23. November 2004

Aids in Indien: Erst kommt die Armut, dann der Tod

Über fünf Millionen Menschen sind in Indien laut Schätzungen von UNAIDS mit HIV Infiziert, darunter 120.000 Kinder. Tendenz stark steigend.

Die DAHW hilft auf dem Subkontinet Aidskranken und Risikogruppen. Schicksale von Betroffenen zeigen den Teufelskreis aus Armut und Aids auf.

Ein Junge
Der zehnjährige Saurabh Kori aus Mumbai (Bombay) kennt den Tod. Seine Eltern sind an Aids gestorben und auch seine kleine Schwester. Und fast hätte die Seuche auch ihn irgendwo in dem Moloch mit seinen 15 Millionen Einwohnern dahingerafft. Geschwächt, hochgradig TB-gefährdet und von Hautläsionen übersät, wurde er gerade noch rechtzeitig gerettet.

Saurabh Kori kam nach Prafullata, eine Einrichtung der DAHW und andere Hilfsorganisationen in Bombay zur Betreuung von Aidskranken. DR. Jain, Ein Arzt der DAHW behandelte ihn und dort erhielt der Junge auch die rettenden Medikamente. Die Hautläsionen sind noch immer ein wenig sichtbar, aber er ist nicht mehr entstellt und wieder bei Kräften.

Der Junge ist wegen seines geschwächten Immunsystems zwar noch immer TB-gefährdet. Doch wenn er weiterhin seine Aids- und TB-Medikamente bekommt, hat er die Chance, noch viele Jahre zu leben. Wenn nicht, stirbt er in kurzer Zeit.

Doch jetzt bedroht ihn der soziale Tod. Der Junge wird ausgegrenzt, weil er Aids hat: "Kein anderes Kind will mit mir spielen", erzählt er. Auch seine Tante und sein Onkel, die auf dem Land wohnen, wollen nichts mit ihm zu tun haben. Nur bei seiner Großmutter, wo er jetzt lebt, und in Prafullata findet der kleine aufgeweckte Junge Zuneigung.

Girish Vaidya, der Direktor von Prafullata, und das Personal nehmen sich immer wieder Zeit für ihn. Sogar einen großen bunten Ball hat er dort bekommen. Das erste und einzige Spielzeug, das er jemals besessen hat. Er will ihn am liebsten ständig in den Händen halten.

Mindestens einmal die Woche besucht Saurabh Kori Prafullata - zur medizinischen Kontrolle, aber auch weil er sich hier wohl fühlt. In Prafullata wird der Junge rundum versorgt: Er bekommt Liebe, Medikamente, Kleidung und Nahrung.

Auch Schulgeld und Bücher wird er bekommen. Denn er soll in die Schule gehen. Bislang konnte er das nicht, weil seine Krankheit ihn zu sehr geschwächt hat.

Der Aids- und TB-kranke Gajendran. Foto: DAHW / Thorsten Beil

Ein Vater
Der 40-jährige K. Gajendran schleppt sich abgemagert und TB-krank in das DAHW-Hospital "Gremaltes" im südindischen Madras. Dort rät man ihm zu einem Aidstest. Die Ärzte der DAHW wissen: Viele TB-Kranke in Indien haben Aids. Ihr Immunsystem ist zu schwach, die TB-Bakterien in Schach zu halten. Die Diagnose in "Gremaltes" ist eindeutig: hiv-positiv.

Für den Familienvater bricht eine Welt zusammen. Er hat eine Frau und zwei Kinder, einen sechsjährigen Sohn und eine zehnjährige Tochter. Wie soll der Wachmann mit dieser zu Tod oder Siechtum verdammenden Krankheit seine Familie durchbringen? Als ich ihn fotografieren will, hat er zunächst Angst:  "Wenn mein Chef das Foto und die Nachricht "Aids"  in der Zeitung sieht, bin ich arbeitslos." Erst als ich beteuere, dass seine Geschichte nur in Deutschland erscheint, ist er bereit.

Gajendran hat wahrscheinlich zu den Zeiten, als er noch Soldat gewesen ist, sich als Freier bei Prostituierten mit HIV infiziert. Seine Frau muss jetzt dafür büßen. Er hat sie nicht nur mit TB, er hat sie auch mit Aids angesteckt.

Das haben die Ärzte der DAHW in "Gremaltes" festgestellt. Er bittet die Ärzte, dass er es selbst seiner Frau sagen darf. Er will sie schonend darauf vorbereiten. Wie, das weiß er nicht.


Besonders Prostituierte sind von HIV bedroht.

Eine Prostituierte 
Auch Greethanjali More aus Bombay fürchtet sich vor Aids. Die junge schöne Frau arbeitet als Prostituierte, um ihre Familie im Moloch Mumbai durchzubringen. Sie schämt sich, will sich nicht fotografieren lassen. "Ich tue das nicht gern, aber ich muss es tun für meine Kinder." Das Geld, das ihr Mann verdient, reicht nicht aus, um die Kinder vor den Elend in den Slums zu bewahren.

Sie kennt die Ursache für die Verbreitung von Aids, und dass die Krankheit besonders im Rotlichtmilieu verbreitet ist. Doch Safer Sex ist noch lange nicht üblich. Viele Freier lehnen Kondome ab.

Greethanjali More  arbeitet mit einigen anderen Prostituierten ehrenamtlich als Gesundheitshelferin mit "Prafullata" zusammen. Sie klären im Rotlichtmilieu auf und verteilen Kondome. Aufklärung ist ein langer steiniger Weg. Das wissen sie aus eigener Erfahrung. Nicht nur die Prostituierten müssen überzeugt werden, sondern auch ihre gewalttätigen Freier. Oft werden die Frauen wie Dreck behandelt. Selbst Polizisten nehmen ihnen das Geld ab, das sie bitter für ihre Kinder verdienen. Bis vor kurzem wurden sie auch regelmäßig mit aufs Revier gezehrt und dort zusammengeschlagen und vergewaltigt. Safer Sex? Daran denkt keiner.

 

Prostituierte beraten sich in Prafullata über ihre ehrenamtliche Aufkklärungsarbeit.

 

Greethanjali wollte eine "ehrbare" Arbeit finden. Sie ließ sich zur Krankenschwester ausbilden, fand aber nur eine Teilzeitstelle, nicht genug, um die Familie zu ernähren.  Sie nahm den Job an und arbeitete weiterhin nachts als Prostituierte. Als man im Krankenhaus von ihrem "Nebenjob" erfuhr, wurde sie gefeuert.

Aber es besteht Hoffnung: Ohne die Arbeit von Prafullata wären nicht 18 Prozent, sondern über 50 Prozent der Prostituierten in Bombay mit HIV infiziert, schätzt Dr. Jain von der DAHW. Und durch das Einschreiten von Profullata haben die Polizisten damit aufgehört, die Frauen zu vergewaltigen. Mit jedem neuen Gespräch, das sie führen, kommen sie einen Schritt dem Ziel näher, Aids einzudämmen.


Text und Fotos: Thorsten Beil März 2004