25. Oktober 2008

Interview mit Jürgen Becker und Martin Stankowski

Lepra auf Melaten

Höv: (noch keine Frage)



BECKER: Wenn wir jetzt Lepra hätten, könnten wir das Mikrofon nicht festhalten. Aber ihr wusstet ja, dass wir kein Lepra haben.



Höv: Damit wären wir schon genau beim Thema: Was wissen Sie eigentlich über Lepra?



BECKER: Ich weiß nix über Lepra. Weil es hier keine Lepra gibt und das unseren Alltag nicht betrifft. Jeder weiß was über Aids und über Krebs, das sind unsere Krankheiten - so wie Herzinfarkt, Blutdruckstörungen oder Hexenschuss.



STANKOWSKI: Und ich weiß über Lepra eigentlich nur, dass die in Indien noch verbreitet ist und dass die Glieder langsam absterben - bin mir aber nicht sicher, warum. Aber ich weiß, dass die Infektion nicht durch schlechte Hygiene, sondern durch menschliche Kontakte übertragen wird.



Höv: Über die Verbindung von „Melaten“ und Lepra wissen Sie bestimmt mehr.



STANKOWSKI: Jürgen und ich haben früher Straßenbahntouren mit Touristen gemacht und sind auch an Melaten vorbeigefahren. Dabei haben wir dann gesagt, woher das Wort Melaten kommt, nämlich vom lateinischen male habitus über das französische malade - auf Deutsch krank, siech, also eigentlich nicht tot.



BECKER: Der Kölner sagt ja heute noch: „Ich bin malad.“ Oder „Isch han ald widder Malessen mi′m Knie“. Und dann könnte man mal zum Arzt gehen, der schreibt einen krank, und daher kommt das „Krank- feiern“.



STANKOWSKI: Bei den armen Leprakranken ist das natürlich grenzwertig.



BECKER: Ja, man muss immer auf den einzelnen Fall gucken: Man sagt ja „Krankheit als Chance“, und Krankheiten haben die Menschen oft auch weitergebracht! Apostel Paulus war Epileptiker - ohne Epilepsie gäb′s kein Christentum



STANKOWSKI: Ach, das war ein epileptischer Anfall?



BECKER: Ja natürlich! Die ganzen Erscheinungen, das sind immer exakt die Beschreibungen eines epileptischen Anfalls. Hier hat Krankheit auch Großes hervorgebracht. Deswegen ist das Wort „krank feiern“ genau diese humane Sache, wir kennen doch diese schöne Geschichte, wo ein Kölner, ein Westfale und ein Türke - alles Menschen, die in Köln zu Hause sind - vor Gott ihr Leid beklagen. Dann sagt der Westfale, ich hab′s in der Schulter. Gott bringt die Hand auf die Schulter, und er ist geheilt. Der Türke sagt, ich hab′s im Rücken von der schweren Arbeit, und Allah legt die Hand auf die Schulter, und sie ist geheilt. Der Kölner sagt darauf schnell: „Flossen weg, ich bin noch vier Wochen krankgeschrieben.“



Höv: Krankheit kann also auch ein Gewerbe sein?



STANKOWSKI: Natürlich, Almosen geben gehörte doch zu den essenziellen Teilen des mittelalterlichen Christentums. Im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo das Domkapitel die Bettler mit Polizeihilfe von der Dompforte verscheucht. Jahrhunderte lang hat es dort das Betteln gegeben – es gab ja sogar Plätze, die wurden in den Familien vererbt. Und der Bettler hat dem Christen überhaupt erst die Chance gegeben, gute Werke zu tun.



Das ist ja völlig aus der Mode gekommen, insofern müsste man das ja eigentlich wieder einführen. Ob jetzt Melaten die richtige Stelle wäre, würde ich bezweifeln, weil dort der Verkehr zu schnell dran vorbei saust – aber Domplatte, Kölnarena, Rheinufer oder ähnliche Orte wären die angemessenen Orte. Und Betteln ist tatsächlich ein Gewerbe – eine Tätigkeit, die man lernen muss. Wir beide unterrichten Penner, wie man professionell bettelt, indem man gute Geschichten erzählt – je pointierter und kürzer die Geschichte, umso besser. Und der Hintergrund ist, diesen Menschen beizubringen, dass sie nicht danke sagen müssen. Eine Geschichte erzählen ist die Gegenleistung für Geld.


Früher haben die Bettler als Gegenleistung gebetet. Da musste der Spender danke sagen, denn der Bettler hat gesagt, ich bete für dich, du bist sowieso ein Sünder, zück’ deine Börse,…



BECKER: …die hatten noch einen Hausarmen unter der Treppe wohnen, der wurde mit durchgefüttert, dann hat er ständig für die gebetet. Das ist eigentlich eine praktische Sache.



Höv: In der Forschung und den Medien ist HIV viel präsenter als Lepra. Kennen Sie die Gründe?



BECKER: Es wird halt viel mehr über Aids gesprochen. Da gibt es viel mehr Menschen, die etwas dagegen sagen - so wie diese Fürstin, die jetzt mit dem Meisner zusammen…



STANKOWSKI: …Thurn und Taxis!...



BECKER: Genau, die hat auch gesagt, die schnackseln zu viel.



STANKOWSKI: Ja ja, würden die nicht schnaggeln gehen,...



BECKER: ...schnackseln!...



STANKOWSKI: ...dann hätten sie kein Aids. Nach dem Motto, dass Aids kein Problem wäre, wenn alle enthaltsam lebten.



Höv: Es gab ja schon Vorschläge, HIV-Infizierte wegzusperren - wie es früher mit Leprakranken gemacht wurde. Ist die Menschheit nicht lernfähig?



BECKER: Ich glaube, wenn Menschen sich in der Geschichte auskennen und Rückschlüsse ziehen können, ist das sehr vorteilhaft. Wir haben ja mit den Straßenbahnfahrten auch versucht, Leuten die Geschichte Kölns nahezubringen, und da ist es gut zu wissen, dass es auf Melaten dieses kleine Leprosenmännchen hinter dem Gitter gibt. Hier war die Leprastation, hier wurden die Kranken vor der Stadt eingeschlossen.



Höv: Ist ein Friedhof der richtige Ort, um an die Geschichte zu erinnern?



STANKOWSKI: Friedhöfe sind ja in mehrfacher Hinsicht wichtige Orte: Einmal als ökologische Oasen, und dann sind es wunderbare Parks zum Spazierengehen und Entspannen.



BECKER: Und natürlich Kontaktbörse. Da gibt′s doch jetzt auch so ein Friedhofmobil, so ein kleines Vespa- Dreirad mit Cappuccinomaschine drauf. Und das fährt übern Friedhof, und die Rentner trinken dort ihren Kaffee.



STANKOWSKI: Die befördert doch nur die Leute dahin.



BECKER: Nein, das gibt es auf jeden Fall. Ich weiß nicht, ob das jetzt auf Melaten ist, aber es gibt die Kaffeebar, und da treffen sich Witwen und Witwer. Also ein wichtiger Treffpunkt.

Das Gespräch führte Jochen Hövekenmeier


Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. (DAHW)


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