Martha Barbosa mit ihrer Arbeit erreichen: „Ich möchte, dass kein ehemaliger Leprapatient sich für seine Krankheit schämen muss. Jeder von ihnen soll als Mensch angesehen werden, der er ist und nicht abgewiesen werden aufgrund einer Krankheit, die er mal hatte und über die andere Menschen zu viele Vorurteile haben.“

Mitarbeit: Florian Kopp


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