05. August 2009

"In Frankreich gibt es mehr Ärzte aus Togo als in Togo selbst"

Wie die DAHW in einem der ärmsten Länder der Welt hilft

Verhandlungen im Ministerium, Krisengespräch im nationalen Büro der  Weltgesundheitsorganisation (WHO), Kontrollrunde des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM), Gespräche mit einem möglichen Spender, Austausch in der deutschen Botschaft: Alle 20 Minuten klingelt das Telefon, jemand benötigt Hilfe oder braucht einen Rat – ein ganz normaler Tag für Franz Wiedemann, den Repräsentanten der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) in Togo.

Unterdessen ist Issoyo Touakawa, Gesundheitskontrolleur aus Sotouboua auf der Piste nach Tindjassé und Tchatchako im Norden des Landes unterwegs. Von der Hauptstadt Lomé sind es zwar „nur“ 350 Kilometer bis in diese abgelegenen Dörfer, aber die Fahrt dauert zwei Tage. Straßen, die diese Bezeichnung verdienen, gibt es kaum in Togo, die Schotterpisten und Feldwege sind nur sehr schwierig, in der Regenzeit mit Autos gar nicht mehr passierbar. Doch Touakawa ist mit einem geländegängigen Motorrad unterwegs, testet auf der langen Fahrt das neue Modell für den mobilen Gesundheitsdienst.

Wieder klingelt das Telefon von DAHW-Repräsentant Wiedemann: Gesundheitskontrolleur Touakawa gibt durch, dass er wohl heute noch ankommen wird. Das neue Motorrad ist zuverlässiger und verkürzt so die Reisezeiten. Wiedemann freut sich über diese Rückmeldung: „Ich will alles tun, damit draußen im Feld alles rund laufen kann, dass unsere Ärzte, Krankenpfleger und medizinischen Helfer sich bestmöglich um die Patienten kümmern können.“

Doch dann ist auch er weg aus Lomé: „Mindestens jede zweite Woche muß ich raus ins Gelände. Ich will die Bodenhaftung nicht verlieren, und unsere Partner im Feld müssen spüren, dass sie uns wichtig sind.“ Vor allem aber will er die Arbeit sehen, welche dank der Spendengelder aus Deutschland geleistet werden kann – und etwas Kontrolle kann hier auch nicht schaden.

Der Weg führt ihn nach Atchanvé, rund 40 Kilometer entfernt – rund drei Stunden mit dem Geländewagen. Gesundheitskontrolleur Kome Hegnion wartet dort bereits mit einem Kollegen auf ihn. Mit ihren Motorrädern haben sie nur die halbe Zeit benötigt. „Manchmal bin ich aber auch zu tagelangen Pausen verurteilt“, sagt Hegnion fast schon resignierend: „Das Motorrad ist nicht geländegängig und über zehn Jahre alt, daher häufen sich in der letzten Zeit die Schäden.“

Heute aber ist er pünktlich zur Reihenuntersuchung in der Schule von Mimivakpo, mitten in einem Flussgebiet gelegen. Die Dorfältesten haben ihn herzlichst empfangen – nur äußerst selten können sie Mediziner in ihrem Dorf begrüßen. Dafür haben sie bereits viele ihrer Nachbarn sterben sehen: Kinder in ihren ersten Lebensjahren, Mütter nach der Geburt ihrer Kinder oder Menschen jeden Alters an Krankheiten, die einfach zu behandeln gewesen wären.

Aber einen Arzt gibt es im Dorf nicht, und die Reise ins nächste Hospital ist teuer und aufwändig. Zwar gibt es in der Nähe eine staatliche Gesundheitsstation, die sich so gut es geht um die gesundheitlichen Nöte der Menschen kümmert, doch herrscht dort ständiger Mangel an Material und Medikamenten. So liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Togo bei nur 58 Jahren, in den abgelegenen Dörfern der ländlichen Gebiete sogar noch weit darunter.

Mit ihrem Einsatz steuert die DAHW gegen diese gefährlichen Probleme: 35 Gesundheitsmitarbeiter fahren auch in die abgelegensten Gebiete. Mit ihren Motorrädern erreichen sie jedes Dorf, um dort die Menschen zu untersuchen und zu behandeln. Möglich macht dies ein Programm gegen die Krankheiten Lepra, Tuberkulose und Buruli Ulcer, das die DAHW gemeinsam mit staatlichen Stellen betreibt.

„Es ist nicht einfach, es braucht gutes Personal, Transportmöglichkeiten und einen guten Draht in das Gesundheitssystem. Aber wir kommen voran“, erzählt der DAHW-Repräsentant und meint damit nicht die Fahrt in das abgelegene Dorf: „Es gab viele Widerstände zu brechen, weil es hier an so vielen einfachen und für uns Europäer selbstverständlichen Dingen fehlt.“ Besonders schmerzlich ist der Mangel an Ärzten: „In Frankreich beispielsweise gibt es mehr Ärzte und Krankenschwestern aus Togo als hier, Medikamente sind verhältnismäßig teuer und auf dem Land kaum zu bekommen, und selbst die einfachsten Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren knapp und teuer geworden.“

Für 8.000 Einwohner gibt es in Togo lediglich einen Arzt – in Deutschland sind es 30 Mal so viele Ärzte. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Reis oder Bohnen haben sich in den vergangenen zwei Jahren fast verdreifacht: Anderthalb Kilo Mais kosteten Ende 2007 noch umgerechnet 53 Cent, heute, im Mai 2009, sind es fast 1,50 Euro und der Preis für einen Liter Erdnussöl stieg im gleichen Zeitraum von 65 Cent auf 1,50 Euro. Obwohl die Ernten dieses Jahr ertragreich waren, sind die Preise für Lebensmittel kaum wieder gesunken. Trotz der hohen Preise bekommen die Bauern aber nicht mehr Geld für ihre Ernten.

Die gestiegenen Preise führen nicht nur zu Mangelernährung und damit zu mehr Krankheiten unter den armen Menschen. Sie sorgen auch dafür, dass es immer schwieriger wird, medizinisches Fachpersonal in Togo zu halten: Die Löhne wurden seit Jahren nicht angehoben. Um sich einen Liter Milch leisten zu können, muss eine Krankenschwester in Togo fast vier Tage arbeiten – in Deutschland oder Frankreich lediglich sechs Minuten. „Wem könnte ich es verdenken, wenn er einem Angebot aus diesen reichen Ländern folgt, schließlich will jeder ein besseres Auskommen für sich und seine Familie“, sagt Wiedemann. „Umso mehr freue ich mich über jeden, der aus Überzeugung hier in seiner Heimat bleibt und für die Menschen hier mit uns gegen die Krankheiten der Armut kämpft.“

 

Verdächtige Flecken auf der Haut - Gesundheitshelfer Kome Hegnion wird das Kind in die Klinik nach Tsevie bringen. Dort wird genau diagnostiziert, ob es sich hier um Lepra, Buruli Ulcer oder eine einfache Hautkrankheit handelt.

Aufgeben kam Franz Wiedemann noch nie in den Sinn, im Gegenteil: „Wir haben seit vielen Jahren ein Lepra- und Tuberkuloseprogramm. Im vergangenen Jahr wurde das neue Behandlungszentrum für Buruli Ulcer durch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier eröffnet, und jetzt wollen wir dies so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen.“ Der mobile Gesundheitsdienst wird der Schlüssel dazu sein – er wird den armen Menschen in den entlegenen Dörfern abseits von befestigten Straßen und Wegen erstmals einen Zugang zu medizinischer Behandlung ermöglichen."

Kaum hat er dies gesagt, ist er auch schon wieder auf dem Rückweg nach Lomé. Dabei bringt er zwei Kinder aus dem Dorf in das neue Krankenhaus von Tsévié – bei ihnen besteht Verdacht auf Buruli Ulcer, sie werden dort eingehend untersucht. Ohne den mobilen Gesundheitsdienst wären diese Kinder irgendwann mit verkrüppelten und gelähmten Gliedmaßen für ihre eigenen Familien zur „Belastung“ geworden – Alltag in einem der ärmsten Länder der Welt. Doch das will sich der 48-jährige Entwicklungshelfer in diesem Augenblick, da er diese beiden Kinder zur rettenden Behandlung bringt, nicht vorstellen müssen.


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