18. November 2009

Der 15-jährige Samuel entkam der Armut

Samuel ist begeisterter Kricket Spieler und zeigt seinen selbst-gechnitzten Schläger. Foto: Jochen Hövekenmeier / DAHW

Sivananda - ein Ort des Glücks

Jochen Hövekenmeier, Pressereferent der DAHW, schildert seine Eindrücke während eines Projektbesuchs in Indien. Im Sivananda Rehabilitation Home begegnete ihm der leprakranke Junge Samuel: Gerade 11 Jahre alt war Samuel, als er vor dem DAHW-Hilfsprojekt Sivananda in der indischen Millionenstadt Hyderabad ausgesetzt wurde - schwer an Lepra erkrankt und die Hände zu unförmigen Krallen verkümmert. Sein „Besitzer“, für den er jahrelang schwere Feldarbeit verrichten musste, hatte für den Jungen keine „Verwendung“ mehr.

Niemals werde ich vergessen, wie dankbar Samuel war, als ich ihn in den Arm nahm. Jeder Mensch, der an Lepra erkrankt, freut sich über diese kleine Geste, weil er sie so selten erhält. Vor vier Jahren hat er durch die Schwestern und Ärzte des Rehabilitationszentrums Sivananda überhaupt zum ersten Mal menschliche Wärme und Liebe erfahren.

Seine Eltern hat der Junge nie kennen gelernt, denn schon als Kleinkind hatten sie ihn an einen fremden Mann weg gegeben – im guten Glauben, der Junge hätte bei ihm eine bessere Zukunft. Immer wieder gehen gerade arme Eltern diesen Schritt, da sie für ihr Kind darin einen Ausweg aus der Armut sehen.

Harte Kinderarbeit

Vermutlich hatte auch dieser Mann eine Schulausbildung für den Jungen, gesunde Ernährung etc. in Aussicht gestellt. Die Realität sah aber ganz anders aus: „Seit ich denken kann“, sagt mir Samuel in gebrochenem Englisch, „musste ich harte Feldarbeit für einen Mann verrichten, dessen richtigen Namen ich nicht einmal kenne.“

Eines Tages war Samuel nicht mehr in der Lage, das schwere Werkzeug in seine Hände zu nehmen. Die Leprabakterien hatten die Nerven in den Armen dermaßen zerstört, dass er seine Finger kaum noch bewegen konnte. Wie Krallen waren die Hände nach innen gekrümmt. Der Chef sah daher in Samuel nur eine Last. Schließlich fuhr einer der Aufpasser mit ihm einen ganzen Tag lang durch das Land und setzte ihn hier in Sivananda aus.

Zuflucht in Sivananda

Im Nachhinein pures Glück für Samuel. Denn für ihn eröffneten sich dadurch neue Wege: Als Samuel „Sivananda“ sagt, höre ich in seiner Stimme eine Mischung aus Freude, Glück und Dankbarkeit. Seit vier Jahren ist er in dem Hilfsprojekt, das viel mehr ist als ein Krankenhaus: Alte und behinderte Menschen haben hier eine Heimat gefunden, ehemalige Leprapatienten bekommen eine Berufsausbildung und die Kinder können in die Schule gehen.

Freundschaften schließen

Samuel geht gern in die Schule – er hat hier viele neue Freunde gefunden. Darunter ist auch der ältere Ravi, der ein ähnlich hartes Schicksal hat. Sein Vater verstarb sehr früh und mit Lepra kam die Last der Diskriminierung für ihn noch hinzu. Mit Nachhilfeunterricht für die unteren Klassen verdient Ravi ein kleines Zubrot für seine Familie. Später möchte er einmal gern studieren.

In den Pausen jedoch vergessen die beiden Jungs für eine Weile ihre gegenwärtigen Probleme. Ihre Leidenschaft ist Kricket – übrigens neben Hockey der Nationalsport Indiens. Und wie die Kinder früher in Deutschland sich einen Fußball aus alten Lumpen selbst bastelten, haben sich die beiden mühevoll mit eigenen Händen ihren Kricketschläger geschnitzt.

Samuel zeigt mir stolz, dass er trotz seiner Krallenhände den Cricketschläger halten kann. Dank gezielter physiotherapeutischer Übungen ist es möglich, Hilfsmuskeln zu aktivieren, wodurch die Patienten ihre Hände wieder besser nutzen können.

Beim Kricketspielen verletzt - Samuel wartet auf die Operation an den Krallenhänden

Lepra überwinden

Überall auf dem weitläufigen Gelände von Sivananda treffe ich auf Menschen, die diese Bewegungsübungen machen. Bei jüngeren Patienten ist zudem ein chirurgischer Eingriff sehr erfolgversprechend. Dadurch können die Hände wieder beweglich werden. Während Ravi bereits die erste Operation hinter sich hat, wartet Samuel noch auf seine. Traurig erzählt er mir, sich beim Kricketspielen ein Bein gebrochen zu haben. Dr. Beine, sein behandelnder Arzt , kann Samuel erst dann operieren, wenn sein Bein verheilt ist. Selbst wenn der Junge das Bett wieder verlassen kann, muss er noch drei Monate auf Krücken laufen, also ist eine Operation an den Händen jetzt nicht möglich.

Samuel nimmt diese Nachricht erstaunlich gefasst auf – er freut sich, nächste Woche auf Krücken wieder zur Schule gehen zu dürfen. Und er weiß: Wenn das Bein wieder richtig gesund ist, dann wird Dr. Beine auch seine Hände operieren. Dann wird er noch viel besser Kricket spielen können.

Zukunft planen

„Bei uns dürfen die Jungen und Mädchen endlich ihre Kindheit genießen“, sagt der gebürtige Dortmunder Dr. Beine.  „Auch wenn die beiden schon etwas älter sind, haben sie doch noch so viel nachzuholen, weil ihre eigentliche Kindheit geraubt wurde.“ So manche Flause in ihren Köpfen lässt er ihnen daher gern.

Dass Samuel, Ravi und die anderen Kinder und Jugendlichen von Siva-nanda dem Armutszyklus entkommen können, dessen bin ich mir inzwischen sicher: Mit einer Schul- und Berufsausbildung werden sie alle ihren Weg gehen – besonders, wenn sie ihre Hände wieder benutzen können und nicht mehr als „Leprakranke“ abgestempelt, ausgestoßen und diskriminiert werden.

Unterstützen Sie die Arbeit der DAHW, werden Sie unser Partner / unsere Partnerin im globalen Einsatz gegen Krankheiten der Armut.

Gemeinsam können wir noch mehr Menschen das Leben retten oder sie vor Behinderung und Ausgrenzung bewahren.