22. März 2024

Trucker, Tee und Tuberkulose – was der indische „Chai“ mit medizinischer Grundversorgung zu tun hat

Aufklärungsmission am LKW-Parkplatz: Gesundheitsteams haben Verkäufer an Tee- und Imbiss-Ständen für Tuberkulose-Symptome sensibilisiert. Das heißt: Wirkt die Kundschaft krank, können die sogenannten „Chai-Walas“ sie direkt an die nahegelegene Klinik verweisen. (Foto: DAHW / Mario Schmitt)

In Indien sorgt eine innovative Projektidee der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe dafür, dass Tuberkulosepatient:innen leichter gefunden werden. Denn die Lungenkrankheit trifft oft Menschen, die kaum Zugang zu ärztlichen Diensten haben. Nun hilft dagegen ausgerechnet eine Tradition, die in Indien zum Alltag gehört wie kaum eine andere: das Teetrinken.

Jaipur / Würzburg, 24.03.2024: Eine offene Küche an einem Busbahnhof im indischen Jaipur, bestehend aus einem kleinen Herd und mehreren Töpfen, die auf einer einfachen Backsteinmauer aufgereiht stehen. Dahinter ein Mann, der in diesen Töpfen rührt, davor ein paar Plastikstühle, im Kreis aufgestellt, auf denen Männer sitzen. Einige rauchen, andere trinken aus kleinen Pappbechern, alle unterhalten sich.

Der Mann hinter der Theke ist ein sogenannter „Chaiwala“, übersetzt in etwa: „Person, die Tee verkauft“. Seine Hauptkundschaft: LKW-Fahrer, die oft weite Strecken quer durch das riesige Land zurücklegen, um Waren von einer Großstadt in die nächste zu bringen. Kehren sie von einer Tour zurück, führt sie oft der erste Weg zum Teetrinken.

„Chaiwalas sind extrem wichtig in Indien“, erklärt Anil Fastenau, Global Health-Berater der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, die viele Projekte in Indien unterstützt. „Zunächst mal ist Chai eines der beliebtesten Getränke in Indien. Man geht aber nicht nur zum Teetrinken hin, sondern auch, um Freunde und Bekannte zu treffen, sich auszutauschen, einfach Pause zu machen.“ Manche Verkäufer bieten auch etwas zu essen an. Chaiwalas jedenfalls gibt es überall in Indien, oft haben die einzelnen Teestände aber ihre Stammkundschaft – so wie am Busbahnhof von Jaipur, wo sich die Trucker treffen. „Und genau das machen wir uns zunutze“, sagt Anil Fastenau.

Denn die Millionen von LKW-Fahrer:innen (zumeist sind es Männer), die es in Indien gibt, haben im Vergleich zur Restbevölkerung ein erhöhtes Risiko, an Tuberkulose zu erkranken. „Trucker sind – aufgrund des geringen Verdienstes – oft von Armut bedroht, und sie sind ständig unterwegs“, führt Experte Fastenau aus. „Sie können sich oft nicht ausgewogen ernähren, die hygienischen Bedingungen sind nicht ideal und sie bewegen sich wenig. All das führt dazu, dass sie oft immungeschwächt sind und dass sie einen eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem haben. Und dann kommt noch dazu, dass sich viele Trucker in sehr engen sozialen Kreisen bewegen.“

Es ist also ein Kreislauf, der nur schwer unterbrochen werden kann: Ein LKW-Fahrer hat sich beispielsweise mit Tuberkulose infiziert, begibt sich aber nicht in Behandlung – er hat vielleicht nicht genug Geld, Angst seinen Job zu verlieren oder nimmt die Symptome nicht ernst. Sein ohnehin geschwächtes Immunsystem kann die Krankheit nicht abwehren, sie bricht aus und bei den regelmäßigen Treffen mit seinen Kollegen steckt er weitere Trucker an.

Ein von der DAHW sowie der Apollo Tyres Foundation unterstütztes Projekt nutzt genau diese soziale Komponente, um gegen die Lungenkrankheit vorzugehen: Es bezieht die Chaiwalas, bei denen die Trucker zusammenkommen, aktiv in die Gesundheitsarbeit ein.

„Die Chaiwalas kennen ihre Stammkundschaft“, sagt Fastenau, „und ihnen fällt auf, wenn es jemandem nicht gut geht – vielleicht noch eher als den Kollegen, die oft mit sich selbst genug zu tun haben.“ Starker Husten, plötzliche Gewichtsabnahme, Fieber: All das sind Symptome, die auf eine Tuberkulose-Infektion hinweisen können. „Wir haben die Verkäufer für diese Anzeichen sensibilisiert“, so Fastenau, „und wenn ihnen etwas auffällt, können sie die Trucker darauf ansprechen.“ Ein Vorteil: Die kleine, von der DAHW unterstützte Klinik liegt direkt um die Ecke. „Sie schicken die Leute zu uns, oder sie rufen an und unsere Mitarbeitenden kommen einfach kurz vorbei und bieten den Menschen eine Untersuchung an. Kostenlos.“

Die Chaiwalas fungieren also als sogenannte „peer educators“, Wissensvermittler:innen auf Augenhöhe. Und die Aufklärung ist ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen Tuberkulose – gerade in Indien: Das Land zählte im Jahr 2022 rund 2,8 Millionen TB-Fälle, doch das sind nur die registrierten Patient:innen. Stark abgemagerte und hustende Trucker, die in ihren LKWs auf den indischen Straßen unterwegs sind, tauchen oft in keiner Statistik auf.

Ist der erste Schritt von der Aufklärung zur Diagnose geschafft, unterstützt das DAHW-Projekt auch die Behandlung: „Wir sehen uns die Familie an, und wir machen Freunde oder Angehörige zu ‚Champions‘“, erklärt Fastenau. „Das bedeutet: Die Trucker nehmen diese Medikamente mit auf die Tour und die Champions achten mit darauf, dass die Medikamente auch richtig und regelmäßig eingenommen werden.“ Das ist wichtig, weil bei einer abgebrochenen Behandlung auch das Risiko steigt, eine Antibiotika-Resistenz zu entwickeln.

„Wir sehen, dass die Chaiwalas gern mitmachen“, sagt Fastenau, „weil sie damit dazu beitragen können, Tuberkulose zu bekämpfen.“ Das liegt wohl nicht nur daran, dass jeder geschäftstüchtige Mensch die eigene Stammkundschaft am liebsten gesund und munter sieht, sondern auch an der Belastung, die Tuberkulose für Indien darstellt: Kein anderes Land ist stärker von Tuberkulose betroffen. „Wir müssen alle Ressourcen nutzen, die wir haben“, ist Fastenau überzeugt. Nur gut, dass die Chaiwalas in Indien wirklich überall zu finden sind: An Bahnhöfen, Bushaltestellen, im Zug und auf der Straße. Die Möglichkeiten sind also noch lange nicht ausgeschöpft.


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