14. April 2008

Ganz Äthiopien schaute auf Bisidimo - Geburtstagsfeier mit Pionieren

Vor 50 Jahren bauten Freiwillige das erste DAHW-Projekt auf

Harar/ Bisidimo. Eine "Geburtstagsfeier“ belegte tagelang in den äthiopischen Medien Platz eins bei Rundfunk, Fernsehen und Tageszeitungen: Vor 50 Jahren hatten junge deutsche Bauhandwerker am Ufer des Bisidimo-River, anfangs noch "im Busch“, ihre Zelte aufgeschlagen und dann im Auftrag des Deutschen Aussätzigen-Hilfswerkes (DAHW) ein Krankenhaus für Leprakranke gebaut, mit flankierenden Einrichtungen wie Landwirtschaft, Werkstätten und Wohnhäusern fürs Krankenhaus-Personal.

Bisidimo war mehr als nur ein Bauvorhaben: Unbestritten begann damit weltweit eine neue Ära im Umgang mit den Leprakranken, weg von den angeblich von Gott oder Göttern Bestraften und deswegen Ausgestoßenen hin zu Kranken.

Diese doppelte Pioniertat war dem äthiopischen Staatspräsidenten Girma Wolde-Giorgis jetzt wieder einmal ein Gespräch mit DAHW-Repräsentanten aus Würzburg im Thronsaal des einst kaiserlichen Palastes wert, knapp eine Stunde, mit dem Appell nach draußen, der Lepra wirklich und endlich das ausgrenzende Stigma zu nehmen und die Betroffenen herein zu holen in die Gesellschaft. 

 

Der äthiopische Staatspräsident  Girma Wolde- Giorgis (Mitte) empfängt die DAHW-Gäste im Thronsaal des ehemaligen kaiserlichen Palastes in Addis Ababa,  wo einst Kaiser Haile Selassie  Audienz hielt. Foto: Franz Barthel

Der für die Oromia-Region zuständige Präsident, Bundes- und Landesminister waren bei allen Veranstaltungen zum Jubiläum von Bisidimo präsent, und als ein Bus mit deutschen Gästen erfolgreich die 25 Kilometer von der Stadt Harar nach Bisidimo zurückgelegt hatte, auf einer Art Teststecke für Bandscheiben und Stoßdämpfer, da jubelten einige Tausend Äthiopier den Gästen zu und vor allem drei deutschen Senioren: 

Irene Kober, die mit ihrem Mann Hermann und Freunden vor 51 Jahren in Würzburg das Deutsche Aussätzigen Hilfswerk gegründet hatte und die nun mit erleben konnte, was aus dem "Pflänzchen“ von damals geworden ist Rudi Specht und Konrad Kroner, die vor 50 Jahren als junge Bauhandwerker, Kolpingsöhne aus dem Münsterland, mit anderen hier angerückt waren, um Bisidimo zu bauen. Kroner war in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal zu kleinen Baumaßnahmen ehrenamtlich in Bisidimo, für Rudi Specht war es die erste Rückkehr nach 50 Jahren.

Das Festprogramm ist, schweren Herzens,  weil es nicht so viele Anlässe zum Feiern gibt, dennoch drastisch zusammen gestrichen worden: die Region leidet unter einer Hitzewelle. Neue Brunnen wurden eingeweiht, weil für die etwa 5 000 Menschen, die vor den Toren des Relief Centers Bisidimo leben, Wasser in den letzten Jahren zunehmend zum Thema Nr.1 geworden ist:  Der Strahl an den Zapfstellen wurde immer dünner, die Wartezeit, bis man dran kam, immer länger. Vier neue Brunnen versorgen jetzt Gende Kore,  die Kleinstadt vor Bisidimo und die Patienten des Krankenhauses mit sauberem Wasser. Besorgt fragen sich die Verantwortlichen "wie lange wohl?“   

Die zweite Einweihungsfeier, für die neue High School, hat eine knapp 20-jährige Vorgeschichte mit zähen Verhandlungen um die staatliche Genehmigung überhaupt und um Geld für die Finanzierung: 500 junge Leute besuchen nun diese High School, sie haben jetzt, obwohl sie "draußen“ leben, vollen  Anschluss an das äthiopische Bildungssystem,  bis zur Hochschulreife. Das gelang bisher nur denen, die sich im 25 Kilometer entfernten Harar die Woche über allein oder mit anderen ein Zimmer leisten und dort die High School besuchen konnten. Es waren wenige, da die Leute von Bisidimo überwiegend arm sind.

 

DAHW-Vizepräsidentin Gudrun Freifrau von Wiedersperg beim Besuch der High School von Bisidimo. Foto: Jürgen Hammelehle

Möglich wurde die High School von Bisidimo zwar nur durch Spenden aus Deutschland,  aber die Bewohner von Bisidimo haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch dazu beigetragen: Väter von Schülern  zum Beispiel als Tagelöhner ohne Bezahlung auf der Baustelle und eine Frauen-Genossenschaft, die sich erfolgreich auf den Anbau von  Obst und  Gemüse spezialisiert hat, spendeten einen großen Geldbetrag.

Unter den mächtigen Bäumen, wo die Bau-Pioniere vor 50 Jahren ihre Zelte aufgeschlagen hatten und die ersten Nächte unter freiem Himmel, am Lagerfeuer verbringen mussten, sind bei der Jubiläumsfeier Bäumchen gepflanzt worden, von den Gästen aus Deutschland, Schirm-Akazien und Kappok-Bäume und es kam zu kaum beschreibbaren Begegnungen: 

Da war Ato Habib, ehemaliger Lepra-Patient, der vom ersten Tag an 1958 den deutschen Handwerkern als Hilfsarbeiter zugewiesen war und dabei aufgestiegen ist zum Pferdepfleger des damaligen Projektsleiters, Franz Graf Magnis.

Ato Abdella war da, ehemaliger Lepra-Patient, heute stellvertretender Direktor der Berufsschule von Bisidimo, der damals, als kleiner Bub, Konrad Kroner kennen gelernt hatte und sich noch genau daran erinnern konnte.  Abdella ist  einer von mehreren Führungskräften in Bisidimo,  die Kinder leprakranker Eltern oder selbst an Lepra erkrankt waren und sich "trotz allem“ nach oben gearbeitet haben.

Rudi Specht traf beim Abendessen in einem Lokal in Harar den Mann, der als Bub bei ihm auf der Baustelle mitgearbeitet hatte und für ihn  einkaufen ging, wenn er was brauchte. Der Mann ist heute Küchenhelfer in einem Hotel und war sprachlos, als Specht ihm 50 Jahre alte Fotos zeigte.  

Und jeder von ihnen hatte viele Geschichten zu erzählen. Ato Habib zum Beispiel erinnerte an die rüden Behandlungsmethoden in der Zeit, bevor die Deutschen kamen: Helle Flecken auf der Haut als unmissverständliche Hinweise auf Lepra seien bei ihm von einem lokalen  Medizinmann mit einer Rasierklinge entfernt worden in der Hoffnung, so die Lepra zu "heilen“.

Rudi Specht erzählte,  als wäre alles nicht vor 50 Jahren,  sondern vor einigen Wochen gewesen: Dass man vor allem Arbeitsgerät, aber überhaupt keine Moskito-Netze dabei hatte,  dass man bereits in der ersten Nacht übel "zerstochen“ wurde und dass nach zwei Wochen auch der letzte aus der Truppe Malaria hatte.

Und Konrad Kroner, damals schon und immer noch begeisterter Rennrad-Fahrer, berichtete, dass die erste größere Anschaffung in Äthiopien ein Rennrad war, das er sich bei einem italienischen Händler in Dire Dawa kaufte. Die über 80 Kilometer nach Bisidimo legte er natürlich auf dem Rad zurück und von da an fuhr er fast jeden Sonntag, nach der Messe, von Bisidimo ins 25 Kilometer entfernte Harar,  trank dort eine Limonade, die es in Bisidimo nicht gab und fuhr dann wieder zurück, auf Schotterpisten.  

50 Jahre Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, wie die Organisation inzwischen heißt, in Äthiopien ist auch in der Hauptstadt Addis Ababa gefeiert worden:  Gesundheitsminister Dr. Tewodros Adhanom  erinnerte daran, dass Bisidimo nicht nur für Lepra-Kranke in Äthiopien, sondern weltweit ein Neubeginn war und er bat darum, wenn die  Patientenzahlen sinken, das Engagement auf den Kampf gegen Tuberkulose und HIV zu übertragen.  Im Mittelpunkt einer Feier in den Messehallen von Addis Ababa standen ehemalige Leprakranke, die sich in Selbsthilfeorganisationen  engagieren und deswegen dekoriert wurden. Ato Ahmed Mohammed, der DAHW-Repräsentant in Äthiopien, hatte auf einen großen Rückblick in Bild und Ton verzichtet: Stattdessen hatte er über 40 Selbsthilfegruppen  aus ganz Äthiopien und Gruppen mit unterschiedlichster Behinderung eingeladen, in einer Messehalle die Produkte auszustellen,  mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen: vom einfachen Kehrbesen über Teppiche und Schmuckstücke bis zu Lebensmitteln und  traditioneller und modischer Kleidung.

 

DAHW-Vizepräsidentin Gudrun von Wiedersperg mit den Frauen von Bisidimo. Foto: Jürgen Hammelehle

Äthiopische Minister zeigten sich davon beeindruckt, dass die Pioniere von Bisidimo und weitere Sympathisanten mit ihren Frauen den Flug nach Äthiopien aus eigener Tasche bezahlt hatten. Und die DAHW-Repräsentanten aus Würzburg, an ihrer Spitze die Vizepräsidentin Gudrun Freifrau von Wiedersperg, erfuhren, was der DAHW-Repräsentant  Ato Ahmed bis dahin auch nicht wusste. Ahmeds "nickname“ (Spitzname) in äthiopischen Ministerien ist "Ahmed Social“, und das bat der Präsident der Oromia Region als Anerkennung zu verstehen. Man spreche von "Ahmed Social“, weil der so beispiellos hart für "seine“ Patienten und deren Rehabilitation kämpft.

Neben dem Krankenhaus von Bisidimo stehen große Zelte,  derzeit noch schwach belegt mit Müttern und unterernährten Kindern  aus der Umgebung, vor allem der Region Fadis. Seit einigen Jahren ein neuer "Service“ von Bisidimo: Vom Hunger gezeichnete Kleinkinder schonend aufpäppeln und bei der Gelegenheit die Mütter schulen. Es sieht so aus, als würden die Zelte ganz schnell wieder voll belegt sein: Es ist nicht nur ungewöhnlich heiß, in der Gegend um Bisidimo und zwar schon seit Monaten, es ist auch die für die äthiopische Landwirtschaft wichtige kleine Regenzeit wieder einmal ausgefallen. Bei den internationalen Hilfsorganisationen vor Ort geht man bereits davon aus, dass in Kürze wieder ein Massensterben droht, das  beim Vieh beginnt und kurz danach gehe es für die Kleinkinder ums Überleben. Dann ist auch Bisidimo wieder zusätzlich gefordert.

Übrigens, vom Bisidimo River, an dessen Ufern vor 50 Jahren das Bisidimo Hospital entstand,  ist nur das trockene Flussbett übrig geblieben. Bei jährlich geringer gewordenen Niederschlägen wurde aus dem Fluss im Lauf der Jahre ein Rinnsal und auch das ist inzwischen verschwunden.

von Franz Barthel

Der Autor Franz Barthel ist Redakteur beim Bayerischen Rundfunk und Mitglied des ehrenamtlichen Vorstands der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW). Foto: Jürgen Hammelehle

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