08. November 2019

Der Spazierstock, die Siecheneiche und das Fernsehen

Spender Heribert Joester freut sich mit Borkens Bürgermeisterin Mechthild Schulze Hessing und Jürgen Belker-van-den-Heuvel von der DAHW in Münster über die neue Gedächtnisstätte. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Borken ist um eine historische Gedenkstätte reicher: DAHW-Spender und ehrenamtlicher Unterstützer versteigert antiken Spazierstock im Sinne der einst und jetzt von Lepra Betroffenen

Auch wenn er schon fast zwei Jahrzehnte in Südspanien lebe, sei er immer noch ein Borkener Junge, beteuert Heribert Joester und lüftet damit das Geheimnis um einen Spazierstock aus Kiew, den er gerade in der TV-Sendung „Bares für Rares“ versteigert hat.

Und gleichzeitig feiert er ein Klassentreffen. Denn einige seiner Schulfreunde von damals sind gekommen, um Joesters Erzählung zu lauschen und dem Schüler von einst willkommen zu heißen. Denn nach über 3000 Kilometern Autofahrt, sei er endlich hier am Beckenberg seiner Heimatstadt angekommen, um ein Denkmal zu setzen.

Mit leuchtenden Augen erzählt er Jürgen Belker-van-den-Heuvel von der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. mit Sitz im nahen Münster, wie er als Kind allein und mit den Schulfreunden auf Streifzügen genau hier Hinweise auf ein früheres Leprosorium entdeckte. Dem wolle er nun Rechnung tragen: Mit der Pflanzung einer Siecheneiche – finanziert aus dem Versteigerungserlös des bewussten ukrainischen Spazierstocks.

Die Siecheneiche steht für Solidarität

Früher hatte er als Orthopädietechniker weltweit Werkstätten aufgebaut. So kam er auch in Berührung mit von Lepra Betroffenen und mit der DAHW. Er erinnerte sich an das Erlebnis in der Kindheit auf dem Beckenberg: „Lepra gab es also auch bei uns!“ Dieser Gedanke ließ ihn fortan nicht mehr los. Und so erfuhr er auch von der Lepraärztin Dr. Ruth Pfau und dem Hilfswerk. „Ehrenamtlich habe ich viele Jahre Vorträge über das Engagement der DAHW gehalten. Dr. Pfau selbst, die im Jahr 2017 in Pakistan verstorben ist, kannte ich 30 Jahre. Was für ein großartiges Erlebnis war es doch für mich, sie vor drei Jahren in Pakistan noch zu besuchen.“

Umso glücklicher sei er mit der Siecheneiche, die nun gepflanzt wurde und als Solidaritätsaktion mit von Lepra betroffenen Menschen weltweit stehe. Denn der Baum gehe unmittelbar auf das Wirken von Dr. Pfau zurück, die die erste Siecheneiche dieser Art am heutigen Sitz der DAHW, dem Lepramuseum in Münster-Kinderhaus, pflanzte.

Bares für Rares

Mechthild Schulze Hessing, Bürgermeisterin der Stadt Borken, freut sich über die Gedächtnisstätte. „Wir sind stolz auf die geschichtliche Bedeutung und auch auf die Nachbarn, die sich heute zu diesem Ort bekennen, ihn würdigen und pflegen.“ Sie selbst kannte die Leprageschichte der Stadt nicht, erinnerte sich aber daran, wie in ihrer Kindheit Nachbarn Decken für von Lepra betroffene Menschen in Afrika häkelten. Und genau wie damals sei gesellschaftliche Ausgrenzung auch heute noch ein großes Thema. „Durch unsere Unterstützung müssen wir dem als Stadt Rechnung tragen.“ Lepra-Kranke wollte man schon immer bevorzugt außerhalb der Stadtmauern haben. Borken sei da kein Einzelfall, betonte Dr. Ralf Klötzer, Vorsitzender der Gesellschaft für Leprakunde und Mitglied im DAHW-Aufsichtsrat. „Priester wurden extra dazu abgestellt, Seelsorge für Kranke zu leisten“, sagt der Münsteraner, der sich seit drei Jahrzehnten mit dem geschichtlichen Aspekt von Leprosenhäusern in Deutschland beschäftigt. „Vor einigen Jahrhunderten schlossen die letzten Leprosorien ihre Pforten, und allmählich wurde die Krankheit in der Bevölkerung vergessen. So sei die Siecheneiche ein Symbol dafür, unsere Mitverantwortung anzunehmen. Denn Dr. Pfau hatte sie einst in Münster als Zeichen der weltweiten Verbundenheit gepflanzt.

„Irgendwann im Januar kommt ‚Bares für Rares‘ im ZDF.“ Dafür hat er auch den Erlös für den lange gehüteten antiken Spazierstock, den er einst als Rarität in der Ukraine in einem Antiquitätenladen entdeckte, gespendet. Heribert Joester ist schon auf den Ausstrahlungstermin der Trödel-Show im Fernsehen gespannt. Den wird er jedoch an der südspanischen Küste erleben. Deutsche TV-Sender hat er dort nämlich auch.

Die Sendung vom 03. März 2020

Genießen Sie die gesamte Sendung oder starten sie etwa bei 21:17 und 34:30

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Auch mit 76 Jahren ist Heribert Joester noch rüstig und freut sich über Besuche in der Heimat. Foto: Sabine Ludwig / DAHW

Der Spazierstock-Spender Heribert Joester

Heribert Joester wurde 1943 in Borken, Nordrhein-Westfalen geboren. Kindheit und Schulzeit verbrachte er in Borken. Als gelernter Orthopädietechniker bereiste er die Welt und baute Werkstätten auf. Dabei kam er in Berührung mit von Lepra betroffenen Menschen. Seit drei Jahrzehnten, nachdem er Dr. Ruth Pfau erstmals bei einem Deutschland-Besuch kennenlernte, unterstützt er die DAHW mit Spenden und als ehrenamtlicher Vortragsredner. Seit 16 Jahren lebt er in Chiclana an der südspanischen Costa de Luz und kommt regelmäßig nach Deutschland. Als er einmal „Bares für Rares“ im ZDF sah, kam ihm der Gedanke, seinen antiken Spazierstock zu versteigern und den Erlös für eine Gedenkstätte für von Lepra betroffene Menschen in seiner Heimatstadt Borken zu spenden.

Kurze Geschichte der Siecheneiche

Schon die Germanen wussten die Linde als Kult- und Schutzbaum zu schätzen und widmeten sie ihrer Göttin Freya. Später hielten unsere Vorfahren unter ihnen Gericht. Als Schutzbaum wurde sie im Zuge der Gegenreformation Maria, der Mutter Jesu, geweiht und war fortan vor Einzelhöfen, in Dörfern (Ortslinde), an Gerichts- und Hinrichtungsplätzen (Gerichtslinde) und vor Siechenhäusern („Siechenlinde“, zum Beispiel in Bad Wurzach, Geseke, Brakel und Oldenburg) anzutreffen. Noch im 18. Jahrhundert lebte dieser Brauch erneut auf und führte zu gezielten Pflanzungen einzelner Bäume in Dörfern (z.B. an Brunnen) oder auch in freier Natur, häufig mit der Absicht verbunden, an historische Ereignisse oder geschichtsträchtige Flecken zu erinnern.

Im historischen Kontext waren es also die Germanen, die die Siechenlinde als heiligen Baum und als Symbol für Frieden und Schutz bezeichneten. Im Zuge dessen wurden die Bäume oftmals kultisch behandelt und gepflegt. „Wir haben uns für unsere Pflanzaktionen entschieden, statt Linden Eichen zu nehmen. Denn die Eiche spielt in Deutschland eine besondere Rolle, sie steht für Langlebigkeit und Robustheit und damit auch für unsere Arbeit“, betont Jürgen Belker-van-den Heuvel von der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. in Münster. Bis jetzt wurden in Deutschland sieben Siecheneichen gepflanzt. Die erste Pflanzung wurde 1986 von der DAHW-Aktionsgruppe Oelde am ehemaligen Oeldener Siechenhaus durchgeführt. Doch als Symbol steht die 1987 von Dr. Ruth Pfau gepflanzte Siecheneiche vor dem Lepramuseum und zugleich dem Sitz der DAHW in Münster-Kinderhaus. „Gerade von diesem Baum züchten wir immer noch Ableger für künftige Pflanzungen. Wenn diese jedoch nicht möglich sind, schlagen wir auch Stelen oder Gedenktafeln vor“, ergänzt Belker-van-den Heuvel.

Siecheneichen wurden bis jetzt in den Städten Oelde, Münster, Osnabrück, Mölln, Havixbeck, Balingen und Borken gepflanzt und dienen dort als sichtbares und nachhaltiges Zeichen für die Solidarität mit von Lepra betroffenen Menschen weltweit.