29. Januar 2024

Auf historischen Wegen durch Würzburg – ein Spaziergang am Welt-Lepra-Tag

Auf altbekannten Wegen eine Stadt neu entdecken und den Spuren des Mittelalters folgen: Anlässlich des Internationalen Welt-Lepra-Tags hatte sich eine bunte Gruppe zu einem besonderen Sonntagsspaziergang in Würzburg zusammengefunden.

Würzburg, 29.01.2024: Kletten, Schwefel, Geierfett – und Schwalbenkot? Das Rezept klingt abenteuerlich, soll aber, so zumindest die Versicherung in der mittelalterlichen Quelle, verlässlich die Lepra heilen. So heißt es in dem Schriftstück: „Der Kranke wird gesund werden – es sei denn, Gott will nicht, dass er genese.“

Da ist er, der Haken an der Geschichte – und wie heute bekannt ist, dürfte die Wirkung der so hergestellten Salbe auch ohne das göttliche Daumensenken kaum geholfen haben, die Bewohner:innen eines mittelalterlichen „Siechenhauses“ von ihrer Krankheit zu befreien. Wie gut, dass es heutzutage eine antibiotische Kombinationstherapie gibt, erklärt Bildungsreferentin Saanika Amembal. Bei den Zuhörer:innen, die im Halbkreis um sie herumstehen, wird diese Nachricht mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen.

Die Gruppe von etwa 25 Personen befindet sich an einem sonnigen, kalten Januarmorgen auf einem ganz besonderen Sonntagsspaziergang durch Würzburg: Auf den Spuren der ehemaligen Leprosorien, also der Unterkünfte für Lepra-Betroffene im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, schlendern sie vom Peterviertel in die Sanderau, überqueren die Löwenbrücke in Richtung St. Burkard, erklimmen den Zeller Berg und blicken von der Alten Mainbrücke in Richtung Würzburger Stein: alles Orte, die damals mit der Versorgung der Lepra-Patient:innen zusammenhingen.

Ausgangspunkt: Der Spitalhof in der Stephansstraße. Denn dort, erklärt Bildungsreferentin Amembal, befand sich Ende des 11. Jahrhunderts wohl das erste nachweisbare „Siechenhaus“ auf dem Gebiet des heutigen Bayern. Eine Einrichtung, in der Lepra-Betroffene abseits der Gesellschaft untergebracht wurden – fernab ihrer Familien und ihres sozialen Netzes – und das sie, außer ab und zu zum Betteln, bis zu ihrem Tode nicht wieder verlassen sollten.

Schrecklich klingt das, ein Leben in Quarantäne, die Ächtung als „Aussätzige“, die sich mit einer lauten Holzklapper (eine Nachbildung kam während des Vortrags durchaus zum Einsatz) weithin bemerkbar machen mussten, wenn sie auf die Straße gingen. „Ja und nein“, gibt Referentin Amembal zu bedenken: „Die Bewohner:innen der Leprosorien waren zwar ausgestoßen, aber auch geschützt und nicht in allen Aspekten schlechter gestellt als der Rest der Bevölkerung. Sie wurden versorgt, sie hatten ein Dach über dem Kopf, und sie bekamen oft sogar eine leidliche ‚medizinische Behandlung‘.“ Man dürfe nicht vergessen: Es gab damals keine Heilungsmöglichkeit – vom wenig erfolgversprechenden Schwalbenkot einmal abgesehen. Heute natürlich ist das völlig anders, weshalb die DAHW gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Stigmatisierung entschieden vorgeht.

Über die historischen Hintergründe der „biblischen Krankheit“, über den Umgang der Stadt und der Kirche mit den Erkrankten, über die Geschichte der DAHW und nicht zuletzt über die Verbreitung der Lepra heutzutage im Globalen Süden informiert Bildungsreferentin Amembal an diesem Sonntagmorgen – während die Spaziergruppe drei der fünf ehemaligen Standorte der Leprosorien in Würzburg „abklappert“: den Spitalhof, das Ehehaltenhaus und die Umgebung des Zeller Tors. Den Wöllriederhof zu besichtigen, der weit vor den Toren der Stadt liegt, wäre sicherlich etwas zu ambitioniert gewesen für einen Sonntagsspaziergang, und den Standort „Würzburger Stein“ erkennt man auch ganz gut von der Alten Mainbrücke aus.

Es ist ja ohnehin nicht mehr viel übrig geblieben von den ehemaligen „Siechenhäusern“ – kein Wunder, erreichte die Lepra in Europa doch bereits im 14. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Danach nahm ihre Verbreitung stetig ab, je besser die Hygienebedingungen und die medizinische Versorgung wurde. Dennoch gab es die Siechenhäuser in Würzburg bis ins Jahr 1852, als die letzte Einrichtung, unterhalb des Weinbergs am Würzburger Stein, abgerissen wurde.

Dass Lepra heutzutage in Deutschland und Europa kein Thema mehr ist, bedeutet aber nicht, dass die Krankheit besiegt ist. In vielen Ländern des Globalen Südens, davon kann Saanika Amembal als Inderin aus erster Hand berichten, ist Lepra weiterhin eine große Herausforderung für die Gesundheitssysteme. Mut machen dabei Erfolgsgeschichten, etwa aus dem Senegal oder aus Pakistan, wo die Krankheit kurz vor der Eliminierung steht.

Mit Blick auf Würzburg endet der Spaziergang auf der Alten Mainbrücke – viele Teilnehmer:innen nehmen sich Info-Material mit und gehen dann zum Mittagessen in die Innenstadt weiter, um sich dabei vielleicht noch weiter mit dem Thema zu befassen, das in Deutschland eindeutig ein Fall für Historiker:innen ist. Ganz anders beispielsweise in Äthiopien: Dort zogen am Tag zuvor in der Stadt Harar Menschen durch die Straßen, begleitet von einer Polizeikapelle, um Aufmerksamkeit für die Krankheit zu wecken. Unter den Teilnehmer:innen, neben Mitarbeitenden der DAHW und ihrer Partnerorganisationen: auch Betroffene von Lepra und deren Angehörige. Denn auch in Äthiopien, nur ein paar Flugstunden von Deutschland entfernt, lebt Lepra weiter.


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