05. August 2009

Eine Chance für Hanna

In Pakistan ist multiresistente TB auf dem Vormarsch

Sameera (14) lebt mit Tuberkulose: Vor vier Jahren war sie selbst erkrankt, heute betet sie für die Genesung ihrer Freundin Hanna. Dass diese nicht selbstverständlich ist, liegt an den Resistenzen, die TB-Bakterien bilden. Sameera hilft den Ärzten der DAHW gegen die Ausbreitung der tödlichen Gefahr.

Nur eine Scheibe trennt die beiden Mädchen – verhindert, dass sie sich zur Begrüßung innig umarmen, doch Sameera und Hanna sind sich trotzdem nah. Sie verstehen einander, auch ohne die üblichen Spielereien, die für Mädchen in diesem Alter sonst normal sind. Sameera ist jetzt 14, und es ist vier Jahre her, dass sie Tuberkulose hatte. Jetzt ist ihre 10-jährige Freundin Hanna erkrankt.

Im Krankenhaus in Rawalpindi behandeln Schwestern der Christusträger-Kommunität mit Unterstützung der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) Lepra- und TB-Patienten aus den nördlichen Teilen Pakistans. Vor einigen Wochen hat die leitende Ärztin Dr. Chris Schmotzer auch Hanna hier aufgenommen.

 

TB-Untersuchung - Sameera begleitet ihre Patienten zur leitenden Ärtzin Dr. Chris Schmotzer.

Doch es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Sameeras und Hannas Behandlung: Sameera war nicht lange stationär im Krankenhaus, wurde schon bald nach Hause geschickt. Dreimal pro Woche kam sie zurück, um ihre Medikamente einzunehmen und manchmal, um untersucht zu werden. Und damals gab es diese Scheibe noch nicht, durch die sie heute ihre Freundin sehen kann: Kein Patient war damals isoliert, es gab hier ausschließlich die Standard-Behandlungen.

Doch seit ein paar Jahren ist alles anders in Pakistan: Die TB-Zahlen wachsen stetig, aber besonders rasant wächst die Zahl der Patienten mit resistenten TB-Bakterien: Mehr als 13.000 Menschen sind allein im Jahr 2007 an der multiresistenten Form der Tuberkulose (MDR-TB) erkrankt, so wie Hanna. Gegen diese Bakterien haben mehrere Medikamente der Standard-Therapie keinerlei Wirkung mehr.

Für diese Patienten müssen besondere Medikamente herangeschafft werden, Medikamente mit schwerwiegenden Nebenwirkungen und extrem hohen Preisen. „Die Standard-Therapie kostet pro Patient im Durchschnitt 50 Euro, bei MDR-Patienten entstehen uns Kosten von rund 1.000 Euro, je nach Fall sogar weitaus mehr“, erklärt  Dr. Chris Schmotzer.

Nicht nur die Medikamente sind besonders teuer, auch die Behandlung selbst verur-sacht große Kosten, weiß die Ärztin: „Wir können es uns nicht leisten, dass Patienten mit MDR-TB unser Krankenhaus verlassen, bevor sie nicht vollständig auskuriert sind. Die Gefahr der Ansteckung ist einfach zu groß!“

Für Hanna bedeutet dies: Sie ist für ungefähr zwei Jahre in der Isolierstation des alten Lepra-Krankenhauses von Rawalpindi, in dem es inzwischen deutlich mehr Tuberkulose- als Leprapatienten gibt. Zwei Jahre ist sie herausgerissen aus ihrem normalen Leben, ist sie ohne ihre Familie, kann sie sich nicht mit ihren Freundinnen treffen.

 

Hanna hat sich bei Ihrer Mutter angesteckt, die wiederum bei Ihrem Mann.

Immerhin gibt es auch im Krankenhaus Schulunterricht: Dabei müssen Lehrer und Schüler einen speziellen Mundschutz tragen und sich im Freien aufhalten, weil Sonnenlicht den TB-Erreger innerhalb von Sekunden abtötet. Hanna darf ihre Schwester und die drei Brüder – wie ihre Freundin Sameera – nur durch die Glasscheibe oder in der heißen Sonne sehen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie auch ihre Geschwister mit der gefährlichen Krankheit anstecken könnte.

Gerade die Lebensumstände der armen Menschen in den Slums der Millionenstädte Pakistans sind die Grundlage für die stetige Ausbreitung der Tuberkulose und die rasante Entwicklung der Resistenzen: „Wenn wir Patienten frühzeitig entlassen, brechen einige von ihnen die Therapie ab, sobald es ihnen wieder gut geht“, weiß Dr. Schmotzer aus den langjährigen Erfahrungen: „Aber wir können diesen Menschen keinen Vorwurf machen, die meisten haben keine Schule besucht und wissen nichts über ansteckende Krankheiten, außerdem müssen sie ständig raus auf die Straßen, sich als Tagelöhner um einen Job für den Tag bemühen, damit die Familie abends etwas zu essen hat.“

 

Lob von der Ärztin - Sameera ist stolz, im Kampf gegen Tuberkulose helfen zu können.

Therapieabbruch als Folge der ärmlichen Lebensumstände, in Hannas Familie kein Einzelfall: Der Vater war vor einigen Jahren an TB erkrankt und brach die Therapie ab – mit fünf Kindern konnte er es sich nicht leisten, an drei Tagen pro Woche nicht schon frühmorgens arbeiten zu gehen. Nach der kurzen Einnahme der Medikamente ging es ihm auch schon besser, er fühlte sich wieder stark und musste doch seine Familie ernähren.

So wurden die TB-Bakterien in seinem Körper gegen die Medikamente resistent und vermehrten sich wieder. Als er an Tuberkulose starb, hatte er seine Frau mit diesen resistenten Bakterien angesteckt. Durch die Enge daheim steckte sich schließlich auch Hanna bei ihrer Mutter an.

„Das war für uns ein Signal, die Patienten mit MDR-TB zu isolieren“, so die resolute Ärztin: „Wir müssen endlich die Infektionskette durchbrechen, sonst werden wir von dieser gefährlichen Form der an sich schon tödlichen Krankheit überrollt!“

Ein deutsches Unternehmen machte es möglich: ZF, einer der größten Automobilzulieferer mit Sitz in Friedrichshafen und Schweinfurt, hat ein eigenes Programm mit dem Titel „ZF hilft“: Mitarbeiter können dort beispielsweise ihre Überstunden spenden. Die komplette Einrichtung der Isolierstation und der Betrieb für die ers-ten drei Jahre wurden mit Spenden von „ZF hilft“ finanziert.

Eine Arbeitszeitspende geben allerdings auch viele Menschen in Pakistan, besonders ehemalige Patienten des Krankenhauses in Rawalpindi. Wenn Sameera nicht zur Schule geht, Hausaufgaben macht oder ihre Freundin Hanna besucht, dann sucht sie in dem Slumgebiet, in dem auch ihre Familie wohnt, nach Menschen mit den typischen TB-Symptomen: Husten, der sich hartnäckig und lange hält, körperliche Schwäche, gehäufte Müdigkeit und Gewichtsverlust – nach kurzer Schulung weiß Sameera, worauf sie achten muss.

 

Trauriger Abschied: durch eine Glasscheibe winkt Hanna ihrer Freundin Sameera zu.

Heute hat sie drei Frauen mitgebracht, die nun auf TB untersucht werden. „Aus den bisherigen Erfahrungen bestätigt sich der Verdacht in den meisten Fällen“, so Dr. Schmotzer zu der Leistung ihrer freiwilligen Helferin: „Gerade Sameera weiß, worauf sie achten muss, und in den Slums ist TB inzwischen so weit verbreitet wie in Deutschland eine Grippe zur Winterzeit.“

Für die Gesundheitsdienste in Pakistan ist die multiresistente TB eine Herkulesauf-gabe. Mehr Aufklärung, bessere Lebensbedingungen, eine bessere Vereinbarkeit von Medikamenten-Einnahme und Arbeitsstelle, mehr Behandlungsmöglichkeiten für resistente TB, mehr freiwillige Helferinnen und Helfer, mehr medizinisches Personal, mehr finanzielle Mittel müssen her, um die Infektionskrankheit in dem Land, das zu den Ländern mit einer der weltweit größten TB-Lasten gehört, unter Kontrolle zu bekommen.

Hanna und Sameera wissen, dass Tuberkulose heilbar ist. Sie freuen sich schon auf den Tag, an dem Hanna wieder nach Hause darf. 

Mitarbeit: Jörg-Henning Meyer


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