07. Januar 2011

Referendum über Unabhängigkeit im Südsudan „Die Menschen hoffen, dass ihr Leben besser wird“

Fragen an DAHW-Repräsentantin Leonore Küster im Südsudan



Der Sudan ist das größte Land Afrikas mit einer Fläche siebenmal so groß wie Deutschland. Mit rund 40 Millionen Einwohnern leben jedoch nur knapp halb so viele Menschen in dem Vielvölkerstaat, allein acht Millionen in der Hauptstadt Khartum.

Etwa 70 Prozent der Sudanesen sprechen Arabisch, im Südsudan ist Englisch die Hauptsprache, dazu kommen afrikanische Sprachen. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Muslime, etwa 20-25% Angehörige indigener Religionen und etwa 10-15% Christen, vornehmlich im Süden.

Nach dem Ende des von 1983 bis 2005 dauernden Bürgerkriegs zwischen den sudanesischen Streitkräften und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) wurde im Juli 2005 eine gemeinsame „Regierung der Nationalen Einheit“ geschaffen. Zugleich erhielt der Süden weitreichende Autonomierechte. Am 9. Januar 2011 stimmt der Süden über die Unabhängigkeit ab.

Eine wichtige Rolle in den politischen Auseinandersetzungen spielen die reichen Ölvorkommen des Landes, die vor allem im Süden liegen.

Mit einer Fläche von 644.239 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von 8,26 Millionen nehmen die zehn südlichen Bundesstaaten etwa ein Drittel des gesamten Sudans ein.

Leonore Küster (im Bild) ist seit 2007 Repräsentantin der DAHW im Südsudan. Von Juba aus ist die ausgebildete Krankenschwester mit Diplom in Public Health zuständig für die Unterstützung des Nationalprogramms und elf Projekte, die sich über ein Gebiet zweieinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland erstrecken.

Wie sieht der Alltag einer Familie im Südsudan aus, wie steht es um Ernährung, Gesundheit und Bildung?

Um sich den Alltag einer Familie im Südsudan vorzustellen, muss man sich von den deutschen Vorstellungen eines Staates komplett lösen. Hier im Südsudan wurden während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs die kaum vorhandenen Strukturen fast völlig zerstört. Sie müssen nun erst langsam wieder aufgebaut werden. Viele Gebiete waren nie erschlossen. Straßen und Brücken, um die Gemeinden, Dörfer und Städte miteinander zu verbinden und somit Schulen und Gesundheitsstationen für die Bevölkerung zugänglich zu machen, müssen erst gebaut werden.

Bis dahin ist eine Gesundheitsstation mitunter nur zu Fuß und über mehrere Stunden zu erreichen. Für eine durchschnittliche Familie bedeutet dies, dass für uns harmlose Krankheiten wie z. B. Durchfall tödlich verlaufen können. Auch die Schulwege sind weit. Viele Familien schicken ihre Kinder deshalb in die Nachbarländer. Dies ist oft nur möglich aufgrund der gegenseitigen Unterstützung in den Familien und Clans, da das soziale Auffangnetz des Staates erst etabliert werden muss.

Etwa 50% der städtischen und 80% der ländlichen Bevölkerung sind Analphabeten. Darüber hinaus gibt es zu wenige Arbeitsplätze, um Einkommen zu erzielen. Landwirtschaftliche Flächen können zum Teil nicht bewirtschaftet werden, weil die Minen aus dem Bürgerkrieg noch nicht geräumt sind. So müssen Nahrungsmittel aus Nachbarländern eingeführt werden, was wiederum die Kosten für den Lebensunterhalt erhöht. Für viele Familien bedeutet das, dass sie sich mitunter nur einmal am Tag ein Essen leisten können.

Wie ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung und was ist am dringendsten?

Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2005 hat sich das Gesundheitssystem erheblich verbessert. Dennoch verfügt der Südsudan weiterhin über eines der schlechtesten Gesundheitssysteme weltweit. Es fehlt an Geld, an Infrastruktur und an ausgebildeten Fachkräften. Dringender Bedarf ist eigentlich überall, aber man versucht Prioritäten zu setzen und sich auf die am schnellsten tödlich verlaufenden Krankheiten zu konzentrieren.

Tuberkulose und Lepra z. B. sind beides Krankheiten, die so bald wie möglich behandelt werden sollten, um bleibende Schäden zu vermeiden. Bei der TB kommt zusätzlich erschwerend die Ko-Infektion mit HIV/Aids hinzu.

Mit mächtigen Geldgebern wie dem Globalen Fonds zur Bekämpfung Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) oder mit USAID hat man hier relativ schnell ein Tuberkulose-Programm in allen zehn Bundesstaaten eingerichtet. Für Lepra hingegen ist die DAHW der einzige Geldgeber, und die finanziellen Mittel sind limitiert. Bisher gibt es nur in sechs Staaten Lepra-Projekte, und wir wissen nicht, wie groß das Ausmaß der Krankheit wirklich ist. Lepra ist in vieler Hinsicht eine Krankheit, die unbehandelt nicht nur bleibende Behinderungen verursacht, sondern auch zu sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung führt. Es ist dringend nötig, dass Menschen mit Lepra in allen Bundesstaaten Zugang zu Diagnose und Behandlung finden. Dazu müssen wir Sensibilisierungs- und Medienkampagnen durchführen.

Was erwarten die Menschen von dem Referendum über die Unabhängigkeit?

In erster Linie erwarten die Menschen hier die Unabhängigkeit und damit die Entwicklung des Landes. Persönliche Perspektiven sind vorerst zweitrangig und werden sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisieren. Wie zum Zeitpunkt des Friedensabkommens 2005 haben die Menschen die Hoffnung, dass ihr Leben besser wird.

Was berührt Sie am meisten?

Die unerschütterliche Hoffnung und der Optimismus der Südsudanesen beeindrucken mich am meisten und das Privileg, dabei sein zu dürfen.

Was glauben Sie, wie wird die Situation in einem Jahr sein?

In humanitärer Hinsicht ist eher keine grundlegende Veränderung zu erwarten, angesichts der vielfältigen Herausforderungen, vor denen das Land steht. Es wird sicher noch Jahrzehnte dauern bis Fortschritt spürbar wird. Insbesondere ländliche Gebiete werden lange brauchen um sich zu entwickeln. Die Erwartungen einer schnellen Entwicklung werden sehr hoch sein, und es ist mit Enttäuschungen zu rechnen, wenn es nicht so schnell geht. Auf jeden Fall ist es eine große Herausforderung für die Regierung, die Hilfe zu koordinieren.

Mit Leonore Küster sprach Renate Vacker.

Kontakt: Renate.Vacker@dahw.de

 

Das Krankenhaus in Rumbek. Hier werden u.a. Menschen behandelt, die an Tuberkulose oder Lepra erkrankt sind. Foto: DAHW / Martina Vornberger

 

Die Hälfte der Bevölkerung im Sudan ist jünger als 18 Jahre. Foto: DAHW / Martina Vornberger


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