07. November 2003

Äthiopien: "Leprakranke brauchen öffentliche Aufmerksamkeit"

Der ehemalige Sozialminister Norbert Blüm war mit der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe in Äthiopien.

Ein ungewöhnlicher Gast im Krankenhaus Bisidimo im Osten Äthiopiens: Niemand Geringerer als der ehemalige deutsche Sozialminister Norbert Blüm macht eine Runde durch die Zimmer und versucht, sich mit den Patienten zu unterhalten - was wegen der sprachlichen Barriere freilich nur eingeschränkt möglich ist. "Man kann nicht viel sagen", stellt Blüm denn auch bedauernd fest, aber zumindest sein "Salam" wird von den Kranken freundlich erwidert; ein Lächeln ersetzt die fehlenden Vokabeln.


Knapp eine Woche lang war der deutsche Ex-Minister in Bisidimo, sprach mit Ärzten und Patienten, besichtigte die Werkstätten und die Schule, spielte mit Kindern und ließ sich von ehemals Leprakranken berichten, wie sie mit Hilfe der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe ihr Leben wieder auf eine sozial anerkannte und tragfähige Basis gestellt haben. Blüm ist viel in der Welt herumgekommen und hat sein soziales Engagement mehr als einmal unter Beweis gestellt - aber betroffen ist er immer wieder: "Es ist ein Unterschied, ob man so etwas in Statistiken und anonymen Zahlen zur Kenntnis nimmt, oder ob man die Gesichter dahinter sieht. Man muss den Betroffenen Auge in Auge gegenüber stehen. Dann verändert sich die Welt ein bisschen."


Dem Projekt Bisidimo zollt der ehemalige Minister uneingeschränkten Respekt, vor allem, weil die Behandlung sich nicht nur auf den rein medizinischen Bereich beschränkt: "Das ist ein Versuch, die Leprakrankheit nicht in Ghettos zu kasernieren, sondern in die normale Gesundheitsvorsorge eines Landes zu integrieren." Ein gelungener Versuch, findet Norbert Blüm, ein erster Schritt, um die soziale Stigmatisierung, die mit einer Erkrankung einhergeht, zu beenden. Eben deshalb ist der ehemalige Politiker nach Äthiopien gekommen: um den Blick der Öffentlichkeit auf das Problem zu lenken, um Vorurteile und Ängste abzubauen: "Die Leprakranken müssen aus der Isolation herausgeholt werden, sie brauchen die Öffentlichkeit, sie brauchen Besucher. Lepra ist eine Krankheit wie alle anderen auch." Eine Krankheit freilich, die vielfach auch in Europa noch mit Schrecken betrachtet wird.

Norbert Blüm, der eine Woche lang in engem Kontakt mit den Kranken gelebt hat, will dem düsteren Nimbus der Lepra entgegentreten: " Wir müssen Lepra zu einer ganz normalen Krankheit machen, die geheilt werden kann. Und eine Möglichkeit, das zu tun, ist, in die Stationen zu gehen. Natürlich brauchen die Betroffenen auch Geld, aber das ist es nicht allein. Sie sind geradezu angewiesen auf den Lichtkegel der öffentlichen Aufmerksamkeit, vor dem sie bisher versteckt gehalten wurden. Dass das DAHW diese Krankheit zum Thema macht, dass es Lepra sogar in dem Namen aufgenommen hat, das ist ja bereits eine Entstigmatisierung."


Seine eigene Rolle sieht Blüm eher zurückhaltend: "Man darf sich da nicht selbst überschätzen. Aber ein Politiker bringt etwas mit, was möglicherweise die Regierung der jeweiligen Länder nicht ganz unbeeindruckt lässt." Tatsächlich fand der deutsche Ex-Minister eine gute Gesprächsbasis zu seinen äthiopischen Kollegen, etwa zum Ministerpräsidenten der Region Oromia, Juneidi Saddo, dem Blüm in einer der Werkstätten in Bisidimo sogar einen Schnellkurs im Schweißen erteilte. Saddo ist vom Blüms Engagement beeindruckt: "Es geht darum, das Hirn und das Herz zu mobilisieren. Wenn die Leute überzeugt und mobilisiert sind, dann können sie eine Änderung bewirken. Eine definitive Änderung." Eine Änderung, die Äthiopien dringend braucht, nicht nur in medizinischer Hinsicht.

Die Arbeit der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe kann eine solche Änderung zumindest vorbereiten, ebenso wie die Hilfe von Politikern wie Norbert Blüm. Und der hat sich auch für die Zukunft viel vorgenommen: "Alles kann ich auch nicht, aber ich gehöre nicht zu denen, die sagen, weil ich nicht überall helfen kann, helfe ich nirgendwo. Ich mache es da, wo ich es für unumgänglich halte. Und da gibt es leider auf der Welt viele Brandstellen."

(Text von Irene Binal)