05. Oktober 2009

Nigeria - Ein alter Fernseher überwindet das Stigma

Vor 130 Jahren hat Pater Damian de Veuster die Lepraarbeit revolutioniert:

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Leprakranke einfach in Kolonien isoliert und ihrem schweren Schicksal überlassen – ohne jegliche Unterstützung. Die zu Hawaii gehörende Leprainsel Molokai war ein solcher Ort bis zum 10. Mai 1873. An diesem Tag kam Pater Damian nach Molokai: Er wusch ihre Wunden und kümmerte sich um die Bewältigung des Alltags – angefangen mit dem Bau von Häusern bis zur Gründung eines Orchesters. Zum ersten Mal konnten Leprakranke ein weitgehend normales Leben führen.

Für viele Leprapatienten ist dies heute noch fast unmöglich. Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) kümmert sich in der Tradition von Pater Damian daher nicht nur um die medizinische Behandlung, sondern auch darum, dass die Patienten nach ihrer Heilung auch wieder ein normales Leben bestreiten können.

 

„Lepra ist wie ein Kainsmahl auf der Stirn der betroffenen Menschen“, be-richtet Fidelis Adebayó, ein Sozialarbeiter der DAHW in der nigerianischen Stadt Abeokuta: „Niemand gibt einem Menschen Arbeit, der an Lepra erkrankt war. Niemand will neben einem Leprapatienten wohnen oder seine Kinder in dieselbe Schule schicken wie deren Kinder.“

Fußball schlägt Brücken

Sofort fällt dem Sozialarbeiter der Fall von Joyce ein – die junge Mutter wurde von ihrer eigenen Familie verstoßen, nachdem sie an Lepra erkrankte. Heute lebt sie wieder in der Hütte, in der sie ihre Kindheit verbracht hat, neben den alten Nachbarn, und sie ist ein hoch angesehenes Mitglied ihrer Dorfgemeinschaft. Der Grund dafür ist Fußball – fast jeder Nigerianer ist verrückt nach diesem Sport, kaum einer will die Spiele der Nationalmannschaft im Fernsehen verpassen.

„Ursprünglich hatten wir Joyce einen Kühlschrank mit Stromgenerator finanziert, damit sie einen kleinen Kiosk betreiben und vom Verkauf der kalten Getränke leben kann. Doch den Durchbruch haben wir erst mit der zusätzlichen Anschaffung eines alten Fernsehers geschafft“, berichtet Fidelis. Und siehe da: Die Angst, ein wichtiges Fußballspiel zu verpassen, war größer als die alten Vorurteile. Der Kiosk von Joyce wurde zum Treffpunkt des ganzen Dorfes.

Rückkehr in die Dorfgemeinschaft

Manchmal spielt dabei auch der Musiker Joseph aus dem Nachbardorf. Auch er war an Lepra erkrankt und wurde von seinen Nachbarn davongejagt. Dass er jetzt wieder zu Hause lebt, hat der 68-Jährige auch einer kleinen Starthilfe der DAHW zu verdanken: „Für Joseph haben wir damals ein gebrauchtes Motorrad gekauft und so ausgerüs-tet, dass er all seine Instrumente damit transportieren kann“, erinnert sich der Sozialarbeiter.

Wenn Joseph aufspielt, tanzt das ganze Dorf – niemand denkt in diesen Augenblicken mehr daran, dass sie ihn einst fortgejagt hatten, weil an seinen Füßen schon die ersten Verstümmelungen zu sehen waren. „Wenn jemand hier etwas Nützliches leistet, sind die alten Vorurteile schnell verschwunden“, so das Fazit des Sozialarbeiters.

Kleinkredite schaffen Existenzgrundlage

Ähnlich war es auch bei Samuel – als 15-Jähriger wurde er auf die Straße gesetzt, weil sein damaliger Chef erfahren hatte, dass Samuel als Kind an Lepra erkrankt war. Dass die Krankheit vollständig ausgeheilt war, interessierte ihn nicht – zu tief saßen die alten Vorurteile.

Inzwischen aber führt Samuel ein ganz normales Leben als Schuhmacher, erklärt Fidelis: „Er macht die besten Schuhe der Stadt, also kommen die Menschen zu ihm – egal, ob er oder seine Mitarbeiter früher Lepra hatten.“ Mit einem Kleinkredit der DAHW machte er sich vor 15 Jahren selbständig und hat heute zwei kleine Läden mit sieben Mitarbeitern, allesamt ehemalige Leprapatienten.

„Wir kämpfen dafür, dass Menschen, die an Lepra erkrankt waren, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können“, beschreibt Fidelis seine Arbeit: „Dazu müssen wir halt oft neue Wege gehen und alle Chancen nutzen, um die Mauern der alten Vorurteile abzubrechen.“

CBR – „Community based rehabilitation“, so nennt sich das Programm der DAHW. Auf deutsch könnte man es mit „Rehabilitation im Wohnumfeld“ bezeichnen, und dies trifft auch den Kern der Arbeit von Fidelis: „Wir geben unseren Patienten die Chance, ihr altes Leben wieder zu bekommen – in ihren Heimatdörfern. Nur mit Hilfe der Kleinkredite können sie diese Chance bekommen – so kämpfen wir für ihr Recht, wieder ein ganz normales Leben führen zu können.“



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