03. März 2008

Tuberkulose stoppen - Neue Idee rettet Leben

Neue Behandlungswege in Kolkata (Kalkutta)

Tuberkulose: Neue Wege in Kolkata

Fahim Buddin geht durch die engen Gassen von Howrah, einem Stadtteil der indischen Millionenstadt Kolkata (Kalkutta). Der 24-Jährige kennt die engen und schmutzigen Gassen in diesem Slum sehr gut, er ist hier aufgewachsen. Tausendfach ist er diesen Weg bereits gegangen – oftmals, um nach einer Arbeit als Tagelöhner zu suchen, noch mehr aber auf dem Weg in die Schule.

Heute ist er froh, dass er damals zur Schule gegangen ist und nicht wie seine Freunde das Familieneinkommen aufbessern musste. Durch Schule und Ausbildung hat er heute einen richtigen Arbeitsplatz und muss nicht mehr jeden Tag mit der Suche nach einem neuen Arbeitgeber beginnen.

Fahim ist Gesundheitsarbeiter, ausgebildet in einem gemeinsamen Projekt der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) und Ärzte für die Dritte Welt. Dr. P.K. Mitra, Koordinator des TB-Programms, ist stolz auf seine Gesundheitsarbeiter und ganz besonders auf Fahim: "Wir helfen hier den Ärmsten der Armen, und das nicht nur medizinisch. Unsere Arbeit beginnt bei den Kindern, die durch den Schulbesuch eine Chance auf ein besseres Leben bekommen müssen, Fahim ist dafür ein Beispiel.“

Gerade mal drei Monate ist es jetzt her, dass Fahim seine Ausbildung abgeschlossen hatte und den gleichen Weg ging wie heute – durch diesen Slum, in dem die Hütten der Bewohner nur aus Holz und Plastikplanen über unbefestigtem Lehmboden bestehen. In einer dieser Hütten lebt Samoly mit ihren drei Kindern. Der Vater ist seit drei Jahren verschwunden - wo er ist oder ob er überhaupt noch lebt, weiß niemand. Samoly muss ihre Familie seither allein ernähren – als Tagelöhnerin mit umgerechnet fünf Euro im Monat.

Musula (Mitte) lebt mit Mutter und Geschwistern in der acht Quadratmeter kleinen Hütte. Foto: Jochen Hövekenmeier

Eine Krankheit der Armut

Als ihre Tochter Musulamma erkrankte, ging sie daher auch nicht zu einem Arzt. Wie so viele Menschen in Indien könnte sie einen richtigen Arzt auch gar nicht bezahlen: Rund 200 Rupies beträgt das Honorar für eine einfache Behandlung – umgerechnet fast vier Euro. Dafür gibt es aber an jeder Straßenecke die "Quacks“: medizinische Laien, die trotzdem kranken Menschen ihre Dienste anbieten – zu einem Bruchteil der Kosten von richtigen Ärzten.

Als der Husten von Musulamma auch nach Wochen nicht nachließ, sogar noch schlimmer wurde, ging Samoly mit ihrer Tochter zu "Doctor“ Ahmed Mushtaque, dem nächstgelegenen Quack. Natürlich ist er kein richtiger Arzt, aber hier nennen ihn alle nur "Doctor“ Ahmed. Vier Jahre lang hat er einem anderen Quack assistiert, dann meinte Ahmed, genug zu wissen, um sich selbständig zu machen und seine eigene Praxis zu eröffnen. Ein ganz normaler Vorgang in Indien – einem Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung in Slums lebt und keinen Zugang zu richtiger medizinischer Behandlung hat. Dienstleistung im Gesundheitswesen ist hier in erster Linie ein profitables Geschäft. Trotzdem wäre die naheliegende Übersetzung "Quacksalber“ falsch: Dies würde der Arbeit und dem Ansehen dieser Menschen nicht gerecht werden.

"Doktor“ Ahmed Mushtaque ist der Quack in Howrah. Foto: Jochen Hövekenmeier

Eine neue Idee rettet Leben

Wahrscheinlich hätte "Doctor“ Ahmed das Mädchen kurz angesehen und dann Medikamente gegeben, vielleicht einen wirkungslosen Hustensaft. Die Rechnung von rund 30 Rupies (gut 50 Cent) hätte die Mutter gerade noch bezahlen können. Schlimmer wäre es jedoch gewesen, wenn er die Tuberkulose erkannt und rein geschäftlich gehandelt hätte: Ein paar Antibiotika, die für vier bis sechs Wochen ausreichen hätte er ihr gegeben. Danach hätte Samoly die Wahl gehabt: entweder die Therapie abbrechen oder noch einmal bezahlen, was sie sich eindeutig nicht leisten kann.

Von Resistenzen durch abgebrochene Therapien mit Antibiotika haben die Menschen in den Slums noch niemals gehört: "Eine Krankheit gilt für sie als kuriert, wenn die Symptome verschwunden sind“, so Fahims Erfahrungen. Für Musulamma wäre eine solche Behandlung mit Sicherheit ein Todesurteil gewesen.

Doch das Mädchen hatte Glück: Als ihre Mutter zu "Doctor“ Ahmed kam, war Gesundheitsarbeiter Fahim gerade dort, um ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Am Beispiel der kleinen Musulamma konnte Fahim den Quack überzeugen, dass es sich nicht nur für die Patienten lohnt. Auch "Doctor“ Ahmed selbst sieht seine Vorteile: "Die 30 Rupies, die ich für die Behandlung von Musulammas Mutter bekommen hätte, bezahlt jetzt das TB-Programm. Dazu kommt noch ein Betrag, wenn die Therapie mit Antibiotika vollständig abgeschlossen ist – nach sechs bis acht Monaten.“

Kontrolle und Betreuung

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Quack alle Patienten mit Verdacht auf TB an die offiziellen Gesundheitszentren oder Krankenhäuser wie das St. Thomas Home in Howrah überweist. Von dort wird er dann die Medikamente bekommen, deren Einnahme er beaufsichtigen muss – er selbst wird dabei von Fahim beaufsichtigt. Der Gesundheitsarbeiter achtet darauf, dass Ahmed die Medikamente auch richtig einsetzt und regelmäßig die Schulungen durch die ausgebildeten Ärzte besucht. So wird ganz nebenbei auch das allgemeine Niveau der "medizinischen“ Behandlungen durch die Quacks verbessert.

"PPM“ heißt dieses neue Konzept, "Public-Private-Mix“: eine Mischung aus öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Erstmals werden hier die Quacks nicht verteufelt und gemieden, sondern in die Behandlung der TB-Patienten aktiv mit einbezogen. Sie müssen nun nicht mehr Angst haben, dass die Hilfsorganisationen ihnen die Patienten "wegnehmen“ und damit auch die finanzielle Grundlage für ihr Geschäft – im Gegenteil: Sie verdienen an ihren Patienten sogar noch etwas mehr, wenn diese die Behandlung bis zum Ende durchhalten.


So hilft Ihre Spende Lepra- und Tuberkulosekranken in Indien

Machen Sie mit! "Ich stoppe Tuberkulose"

40 Euro

benötigen wir pro Monat, um einen Gesundheitsarbeiter wie Fahim zu bezahlen.

250 Euro

im Monat kostet die Betreuung des Projektes durch einen ausgebildeten Arzt.

 2.650 Euro

im Jahr benötigen wir für die Gesund-heitsaufklärung der Bevölkerung. Auch dabei geht es um die Früherkennung der Tuberkulose und wie man weitere Ansteckungen vermeiden kann.


Der Erfolg von PPM ist schon nach kurzer Zeit messbar: Nicht einmal 2 % der TB-Patienten brechen diese neue Form der Behandlung noch ab – zuvor waren es rund 20 %. Die Gefahr von neuen, nicht mehr zu kontrollierenden Erkrankungen mit multiresistenten TB-Erregern ist dadurch viel kleiner geworden. Zusätzlich werden auch viel mehr Patienten entdeckt: Menschen, die ansonsten wirkungslose Behandlungen von ihren Quacks bekommen hätten und irgendwann gestorben wären, ohne dass ihre Tuberkulose jemals erkannt worden wäre.

Gesundheitsarbeiter Fahim und seine 50 Kolleginnen und Kollegen haben die Schlüsselrolle in diesem neuen Konzept: Sie sind die wichtigen Bindeglieder zwischen Patienten, Quacks, Hilfswerken und staatlichen Stellen. Und sie leisten noch mehr, denn Fahim ist auch Sozialarbeiter in dem Slum, aus dem er selbst stammt: "Ich erkläre den Kindern, woran sie Tuberkulose erkennen, und den Erwachsenen, wie gefährlich es ist, die Behandlung abzubrechen.“

Und so "ganz nebenbei“ ist er auch ein Vorbild für die Kinder in dem Slum. "Er hat die Schule besucht und dadurch eine Ausbildung und einen festen Arbeitsplatz bekommen“, resümiert Dr. Lisa Sous von der Organisation Ärzte für die Dritte Welt: "Die Kinder aus seinem Slum gehen wieder vermehrt zur Schule. Durch Fahim sehen sie, dass sie damit eine Chance bekommen.“ Wann immer sie in Howrah ist, besucht die Ärztin aus Deutschland ihre Gesundheitsarbeiter und kontrolliert gemeinsam mit ihnen die Quacks.

Gern würden sie und Dr. Mitra noch mehr Gesundheitsmitarbeiter einstellen – nicht nur, um die Armut in den Slums zu besiegen, sondern in erster Linie, um den Kampf gegen die TB mit PPM auszuweiten. "Für jeden Gesundheitsmitarbeiter haben wir Kosten von rund 5.000 Rupies im Monat für Gehalt, Schulungen für ihn selbst und seine Quacks, Fahrt- und Telefonkosten sowie Informationsmaterial zur Gesundheitsaufklärung“, rechnen die Ärzte vor. 5.000 Rupies sind knapp 100 Euro und sehr viel Geld für die Menschen in Indien, besonders in den Slums.


Spendensiegel bürgt

 Die Deutsche Lepra- und Tubekulosehilfe (DAHW) geht verantwortungsvoll mit ihren Geld um. Dafür bürgt das "Spendensiegel" das uns jedes Jahr wieder vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) in Berlin zuerkannt wird.