07. Juni 2023

Nicht mehr "Die Frau mit dem einen Fuß" - Hawanatu bekommt eine Prothese

Inklusion bringt die Gesellschaft zusammen, indem sie jedem Einzelnen das Gefühl gibt, dass jede:r einen Platz in der Gesellschaft hat.

„Da cut fut titi (die Frau mit dem einen Fuss)“, so wurde die heute 22-jährige Hawanatu Sankoh (Name geändert) als Kind, junges Mädchen von den Menschen in dem lokalen Dialekt Krio verspottet. Das geschah durch andere Kinder und Jugendliche, die sie vor ihrem Unfall als ihre Freunde angesehen hat.

Hawanatu Sankoh wuchs behütet im Delta des Mano River im Grenzgebiet von Sierra Leone und Liberia auf und hatte eigentlich eine glückliche Kindheit. Das Delta zählt bis heute zu den ärmsten und krisenanfälligsten Regionen der Welt. Erschüttert von Bürgerkriegen in den beiden Grenzstaaten, von Hungersnöten und Epedimien. Das Leben von Hawanatu Sankoh nahm eine für sie grausame Wendung, als sie zehn Jahre alt war. Durch einen tragischen Unfall wurde ihr rechtes Bein so schwer verletzt, dass eine Amputation unterhalb des Knies unumgänglich war.

Aus der guten Schülerin, beliebten Freundin wurde die gehänselte und verspottete „Frau mit dem einen Fuß“.

Eine Amputation ist für jeden Menschen ein gravierender Einschnitt in sein Leben. Erst recht für ein Kind. Die zehnjährige Hawanatu hatte nicht nur den Spott zu ertragen. Außerhalb ihrer Familie wandten sich alle von ihr ab. Sie wurde faktisch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie verlor den Anschluss in der Schule, die sie dann abbrechen musste.

Das vorher fröhliche, aufgeweckte Mädchen verlor seinen Lebensmut. Sie gesteht: „Damals habe ich mir gewünscht, tot zu sein. Alles erschien mir besser, als weiter die Ausgrenzung zu erleben und keine Freude am Leben mehr zu empfinden. Ich betete dafür, dass ich sterben darf.“

Hawanatu Sankoh erzählt: „Doch einige Zeit später begegnete ich nahe unseres Dorfes drei katholischen Nonnen, die mich ansprachen. Sie bestärkten mich, auf meine Fähigkeiten zu vertrauen und an die Zukunft zu glauben. Die Schwestern kümmerten sich rührend um mich und vermittelten, dass mir eine Prothese angepasst wurde. Endlich konnte ich mich wieder ohne Krücken bewegen.

Das klappte mehrere Jahre sehr gut. Doch wieder schlug das Schicksal zu. Beim Überqueren einer Straße hupte ein ungeduldiger Motorradfahrer. Ich erschrak so heftig, dass ich über einen Rinnstein stolperte. Die Prothese wurde durch den Sturz so beschädigt, dass ich sie nicht weiterverwenden konnte. Ich war wieder „die Frau mit einem Fuß“.

OTCs bieten Chancen

Einige Zeit später hörte ich im Radio eine Sendung der Organisation „Caritas Makeni OTC“. So erfuhr ich erstmals von dem orthopädischen Zentrum OTC, in dem Menschen mit körperlichen Einschränkungen geholfen wird. Ich nutzte die nächste Gelegenheit, die Nummer anzurufen, die im Radio genannt worden war. Ein freundlicher Mitarbeiter hörte sich meine Geschichte an und gab mir alle Informationen, wie eine neue Prothese für mich angefertigt werden könnte.

Ich suchte das Zentrum schnellstmöglich auf. Die Mitarbeitenden untersuchten mich genau und vermaßen meine Gliedmaßen. Die Herstellung der neuen Prothese dauerte ca. eine Woche. Ich glaube, das war die längste Woche meines Lebens. Ich war so ungeduldig und konnte es kaum erwarten, meinen ,neuen‘ Fuß auszuprobieren.“

Wie von den Mitarbeitenden versprochen, konnte Hawanatu Sankoh nach einer guten Woche die neue Prothese anprobieren. Sie passte auf Anhieb perfekt.

„Schon bei der ersten Anprobe passte die Prothese wunderbar. Ich bekam eine gründliche Einweisung und ich fühle mich wieder wie ein vollständiger Mensch. Ich bin und werde dem OTC für immer sehr dankbar sein. Ich hoffe, dass die Mitarbeitenden weiterhin von der Organisation DAHW unterstützt werden und noch vielen Menschen in unserer Region geholfen werden kann. Die Menschen im OTC haben mir meine Lebensfreude zurückgegeben. Vielen Dank an Sie, dass Ihre Spenden diese Arbeit ermöglichen.“

„Es spielt keine Rolle, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht, ob er ein Mann oder eine Frau ist, ob er fünf oder 70 Jahre alt ist – ausgeschlossen zu werden zerstört das Sozialgefüge. Es diskriminiert Menschen und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar.

Inklusion bewirkt das Gegenteil. Sie bringt die Gesellschaft zusammen, indem sie jedem Einzelnen das Gefühl gibt, dass jede:r einen Platz in der Gesellschaft hat. Sie vermittelt allen Menschen, einbezogen und willkommen zu sein.“

Sahayarani Anthony, Beraterin Behinderung & Inklusion der DAHW

OTC

Das OTC (Orthopeic Technical Centre) ist ein orthopädisches Zentrum im Süden von Sierra Leone. Hier erfahren Menschen mit körperlichen Einschränkungen Hilfe und Unterstützung. Das OTC wird seit langem von der DAHW unterstützt.


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