28. Februar 2018

Stellungnahme des Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) zum Koalitationsvertrag

Das DNTDs, bei dem die DAHW Mitglied ist, hat eine Stellungnahme zum Koalitationsvertrag verfasst.

Das Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) bildet eine nationale Plattform in Deutschland, die gemeinsam mit internationalen Partnern gegen diese von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte Gruppe von 20 armutsassoziierten Infektionskrankheiten vorgeht. Aktuell sind 1,5 Milliarden Menschen in Gefahr, durch vernachlässigte Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases - NTDs) weltweit arbeitsunfähig, blind, entstellt, behindert zu werden oder zu
sterben. Siehe auch: www.dntds.de

Wir begrüßen, dass mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, verbunden mit einem Maßnahmenpaket zur Schaffung von mehr Zukunftsperspektiven vor Ort, Bekämpfung der Fluchtursachen, Unterstützung des fairen Handels und zur
Durchführung anderer wichtiger Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden sollen.
Dies entspricht einer langjährigen Kernforderung des DNTDs, das bereits in der
Vergangenheit die Notwendigkeit einer erweiterten Sicht auf die Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit betont hat. Integraler Bestandteil ist aus unserer Sicht nicht zuletzt das Bemühen um eine grundlegende Verbesserung der Gesundheitsversorgung für alle Menschen weltweit, unter besonderer Beachtung inklusiver und präventiver Maßnahmen. Die Prämisse der globalen Nachhaltigkeitsagenda (Agenda 2030) „Niemanden zurücklassen“ gebietet es, den Fokus verstärkt insbesondere auf diejenigen Bevölkerungsgruppen zu lenken, die bislang von einer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind.
Wir sind überzeugt, dass der entwicklungspolitische Teil des Koalitionsvertrags in dieser Hinsicht ein Schritt in die richtige Richtung ist und begrüßen insbesondere die politisch gewollte Intensivierung der Vernetzung im Rahmen der strukturbildenden Entwicklungszusammenarbeit.
Der Gesundheitsstatus der Gesamtbevölkerung - gerade auch in marginalisierten Regionen im globalen Süden - sollte als wichtige Grundlage für den Erfolg der beabsichtigten verstärkten bildungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen erkannt und bei der Planung entsprechend angemessen berücksichtigt werden. Die vernachlässigten Tropenkrankheiten und weitere armutsassoziierte Gesundheitsprobleme spielen eine zentrale Rolle. Ihnen muss mit einem holistischen und transdisziplinären „One Health“-Ansatz begegnet werden, der die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch, Tier, Umwelt und Gesundheit berücksichtigt.
Erforderlich ist eine enge Zusammenarbeit der im öffentlichen Gesundheits- und Veterinärwesen tätigen Berufsgruppen.
Arzneimitteldistributionen, die „letzten Meter bis zu betroffenen Patientinnen und Patienten“, ausreichendes und sauberes Wasser in Haushalten und
Bildungseinrichtungen sowie eine menschenwürdige, kindgerechte und gesunde
Lernumgebung sind aus unserer Sicht zentrale Aufgaben. Bei allen
entwicklungspolitischen Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Ernährung, der Armutsbekämpfung und der ländlichen Entwicklung, sollten Zusammenhänge mit dem Gesundheitsbereich geprüft werden und ggf. eine ergänzende Gesundheitskomponente vorgesehen werden. Hierfür ist eine Ministerienübergreifende Koordination entsprechender Maßnahmen unumgänglich.
Die Errichtung einer Kommission „Fluchtursachen“ kann ein wichtiger Baustein
sein. Ihre Aufgabe soll gemäß Koalitionsvertrag sein, der Bundesregierung und dem Bundestag Vorschläge für konkrete Maßnahmen gegen Fluchtursachen zu
unterbreiten. Wir sind überzeugt, dass die Effektivität und Nachhaltigkeit dieser
Kommission davon abhängig sein wird, ob es ihr gelingt, eine adäquate
Beteiligungskultur gemeinsam mit internationalen Akteuren wie auch der
Zivilgesellschaft vor Ort, gemeinsam mit Fachexpertinnen und -experten zu schaffen.
Fatal wäre die Instrumentalisierung der Kommission für interessensgeleitete
kurzfristige Kampagnen.

Relevante wissenschaftliche Arbeiten belegen, dass unter anderem die Sorge der Eltern, ihren Kindern im Erkrankungsfall nicht helfen zu können und marginal entwickelte Gesundheitssysteme, die den Zugang zu Gesundheitsleistungen für arme Menschen nicht ermöglichen, wichtige Fluchtursachen darstellen.
Von einer noch so guten Ausbildung in technischen Berufen kann die Jugend im
globalen Süden nur dann profitieren, wenn neben Beschäftigungsperspektiven auch eine tragfähige Gesundheitsversorgung vor Ort geschaffen wird. Nur Kinder und Jugendliche, die ausreichend ernährt und gesund sind, können von einer Bildungsoffensive profitieren. Wir stehen der geplanten Kommission als
Ansprechpartner gerne zur Verfügung.
Vor diesem Hintergrund sind die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs)
essentiell, in welchen die zentrale Rolle der Gesundheit anerkannt wird. Die
Bekämpfung der NTDs stellt ein eigenes quantitatives Unterziel dar (SDG 3.8).
Demzufolge muss den am stärksten unter den NTDs leidenden Menschen in der
Bevölkerung besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Auf die aktive Übersetzung dieser Zusammenhänge in konkrete Maßnahmen wird es ankommen. Wenn die vernachlässigten Tropenkrankheiten nicht eliminiert werden, kann keines der SDGs wirklich erreicht werden.
Das DNTDS sieht dabei ebenfalls die herausragende globale Verantwortung der
Bundesrepublik Deutschland. Im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent formuliert die Koalitionsvereinbarung wichtige wirtschafts-, sicherheits- und migrationspolitische Ansätze, die das gemeinsame Ziel haben sollten, das vorhandene stark ausgeprägte Entwicklungs- und Wohlstandsgefälle abzubauen. Wir erachten es als sinnvoll, wenn eine ressortübergreifende Koordinierung künftig eine größere Basis erhält. Auch dies war eine in der Vergangenheit wiederholte Kernforderung des DNTDs. Es wäre wünschenswert, dass die zukünftige optimierte Zusammenarbeit transparent, um Fehlentwicklungen vorzubeugen, aber auch um Fortschritte besser vermitteln zu können, gestaltet wird.
Das DNTDs unterstützt die Absicht der Koalitionspartner, Deutschland als Vorreiter einer fairen Handelspolitik zu entwickeln, denn asymmetrische Handelsbeziehungen mit daraus resultierenden, systematischen Benachteiligungen großer Personengruppen im globalen Süden begünstigen NTDs in den betroffenen Ländern.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass mehr Investitionsmittel für die
öffentliche Forschung bereitgestellt werden sollen, um insbesondere
vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten zu bekämpfen. Es stellt sich
aber die Frage, ob dies ausreichen wird, um neue Medikamente, Impfstoffe und
Diagnostika zu entwickeln oder ob zusätzlich nicht vielmehr eine gemeinsame
Anstrengung aller Beteiligten in der Arzneimittel- und Impfstoffentwicklung
erforderlich sein wird.
Die beabsichtigte Stärkung der WHO in ihrem Reformprozess entspricht einer
Kernforderung des DNTDs und wird von uns unterstützt.
Die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag, internationale Partnerschaften wie den Globalen Fonds gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) und die globale Impfallianz weiter zu unterstützen, begrüßen wir. Eine ergänzende Forderung unsererseits ist, den GFATM weniger vertikal auszurichten und die NTD-Bekämpfung zu integrieren, um so die Gesundheitssystemstärkung zu forcieren.
Damit im Feld der Entwicklungszusammenarbeit kein reines „Weiter so!“ verfolgt wird, sollten auf der Basis der vorliegenden Koalitionsvereinbarung die in den vergangenen Jahren getroffenen Entscheidungen, etwa der G7 und der Vereinten Nationen, vorangebracht und weiterentwickelt werden. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass die notwendige Ergänzung der Gesundheitssystemstärkung durch gezielte Unterstützung von Programmen zur Bekämpfung von NTDs, im Sinne von „Ownership“ der betroffenen Länder, keine Erwähnung findet. Die G 7 hatten dies in Elmau beschlossen, und die SDGs haben ein ambitioniertes Ziel für die Reduzierung der Zahl derjenigen Menschen gesetzt, die gegen NTDs medikamentös behandelt werden müssen. Derartige Programme erreichen, auch auf Grund von Arzneimittelspenden durch forschende Pharma-Unternehmen, derzeit bereits eine Milliarde Menschen pro Jahr und stellen eine effiziente kostengünstige Möglichkeit dar,
vorhandene Krankheiten zu bekämpfen oder sie zu verhindern.

Auch die Ankündigung der Bundesregierung, dass eine neue globale
Gesundheitsstrategie erarbeitet werden soll, findet sich im Koalitionsvertrag wieder.
Wir begrüßen das und plädieren für eine prominentere Rolle für die Bekämpfung der NTDS und die Aufnahme eines Umsetzungsfahrplans mit konkreten Förderinstrumenten, Zielmargen sowie Maßnahmen zur internationalen Koordination.
Das Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) e. V. mit seinen Mitgliedern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist bereit, an der Gestaltung und Umsetzung neuer Ideen zur Bekämpfung von vernachlässigtenTropenkrankheiten mitzuwirken und die Bundesregierung dabei beratend zu unterstützen.


Mit freundlichen Grüßen, Berlin den 26.02.2018


Antonia Braus
Tierärztin, Referentin für internationale
Tiergesundheit und Pastoralismus
Tierärzte ohne Grenzen e.V.,
Bundesgeschäftsstelle Berlin


Prof. Dr. Markus Engstler
Vorstand, Lehrst. f. Zell- und
Entwicklungsbiologie
Theodor-Boveri-Institut
Biozentrum der Universität Würzburg


Prof. Dr. Achim Hörauf
Direktor des Instituts für Med. Mikrobiologie,
Immunologie und Parasitologie an der
Uniklinik Bonn
Sprecher des DNTDs


Dr. Dr. Carsten Köhler
Direktor des Kompetenzzentrums
Tropenmedizin Baden-Württemberg,
Institut für Tropenmedizin (ITM) der Eberhard-
Karls-Universität Tübingen
Mitglied im Vorstand

Burkart Kömm
Geschäftsführer
DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V.

Prof. Dr. K.H. Martin Kollmann
Senior Advisor for Neglected Tropical Diseases
(NTDs)
Christoffel-Blindenmission e.V. (CBM)

Michael Kuhnert
Geschäftsführer
Missionsärztliches Institut Würzburg


Prof. Dr. Jürgen May
Leiter der Abt. Infektionsepidemiologie
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Hamburg


Dr. Wolfram Metzger
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Institut für Tropenmedizin
Dr. Beatrice Moreno MPH, MSc
Vorstand


TechEnergy for Africa - TEFA e.V
Timm Schneider
Samhathi Deutschland - Hilfe für Indien e.V.
Stellvertretender Sprecher des DNTDs


Dr. Matthias Vennemann
Freier Berater für Internationale Gesundheit
und Gesundheitspolitik, Münster


Dr. Johannes Waltz
Head, Praziquantel Donation Program and
Global Schistosomiasis Alliance
Global Health, Group Corporate Affairs
Merck KGaA


Roger Welz
WertSecur GmbH


Johan Willems
NTD-Programmkoordinator Afrika
Christoffel-Blindenmission(CBM)
Mitglied im Vorstand


Harald Zimmer
Senior Referent Internationales
Verband der forschenden
Arzneimittelhersteller (vfa)
Mitglied im Vorstand